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Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 6: Der Konzeptteil zum Sachplan geologische Tiefenlager


Der Entscheid, ein schweizweites Standortauswahlverfahren für geologische Tiefenlager durchzuführen und dafür das Instrument eines Sachplans zu nutzen, reifte 2004. Verschiedene Umstände rund um die Entsorgung hatten dabei einen Einfluss: Die Beratungen zum neuen Kernenergiegesetz, die Ablehnung des Sondierstollens am Standort Wellenberg (NW) und der Entsorgungsnachweis in Benken im Zürcher Weinland. Im sechsten Teil der Blogserie zum Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz, rollen wir die Geschichte des Sachplans auf.

Wie die Idee des Sachplans entstand

Im Frühjahr 2001 hatte der Bundesrat die Botschaft zu zwei Atominitiativen und zum Kernenergiegesetz (KEG) verabschiedet. Der Gesetzesentwurf enthielt die Bestimmung, dass die radioaktiven Abfälle der Schweiz in ein geologisches Tiefenlager verbracht werden müssen (siehe dazu: Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 4: Ausweg aus der Sackgasse). Die Beratungen zum Kernenergiegesetz wurden beeinflusst durch die zweite Volksabstimmung nach 1995 zu einem möglichen Endlagerprojekt für schwach- und mittelaktive Abfälle im Kanton Nidwalden. Am 22. September 2002 lehnte die Nidwaldner Stimmbevölkerung den Bau eines Sondierstollens ab (siehe dazu: Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 2: bis 2008).

Dieser Urnengang zeigte ein Dilemma auf: Einerseits verlangte der Entwurf des KEG auf nationaler Ebene die geologische Tiefenlagerung, andererseits konnten solche Projekte in kantonalen Abstimmungen verworfen werden. Dies bewog das Parlament, das im Gesetzesentwurf vom Bundesrat noch vorgeschlagene kantonale Vetorecht zu streichen. Im Mai 2003 lehnte die Schweizer Stimmbevölkerung die beiden oben erwähnten Atom-Initiativen ab. Das Kernenergiegesetz wurde vom Parlament kurz vorher – im März 2003 – beschlossen und die Referendumsfrist verstrich ungenutzt. Allerdings konnte das Gesetz nicht sofort in Kraft gesetzt werden. Es mussten zuerst noch die Bestimmungen des KEG in Verordnungen ausgeführt und präzisiert werden.

Ungeklärt war, wie die Standortsuche für geologische Tiefenlager in der Schweiz ablaufen soll. Das Bundesamt für Energie (BFE) berief deshalb 2003 zwei Klausuren ein, um mit den betroffenen Bundesstellen und der Nagra über verschiedene Möglichkeiten zu beraten. Die Arbeitsgruppe des Bundes für nukleare Entsorgung (Agneb), die im Auftrag des Bundesrats seit 1978 die nukleare Entsorgung in der Schweiz verfolgt, gab den entscheidenden Impuls: In diesem Gremium entstand die Idee, die Standortsuche mittels eines Sachplans geologische Tiefenlager durchzuführen (siehe Tätigkeitsbericht Agneb 2003). Mit Sachplänen erfüllt der Bund seine raumplanerischen Aufgaben.

Neben der Gesetzesberatung, der Abstimmung in Nidwalden sowie der Frage nach der Standortsuche spielte der von den Entsorgungspflichtigen zu erbringende Entsorgungsnachweis für hochaktive Abfälle eine Rolle. Dieser war eine Voraussetzung für den Weiterbetrieb der bestehenden oder den Bau neuer Kernkraftwerke. Im November 2002 reichte die Nagra den Entsorgungsnachweis für hochaktive Abfälle ein. Sie beantragte damit auch, künftige Arbeiten auf den Opalinuston im Zürcher Weinland zu fokussieren. Seitens der Kantone sah einzig der Kanton Zürich den Entsorgungsnachweis als nicht erbracht an und forderte Abklärungen an weiteren Standorten. In seiner Stellungnahme zu einem Postulat von Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SH) vom Juni 2004 lehnte der Bundesrat die Fokussierung auf das Zürcher Weinland ab und forderte die Nagra auf, Alternativen zu evaluieren. Und er hielt fest: «Das UVEK erarbeitet zurzeit Grundlagen für ein neues Auswahlverfahren für geologische Tiefenlager. Dieses soll im Rahmen eines Sachplanes nach Raumplanungsgesetz festgeschrieben werden.»

Im Verlauf des Sommers 2004 erarbeitete das BFE erste Entwürfe eines Sachplans (siehe Tätigkeitsbericht Agneb 2004). Die Pflicht des Bundes, die Ziele und Vorgaben für die Lagerung der radioaktiven Abfälle in geologischen Tiefenlagern für die Behörden verbindlich in einem Sachplan festzulegen, nahm der Bundesrat in die Kernenergieverordnung auf. Sie trat zusammen mit dem Kernenergiegesetz am 1. Februar 2005 in Kraft.

Von der Idee zur Konkretisierung

Die Erarbeitung des Konzeptteils dauerte fast vier Jahre. Als Grundlage wurden die Erfahrungen anderer Länder mit fortgeschrittenen Entsorgungsprogrammen (Finnland, Schweden, Belgien) herangezogen. Auch das Konzept, welches der deutsche AkEnd (Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte) im Auftrag des damaligen Bundesumweltministers entwickelt hatte, diente als nützliche Quelle. Zur Begleitung setzte Bundesrat Moritz Leuenberger 2005 einen Beirat unter der Leitung des Luzerner Alt-Regierungsrats Paul Huber ein. Erfahrungen im In- und Ausland zeigten, dass die Mitwirkung ein zentrales Element eines erfolgreichen Auswahlverfahrens ist. Deshalb befasste sich das BFE intensiv mit partizipativen Instrumenten, insbesondere beim Einbezug potenziell Betroffener. Mit den sicherheitstechnischen Vorgaben für die Standortwahl wurde das ENSI (bis 2008: Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK) beauftragt.

Eine Anforderung an gute Partizipation ist der frühe Einbezug der relevanten Stakeholder bereits bei der Verfahrensgestaltung. Im Sommer 2006 führte das BFE eine erste schriftliche Konsultation bei den Bundesbehörden, Kantonen, Nachbarstaaten, Organisationen und Parteien durch. Im Juni und November 2006 fanden konsultative Workshops für Organisationen und politische Parteien statt. Die Bevölkerung wurde mittels repräsentativ zusammengesetzten Fokusgruppen in die Erarbeitung einbezogen. In der Deutschschweiz und der Romandie debattierten diese im Sommer 2006 Fragen des Sachplans. Schrittweise wurde er verfeinert, ergänzt und weiterentwickelt. Dabei nahmen die Kantone eine wichtige Rolle ein. Sie erhielten bereits früh im Verfahren erste Entwürfe.

Die Diskussionen, Erkenntnisse der Workshops und Fokusgruppen sowie die schriftlichen Stellungnahmen bildeten die Grundlagen für die Überarbeitung des Konzeptteils und führten zum Entwurf von Januar 2007. Dieser wurde einer schweizweiten Anhörung unterzogen – begleitet von öffentlichen Informationsveranstaltungen in Bern, Lausanne und Zürich sowie in Deutschland. Es gingen 179 Stellungnahmen von Behörden, Interessenorganisationen, Parteien, Planungsgruppen und -verbänden aus der Schweiz, Österreich und Deutschland ein. Weitere rund 11 300 Stellungnahmen wurden zudem von Einzelpersonen eingereicht. Die Eingaben wurden ausgewertet, gewürdigt (siehe Auswertungsbericht) und der Konzeptteil erneut angepasst. Ende 2007 fand eine letzte Bereinigung mit den Kantonen statt.

Der Konsens und die Eckpfeiler des Verfahrens wurden wie folgt festgelegt:

  1. Die Sicherheit steht an erster Stelle und die Kriterien für die Auswahl der Standorte werden vorgängig definiert.
  2. Raumnutzung und sozioökonomische Aspekte werden berücksichtigt.
  3. Das Verfahren erfolgt schrittweise (in drei Etappen). Rückschritte sind möglich.
  4. Die betroffenen Regionen erhalten die Möglichkeit, sich zu informieren und sich einzubringen.
  5. Das Verfahren ist transparent.

Was diese Punkte im konkreten Verfahren bedeuten und wie sie umgesetzt werden sollen, darüber wurde bei der Erarbeitung des Konzeptteils zum Teil heftig gerungen – so etwa über die Finanzierung der regionalen Partizipation und die Verfahrensdauer (Zeitplan). Doch am 2. April 2008 war es so weit: Der Bundesrat verabschiedete den Konzeptteil Sachplan geologische Tiefenlager und gab somit den Startschuss zur Standortsuche in der Schweiz.

Monika Stauffer und Stefan Jordi, Leiterin bzw. Stv. Sektion Entsorgung radioaktive Abfälle, Bundesamt für Energie
Die beiden nahmen ihre Tätigkeit im BFE im Jahr 2001 resp. 2003 unter der Leitung von Michael Aebersold auf. Letzterer wurde später in die Exekutive der Stadt Bern gewählt. Alle Drei gestalteten den Sachplan wesentlich mit. Stauffer und Jordi sind bis heute mit seiner Umsetzung betraut.
Bild: Workshop zum Konzeptteil am 29. November 2006; Copyright: Rolf Weiss

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In der Schweiz ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Abfälle langfristig sicher in geologische Tiefenlager verbracht werden. Das Standortsuchverfahren dafür läuft seit 2008 gemäss dem Sachplan geologische Tiefenlager. Damit wird der Einbezug der betroffenen Kantone, Gemeinden und Bevölkerung sichergestellt. Geleitet wird dieses Verfahren durch das Bundesamt für Energie.

Nach heutiger Planung soll die Standortwahl 2031 mit der Genehmigung der Rahmenbewilligungen für das geologische Tiefenlager und die Brennelementverpackungsanlage abgeschlossen sein. Auch diese beiden Verfahren leitet das Bundesamt für Energie.

Bisher sind in dieser Blogserie zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle erschienen:
Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 1: 1900 – 1980 | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie
Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 2: bis 2008 | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie
Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 3: Menge und Arten der Abfälle | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie
Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 4: Ausweg aus der Sackgasse | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie
Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 5: Das Entsorgungsprogramm | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie

 

 

 

 

 

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