Die Wärme aus der Erde ist gewissermassen seine Mission. Seit 2008 engagiert sich Gunter Siddiqi beim Bundesamt für Energie (BFE) für die Energie aus dem Untergrund. Ausgebildet als Geologe und Geophysiker, hatte er als Produktionsingenieur elf Jahre lang für den internationalen Energiekonzern Shell in Geothermie- und Erdölprojekten gearbeitet, bei denen neue Produktionsmethoden zur Anwendung kamen. Nun geht Gunter Siddiqi beim BFE in Pension. Energeiaplus hat er erzählt, was seine Highlights waren, wie er die Zukunft der Geothermie einschätzt und was ihn daran fasziniert, CO2 im Boden zu speichern.

Energeiaplus: 2008 haben Sie von Shell zum Bundesamt für Energie gewechselt. Von einem internationalen Konzern in die Schweizer Bundesverwaltung. Warum?

Gunter Siddiqi: Ich muss zugeben, das war zunächst ziemlich Zufall. Ich sah dieses Stelleninserat des BFE und bewarb mich. Den damaligen Sektionschef der Energieforschung musste ich richtiggehend überzeugen, dass ich ernsthaft interessiert war. Denn: Ich hatte damals für Shell in interessanten Projekten gearbeitet – in den Niederlanden, in El Salvador, in den USA und in Kanada – und verdiente sehr gut. Karriere-Aussichten und Lohn in der Bundesverwaltung waren nicht vergleichbar mit jenen der Privatwirtschaft.

Aber: Nach Forschung und Industrie war der Wechsel in die Verwaltung, die für die Energiewirtschaft eines Landes die wichtigen Rahmenbedingungen schafft, sehr verlockend. Und meine Erfahrungen mit Ministerien, Regulierungsbehörden und multilateralen Organisationen waren für meine Funktion im BFE hilfreich. Rückblickend war es die beste Entscheidung in meinem Leben – auch aus persönlicher Sicht.

Damals 2008 hatte man gerade die ersten Erfahrungen mit Geothermie-Tiefbohrungen gemacht in der Schweiz. Eine geothermische Versuchsanlage in Basel war bis auf eine Tiefe von fünf Kilometern vorgestossen. Nach unerwartet starken Erdstössen im Winter 2006/2007 hatte die Betreiberin das Projekt aber gestoppt. Welchen Einfluss hatten solche Erfahrungen auf Ihren Start im BFE?

Der Einfluss war sehr gross. Aber ich muss vorausschicken, die Schweiz hat in den 80er und 90er Jahren gute Erfahrungen mit der Geothermie gemacht; es gab ein paar, erfolgreiche Tiefbohrungen für die direkte Nutzung der Geothermie wie in Lavey VD oder Riehen BS. Da war das Basler Projekt aus dem Jahr 2006 die «next frontier», die nächste Stufe. Die Erdbeben dort waren nicht unerwartet, auch nicht deren Stärke – alle Arbeiten im tieferen Untergrund lösen Erdbeben aus, aber fast immer nicht spürbare, geschweige denn mit Schäden verbundene. Im Rückblick hatte man wohl nicht ausreichend dafür gesorgt, das Risiko von spürbaren oder gar Schadenbeben auf ein akzeptables Mass zu senken.

«Das «Wie» herauszufinden, reizt ungemein.»

Mit anderen Worten, die wirkliche Herausforderung ist nicht so sehr das «ob», sondern das «Wie». Und das reizt ungemein: das «Wie» herauszufinden.

Seither haben wir sehr viel mit Schweizer Stakeholdern, den Projektanten, dem Schweizerischen Erdbebendienst, den Hochschulen, und auch mit vielen ausländischen Stakeholdern unternommen, um Massnahmen zu entwickeln und zu pilotieren, die der Geothermie und anderen Untergrundnutzungen zum Durchbruch verhelfen sollen.

Gleichzeitig hat sich die Geothermie-Szene die sinnvolle Frage gestellt, «wo» die nächsten Projekte stattfinden werden, das heisst die Erkundung des Untergrunds wird momentan in den zentralen Vordergrund gestellt.

Was fasziniert Sie eigentlich an der Energie aus dem Untergrund?

Gunter Siddiqi: Die schier unermessliche Menge an Energie, die unter unseren Füssen schlummert, und die Herausforderung, wie man diese Energie für eine nachhaltige Schweiz nutzbar machen kann. Was auch faszinierend ist, sind die Dimensionen des Untergrunds.
Wir Menschen kratzen nur etwas an der Oberfläche unseres Planeten.

«Es macht Spass, ein kleines Rädchen zu sein.»

Oder besser gesagt: Wir bewirtschaften die Oberfläche zum Wohle der Menschheit, lernen langsam, aber sicher, wie mit unseren Ressourcen haushälterisch umzugehen ist. Bergbau und fossile Energiequellen sind Grundlage unseres Wohlstands, der aber nicht immer nachhaltig und zu Lasten vieler anderen Länder aufgebaut wurde. Wie wir den tiefen Untergrund nachhaltig und zum Wohl aller nutzen können, ist und wird immer spannender und herausfordernder.

Die Geothermie ist ein Pfeiler in der Energie-Strategie. Im Energiegesetz und im CO2-Gesetz sind Geothermie-Fördermassnahmen verankert. Würden Sie das als Ihre Highlights in ihrer Zeit beim BFE bezeichnen?

Ja, es freut mich sehr, dass wir über die nächsten 10-15 Jahre stabile Rahmenbedingungen haben werden. Diese geben den Industrieakteuren die Chance, Geothermieressourcen zu finden und zu entwickeln. Ich hatte das Privileg und wohl auch das Glück zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen zu sein, um diese Rahmenbedingungen mitzugestalten – gestützt auf bundesrätliche und parlamentarische Aufträge. Es machte Spass, ein kleines Rädchen zu sein, um das schweizerische «Geothermie-Uhrwerk» wieder aufzuziehen und in Gang zu setzen.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Parlamentariern und Parlamentarierinnen erlebt. Diese haben schliesslich entschieden, welche Rolle die Geothermie in der Schweiz spielen soll.

Die Arbeit und Nähe zu den Gesetzgebern, den Parlamentarierinnen und Parlamentariern, war unheimlich motivierend und bereichernd. Sie haben erkannt, dass man die Geothermie nutzen soll. Und wenn es um Beiträge und Garantien zur Geothermie-Erkundung ging, waren sie sehr positiv eingestellt. Sehr sachlich fundiert und objektiv entscheidend habe ich auch die Arbeit in den Kommissionen erlebt.

«Ich bin punkto Geothermie sehr zuversichtlich.»

Ich erinnere mich zudem auch noch sehr gut an die emotionalen Diskussionen ums «Fracking», eine Fördertechnologie, die die Durchlässigkeit vom Festgestein zu einem Bohrloch verbessert. Angewendet auf Erdgas- und Erdölförderung wird die Technologie oft verdammt, obwohl diese Technologie auch in Trinkwasserbrunnen oder in Geothermiebohrungen zum Einsatz kommt. Hier haben aber die Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Kirche im Dorf gelassen und tatsachengestützt erwogen, dass ein Technologieverbot sinnlos und für die Geothermie blockierend wirkt.

Heute gibt es zwar zahlreiche Erdsonden, die Wärme fürs Heizen liefern, aber grosse Geothermie-Werke sind bisher nicht realisiert. Wie sehen Sie die Zukunft von Geothermie in der Schweiz?

Ich bin sehr zuversichtlich. Obwohl wir in jüngerer Vergangenheit keine erfolgreichen grösseren Werke in Betrieb nehmen konnten, hat es vor allem in der Romandie viele Projekte, die sich heute in der Umsetzung befinden. Diese Projekte würden dann auch die dringend benötigte Produktion von Wärme und vielleicht sogar Strom liefern.

Zwei Aspekte gilt es aber zu berücksichtigen.

Die Zeit: 1990 lieferte das heutige Aushängeschild der Erneuerbaren, die Sonnenenergie 1.5 GWh Strom pro Jahr (genug für 300 Haushalte) und rund 30 GWh Wärme (genug für 4’000 Haushalte). Seitdem haben wir über eine Milliarde Franken in die Forschung und Innovation gesteckt, und knapp zwei Milliarden in Einspeisevergütungen, Einmalvergütungen und weitere Massnahmen für die Etablierung auf dem Markt. Und das zahlt sich nun aus: Die Fotovoltaik liefert 2020 wohl gegen 2’500 GWh Strom und die Solarthermie ungefähr 800 GWh an Wärme.

«Revolutionen im Energiesektor dauern mindestens 30 Jahre.»

Dies zeigt: Revolutionen im Energiesektor dauern mindestens 30 Jahre. Wir haben die Förderung der Geothermie zwischen 2012 und 2018 ausgebaut. Wir werden 2040 und 2050 sehen, wo wir stehen – Erfolge kommen nicht «über Nacht».

Der Ort: ein grösseres Geothermie-Werk zu realisieren, geht nicht ganz so einfach wie ein paar Fotovoltaikzellen aufs Dach zu schrauben. Konzessions- und Bewilligungsverfahren und die Aufsicht sind Sache der Kantone und brauchen die Zustimmung der Standortgemeinden. Die meisten Standorte heissen die Geothermie willkommen, vor allem in der westlichen Schweiz – abgesehen jetzt mal von «Ausreissern» wie in Haute-Sorne im Kanton Jura. Ängste und politisierte Bewilligungsentscheide verlangsamen Projekte indes stark. Aber auch hier wird sich Vernunft und Standhaftigkeit durchsetzen, davon bin ich überzeugt.

Sie haben die Schweiz in der IEA, der internationalen Energie-Agentur in verschiedenen Gremien vertreten. Was konnten Sie dort bewirken?

Die internationale Vernetzung, die Schau nach Aussen, das Lernen von Anderen ist essentiell für eine erfolgreiche nationale Energiepolitik. Hier konnte ich als Vorsitzender der IEA Renewable Energy Working Party mit Ministerialkolleginnen und –Kollegen dazu beitragen, dass es zu einem regen Austausch über nationale Massnahmen im Bereich der Forschungs- und Innovationsförderung und über Fördermassnahmen für die Marktdurchsetzung von erneuerbaren Energietechnologien kam. Und wir lernen voneinander – ich habe beispielsweise sehr viel von niederländischen Kollegen in der Ausgestaltung der Verfahren für Geothermie-Garantien gelernt. Viele Länder sind weiter als die Schweiz im Zubau der neuen Erneuerbaren.

«Der Untergrund kann mehr als Strom.»

In der schweizerischen Stromversorgung nimmt beispielsweise die Wasserkraft immer noch die dominante Rolle ein. Aber wie alle anderen Länder stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen, den Anteil der Erneuerbaren im ungleich wichtigeren Teil der Energieversorgung, nämlich der Wärme und der Mobilität, massiv zu erhöhen.

Lassen Sie mich noch das kollaborative IEA Greenhouse Gas Technologieprogramm nennen, wo ich im Vorstand des Exekutivkomitees war. Dort werden weltweite Forschungsarbeiten analysiert und evidenz-basierte, politisch relevante Ergebnisse aufbereitet, vor allem im Bereich der «Carbon Capture and Storage». Die CO2-Abscheidung und vor allem die Speicherung werden ein kritischer Baustein für eine klimaneutrale Schweiz sein, nicht nur als Massnahme zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, sondern auch in der Bereitstellung von «negativen» Emissionen. Das heisst der permanenten Entnahme von CO2 aus dem klimarelevanten Kohlenstoffhaushalt der Schweiz.

Es ist ein Segen, dass der Bund über dieses IEA-Programm Zugang zu Forschung und Erfahrung in anderen Ländern hat.

Wir sind zwar ein internationales, wohlhabendes, aber dennoch sehr kleines Land, das weit überproportional von einer engen internationalen Einbindung und den Erfahrungen anderer profitieren kann.

Sie sehen den Untergrund nicht nur als wichtige Stromquelle, sondern auch zum Speichern von CO2 (Carbon Capture Storage CSS). Da eröffnen sich derzeit neue Felder. Welche Bedeutung sehen Sie darin auf dem Weg zu einer klimaneutralen Schweiz?

Aus energetischer Perspektive «kann» der Untergrund mehr als Strom; er ist eine Wärmequelle und er ist Energiespeicher.

Der Untergrund kann aber noch viel mehr: aus der Klimaperspektive muss der Untergrund auch als CO2-Speicher eingesetzt werden. Spätestens seit 2018, als der Weltklimarat (IPCC) seinen Bericht über die Auswirkungen einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit vorstellte, ist es einer breiteren Öffentlichkeit klargeworden, dass bis 2050 weltweite CO2-Neutralität erreicht werden muss.

Für die Schweiz bedeutet das, dass vor allem die Energieversorgung mehr leisten muss als nur «erneuerbar» oder gar «zero-emission» zu sein. Das reicht nicht mehr. Der Energiesektor muss anderen Sektoren wie der Industrie, der Landwirtschaft und eventuell auch dem Transportsektor «helfen», damit die Schweiz gesamthaft klimaneutral wird. Und das geht nur mit dem Einsatz von CCS. Egal, wie und wo CO2 entsteht, fossil oder erneuerbar, es muss eingefangen werden und dem klimarelevanten Kreislauf entzogen werden.

«Freue mich auf die selbstbestimmte Zeit.»

Eine interessante Symmetrie eigentlich: Seit Beginn unserer nationalen Energiestatistiken, vor über 110 Jahren, wird Kohle, dann auch Erdöl und seit den 70er Jahren Erdgas an die Oberfläche geholt und genutzt. Selbst heute dominieren diese Energien mit einem Anteil von 60 Prozent die schweizerische Energieversorgung. Das CO2 muss so schnell wie nur möglich wieder in den tiefen Untergrund retourniert werden, sei es als Kohlenstoff oder CO2.

Szenarien der Energieperspektiven 2050+ des Bundes oder Studien des ETH Bereichs: sie alle deuten darauf hin, dass wir einige Millionen Tonnen CO2 jährlich im tiefen Untergrund der Schweiz und sogar im Ausland permanent speichern müssen. Dass es geht, weiss man; dass es sicher ist, wenn man Regeln befolgt, weiss man auch. Wieviel und wo in der Schweiz und wie sehr wir uns auf unsere europäischen Nachbarn verlassen müssen, wissen wir aber noch nicht. Das herauszufinden, ist eine der Aufgaben, die auf uns zukommt.

Sie gehen nun mit 56 Jahren in Pension. Bei so viel Engagement für die Wärme aus der Tiefe kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie jetzt nur noch Zeitung lesen werden. Werden Sie Ihr Fachwissen weiterhin als Berater einfliessen lassen?

Zeitung lesen macht Spass, informiert und regt an zum Denken, Überlegen, Hinterfragen, Prüfen und hilft der Meinungsbildung. Da könnte ich schon viele Stunden täglich damit verbringen. Heute wandern meine Zeitungen aber mangels Zeit so manches Mal nicht ganz gelesen ins Altpapier.

Mein Partner ist auch seit dem vergangenen Sommer aus dem regulären Arbeitsleben zurückgetreten, und ich freue mich auf die gemeinsame und selbstbestimmte Zeit. Andererseits reizen mich die Themen ungemein, die sich aus dem Paradigmenwechsel – grosses, aber hier zutreffendes Wort – einer bis 2050 klimaneutralen Schweiz ergeben. Aber es gibt viele und vielwissende Stimmen zu dem Thema. Ob ich dazu gebraucht werde, wer weiss?

Das Interview führte Brigitte Mader, Kommunikation , Bundesamt für Energie

 

 

 

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2 Kommentare
  1. Jürg+Jehle
    Jürg+Jehle sagte:

    Die Geothermie Technik kann erfolgreich werden wenn sie mal beherrscht wird.
    Strom aus Sonne und Wind wird immer schwach bleiben weil die zu oft fehlen, man sollte die fördern?

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