Nonproliferation – Verpflichtungen und Bemühungen der Schweiz zur Nichtverbreitung von Atomwaffen – Teil 3
Die Schweiz setzt sich international dafür ein, dass Atomwaffen nicht weiterverbreitet und irgendwann vollständig beseitigt werden. Energeiaplus berichtet in einer dreiteiligen Blogserie, wie die Schweiz dieses Ziel umsetzt. In Teil 3 der Blogserie geht es um die Umsetzung der Safeguardsmassnahmen in der Schweiz.
Mit dem Sensibilisierungsprogramm Prophylax verfolgt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seit 2004 das Ziel, den Wirtschafts-, Technologie- und Forschungsplatz Schweiz vor Bedrohungen durch Proliferation und Spionage zu schützen. Er sensibilisiert Unternehmen, Forschungsinstitutionen und Behörden und zeigt Schutzmassnahmen auf. Das Programm verfolgt unter anderem das Ziel, das Verständnis für Bedrohungen und Risiken zu verbessern, die mit der Ausfuhr von kritischen und proliferationsrelevanten Gütern und Technologien verbunden sind. Es informiert über die Exportkontrollbestimmungen und regt dazu an, Schutzmassnahmen anzuwenden und proliferationsrelevante Verdachtsfälle zu melden. Das Programm trägt damit zur Vorbeugung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bei. Firmen und wissenschaftliche Institutionen sind jedoch primär selbst für die Einhaltung der Exportkontrollbestimmungen verantwortlich.
Im Zusammenhang mit der Aufdeckung des libyschen Atomwaffenprogramms und des Netzwerks von Abdul Qadeer Khan, das Libyen mit Atomwaffentechnologie belieferte, stellte die Bundesanwaltschaft 2004 in der Schweiz nukleartechnologisch relevante Dokumente sicher, darunter detaillierte Baupläne für Atomwaffen, für Gaszentrifugen zur Anreicherung von waffenfähigem Uran sowie für Lenkwaffensysteme. Da der Besitz dieser Dokumente mit den Verpflichtungen der Schweiz aus dem Atomwaffensperrvertrag unvereinbar ist und unter allen Umständen vermieden werden musste, dass diese Informationen in die Hände von Terroristen oder eines unbefugten Staates gelangen konnten, hat der Bundesrat 2007 entschieden, die beschlagnahmten Datenträger und Dokumente durch die Bundeskriminalpolizei unter Aufsicht der IAEA vernichten zu lassen.
Ihr Engagement für eine Welt ohne Atomwaffen verfolgt die Schweiz weiter, auch wenn unterschiedliche Ansätze zur Erreichung dieses Ziels bestehen. Sie engagiert sich aktiv in zahlreichen multilateralen Gremien und setzt sich für die nukleare Rüstungskontrolle, Nonproliferation und Abrüstung ein. Im Rahmen der «Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022-2025» setzt sich der Bundesrat für die Eindämmung nuklearer Risiken und die Entwicklung verifizierbarer Abrüstungsverträge ein. Die Schweiz setzt sich im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags für die nukleare Abrüstung ein und unterstützt Massnahmen zur Reduktion der Anzahl nuklearer Sprengköpfe und ihrer Trägersysteme. Im Rahmen des Raketentechnologie-Kontrollregimes (Missile Technology Control Regime, MTCR) werden auch massenvernichtungsfähige Trägersysteme und relevante Komponenten kontrolliert. Die Schweiz unterstützt zudem Verhandlungen über ein Verbot von spaltbarem Material für Kernsprengkörper (Fissile Material Cut-off Treaty, FMCT).
Die Schweiz setzt sich auch für das Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT) ein, den sie 1999 ratifiziert hat. Auch wenn der Atomwaffenteststopp-Vertrag noch nicht in Kraft getreten ist, stellt der Aufbau des entsprechenden internationalen Verifikationssystems eine wichtige Errungenschaft dar, an der sich die Schweiz seit 2003 auch mit einer seismischen Messstation in Davos beteiligt. Seit 2007 setzt sich die Schweiz dafür ein, die hohe Einsatzbereitschaft gewisser Atomwaffenarsenale zu reduzieren, um das Risiko von Missverständnissen oder einer unkontrollierten Eskalation zu vermindern. Sie setzt sich für eine sichere, multilaterale Hotline-Infrastruktur ein, um Missverständnisse zwischen den Atommächten im Krisenfall zu vermeiden. Die Schweiz fördert vertrauensbildende Massnahmen und stellt ihre Guten Dienste zur Verfügung, um Verhandlungen im Nuklearbereich zu unterstützen. Schliesslich setzt sich die Schweiz in enger Zusammenarbeit mit der IAEA aktiv für die Verbesserung der Sicherung und Sicherheit von zivilem Kernmaterial und nuklearen Anlagen ein.
2024 hat der Bundesrat entschieden, dem 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) weiterhin nicht beizutreten, da er das Engagement der Schweiz für eine Welt ohne Atomwaffen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags als zielführender erachtet. Der Bundesrat ist überzeugt, dass ein Beitritt im gegenwärtigen internationalen Umfeld mit einem neuen Krieg in Europa nicht im Interesse der Schweiz liegt. Aus Sicht des Bundesrates kann die Schweiz ihr Engagement für die Nichtverbreitung und Abrüstung von Atomwaffen auch ohne Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag weiter voranbringen. Solange Atomwaffen existieren, bleibt die Eindämmung ihrer Risiken und Gefahren eine zentrale Herausforderung, denn Unfälle, Missverständnisse oder die Eskalation von Konflikten stellen existentielle Risiken für die Menschheit dar.
Umsetzung der Safeguardsmassnahmen in der Schweiz
Zur Überprüfung der ausschliesslich friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Schweiz kommen die bereits erwähnten Safeguardsmassnahmen der IAEA zur Anwendung. Deren gesetzliche Grundlage für die Umsetzung in der Schweiz bildet die Safeguardsverordnung, zu deren Konkretisierung das Bundesamt für Energie (BFE) als zuständige Aufsichtsbehörde zusätzlich Richtlinien erlassen hat.
Die von den Safeguardsmassnahmen betroffenen Materialien wurden von der IAEA in ihren Statuten definiert. Es handelt sich dabei um Uran, Plutonium und Thorium sowie um Materialien, die diese Stoffe enthalten. Diese Materialien befinden sich nicht nur in kerntechnischen Anlagen, sondern in geringen Mengen auch an anderen Orten, den so genannten «Locations Outside Facilities» (LOF). Die betroffenen Besitzer sind verpflichtet, ihre Materialbestände und deren Veränderungen dem BFE zu melden, welches die Angaben überprüft, in die nationale Kernmaterialbuchhaltung einpflegt und im Namen der Schweiz der IAEA rapportiert. Die IAEA ihrerseits verifiziert die Angaben, indem sie zwischen 40- und 60-mal pro Jahr Inspektoren in die Schweiz schickt, wobei vermehrte Transporttätigkeiten, wie zum Beispiel der Transport der abgebrannten Brennelemente aus dem Kernkraftwerk Mühleberg ins Zwischenlager auch zu deutlich mehr Inspektionen führen können. Die Inspektionen wurden auch während der Covid-19-Pandemie unverändert durchgeführt. Anlässe für Inspektionen sind insbesondere die jährlichen Inventarkontrollen sowie Transporte grösserer Mengen von Kernmaterialien, wie z.B. abgebrannte Brennelemente aus den Kernkraftwerken in die Zwischenlager.
Neben den Inspektionen vor Ort hat die IAEA in den Schweizer Anlagen weitere Safeguardsmassnahmen installiert. So werden einmal kontrollierte Bestände nach Möglichkeit mit Siegeln «eingefroren» und Anlagenbereiche, in denen mit grösseren Mengen Kernmaterial umgegangen wird, mit Fernüberwachungskameras überwacht.
Auch bei Abfällen, die Kernmaterialien enthalten, finden weiterhin Safeguardsmassnahmen ihre Anwendung. Dies betrifft nicht nur die abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken, sondern auch andere kernmaterialhaltige Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung, die sich in den Schweizer Zwischenlagern befinden. Auch im geplanten geologischen Tiefenlager müssen Safeguardsmassnahmen implementiert werden. Diese sollen bereits bei der Planung berücksichtigt werden, um spätere kostenintensivere Installationsmassnahmen zu vermeiden (Safeguards by Design).
Materialien:
Uran: 2’300 Tonnen
Plutonium 23 Tonnen
Thorium: 200 KilogrammBuchhaltungseinheiten/Materialchargen:
Ca. 20’000 (davon über 50 Prozent Brennelemente und Brennstäbe)Örtlichkeiten:
12 Anlagen: Kernkraftwerk Beznau (KKB) – Block 1 und 2, Kernkraftwerk Gösgen (KKG), Kernkraftwerk Leibstadt (KKL), Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) (in Stilllegung), Zwischenlager für radioaktive Abfälle des Kernkraftwerks Beznau (ZWIBEZ), Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen (ZWILAG), Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire in Genf (CERN) – Internationales Forschungsinstitut, Forschungsreaktor CROCUS – Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und am Paul-Scherrer-Institut in Villigen (PSI) die Anlagen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle (AERA), das Hotlabor und der Forschungsreaktor PROTEUS (in Stilllegung); dazu kommen gegen 100 Orte ausserhalb von Anlagen (Location Outside Facilities, LOF). Hierbei handelt es sich in der Regel um Unternehmen oder Institutionen aus Medizin, Industrie, Forschung und Lehre.
BOX 2: Ablauf einer IAEA-Inspektion
Die meisten IAEA-Inspektionen ergeben sich aus geplanten Aktivitäten in den Anlagen und erfolgen daher nach einem Jahresplan, der in Absprache zwischen dem BFE, den Anlagen und der IAEA erstellt wird. Daneben führt die IAEA auch Inspektionen mit kurzer Vorankündigung oder gänzlich unangemeldet durch. Am vereinbarten Termin finden sich alle Inspektionsteilnehmer, d.h. die Fachspezialisten des BFE, die Inspektoren der IAEA und die Safeguards-Verantwortlichen der Anlage vor Ort ein. Nach Erledigung der Zutrittsformalitäten findet eine Vorbesprechung der Inspektionstätigkeiten statt und erst nach klarer Absprache über die Durchführung der Inspektion begeben sich die Beteiligten vor Ort, um je nach Zielsetzung die Bestände und/oder die Auslegungsmerkmale der Anlage entsprechend den vorliegenden Deklarationen der Anlage zu verifizieren. Zur Materialkontrolle werden je nach Zustand des Materials und der radiologischen Zugänglichkeit verschiedene Geräte der IAEA eingesetzt. Wenn die Materialien in versiegelten Behältern aufbewahrt werden, wird nur die Unversehrtheit der Siegel überprüft. Mit einer Schlussbesprechung endet die Vor-Ort-Inspektion und die IAEA-Inspektoren kehren nach Wien zurück, wo sie die Inspektionsergebnisse auswerten. Das Endergebnis wird dem BFE innerhalb von 90 Tagen schriftlich mitgeteilt.
Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 der Blogserie.
Michael Fischer, Fachspezialist Bundesrats- und Parlamentsgeschäft BFE
Uwe Georg, Leiter Sektion Safeguards BFE
Bild: Dean Calma / IAEA
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