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Nachhaltige Treibstoffe – nicht nur eine Frage der Technik


Forschende von neun Schweizer Hochschulen und Forschungsinstituten sowie ein Industriepartner wollen Wege aufzeigen, wie die Schweiz robust mit nachhaltigen Treib- und Brennstoffen und Grundchemikalien versorgt werden kann. Das Konsortium «reFuel.ch» (Renewable Fuels and Chemicals for Switzerland) hatte bei der Ausschreibung «Sustainable Fuels» des Förderprogramms SWEET («SWiss Energy research for the Energy Transition») den Zuschlag erhalten. Was das Konsortium konkret vorhat, erläutert Christian Bach von der Empa, Co-Koordinator des Konsortiums.

Energeiaplus: Welches sind die wichtigsten Themenbereiche, die reFuel.ch behandelt?

Christian Bach, Co-Koordinator des SWEET-Konsortiums reFuel; Bild: Empa

Christian Bach: In der Ausschreibung wurde unter anderem gefordert, robuste Versorgungspfade zu entwickeln. Das heisst, wir müssen aufzeigen, wie nachhaltige Treib- und Brennstoffe in genügend grossen Mengen zuverlässig bereitgestellt werden können. Dies ist nicht eine rein technische Frage, sondern hat viel mit globaler, internationaler und nationaler Gesetzgebung, ökologischen Analysen, Energiesystemen sowie mit internationalem Handel, Transport sowie Transport- und Lagerinfrastrukturen zu tun. Unser Konsortium verfolgt deshalb zwei Aspekte: Im umsetzungsorientierten Teil adressieren wir Fragen zu gesetzlichen und regulatorischen Punkten, zur Nachhaltigkeit sowie zur Marktintegration. Daran arbeitet die Hälfte der Forschenden. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit Technologien. Hier steht die Optimierung von Syntheseverfahren im Vordergrund, damit sie effizienter werden oder bei unterschiedlichem Energieangebot die Produktion flexibel hoch- und runterfahren können.

Welche Technologien werden konkret betrachtet?

Der Fokus liegt auf Produktionsverfahren, die gross-skalig in Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung umsetzbar sind. Dazu gibt es grundsätzlich drei Wege: Erstens: Mit erneuerbarer Elektrizität wird Wasserstoff erzeugt und dieser anschliessend mit CO2 aus der Atmosphäre, aus Biomasse oder dem Meerwasser in weiteren Prozessschritten in gasförmige oder flüssige chemische Energieträger umgewandelt. Der zweite Ansatz, den zum Beispiel das Schweizer Unternehmen Synhelion verfolgt, ist die Hochtemperatur-Solarchemie: Dabei wird mithilfe von Solarwärme aus Wasser und CO2 thermochemisch ein Synthesegas erzeugt, das anschliessend in flüssige Kohlenwasserstoffe umgewandelt wird. Und der dritte Weg geht über Biomasse. Die Gewinnung von Treibstoffen aus Biomasse ist wirtschaftlich am einfachsten umsetzbar. Die Biomasse für Treibstoffe darf allerdings nicht die Lebensmittelproduktion konkurrenzieren oder gar dazu führen, dass Wälder abgeholzt oder andere wertvolle Ökosysteme umgenutzt werden. Deshalb ist dieser Weg eingeschränkt.

Um die synthetischen Treib- und Brennstoffe herzustellen, braucht es viel erneuerbare Energie!

Ja, das ist so. Basierend auf den Energieperspektiven 2050+ geht das Bundesamt für Energie BFE von einem Bedarf an nachhaltigen Treib- und Brennstoffen ab 2050 von jährlich 30 bis 60 TWh aus. Dies betrifft insbesondere den Flugverkehr, industrielle Hochtemperaturprozesse und schwer elektrifizierbare Fahrzeugnutzungen, z.B. den internationalen Güterverkehr. Rechnen wir mit einer Umwandlungseffizienz von 50 Prozent, um aus Elektrizität synthetische Energieträger herzustellen, bräuchten wir allein für die untere Grenze des Mengengerüsts 60 TWh erneuerbaren Strom. Selbst mit Photovoltaikanlagen auf allen geeigneten Dachflächen könnte diese Energie in der Schweiz nicht bereitgestellt werden. Wir werden die Treib- und Brennstoffe also zu etwa 90 Prozent importieren müssen – aus Ländern im Sonnengürtel. Dort haben wir eine doppelt so hohe Sonneneinstrahlung, riesige ungenutzte Flächen in Wüsten, wo Grossanlagen nur minimale Folgen für das Ökosystem hätten. Wir schätzen, dass man in Wüstenregionen ein- bis zweimal die Fläche des Bodensees benötigen würde, um die 30 bis 60 TWh bereitzustellen.

In der Schweiz steht das Hofdüngerpotenzial im Vordergrund. Wie liesse sich dieses nutzen?

Das einheimische Potenzial ist tatsächlich recht gross. Die Herausforderung ist, dass der Hofdünger über die ganze Schweiz verteilt ist. Um diesen Hofdünger zusammenzuführen, wären Transporte oder neue Infrastrukturen erforderlich, was entweder die Ökobilanz oder die Wirtschaftlichkeit in Frage stellt. Das reFuel.ch-Konsortium untersucht deshalb, ob Gülle direkt vor Ort in einen flüssigen Energieträger umgewandelt werden kann, der einfacher und ökologischer transportiert werden kann. Erste Ansätze dazu sind vorhanden.

Macht es überhaupt Sinn, in der Schweiz zu produzieren?

Auf jeden Fall. Denn jede kWh Energie, die wir in der Schweiz produzieren, verringert den Importbedarf und verbessert die Resilienz. Um diese weiter zu erhöhen, brauchen wir weiterhin eine Pflichtlagerhaltung, wie wir sie bereits von fossilen Energien, aber auch anderen kritischen Stoffen wie Medikamenten kennen.

Sie haben bereits von Flächenkonkurrenz, Abhängigkeit und Versorgungssicherheit gesprochen. Gibt es weitere Nachhaltigkeitsaspekte, die es zu berücksichtigen gilt?

Die EU listet in der «Renewable Energy Directive III» (RED-III) die Vorgaben für nachhaltige Treib- und Brennstoffe auf. Der erneuerbare Strom beispielsweise, der für die Herstellung der Treibstoffe benötigt wird, muss zusätzlich generiert werden. Die Produktionsschritte müssen zudem direkt mit der Produktion der erneuerbaren Energie gekoppelt sein. Das heisst, die Anlagen müssen ihre Auslastung flexibel der schwankenden Stromproduktion anpassen können. Solche Grossanlagen gibt es heute nicht. Weiter fordert die RED-III, dass der CO2-Aussstoss über die ganze Produktions- und Nutzungskette um mindestens 70 Prozent gesenkt wird gegenüber fossilen Energieträgern. Zudem darf das CO2 ab 2035 nicht mehr aus fossilen Quellen stammen – deshalb gewinnt die atmosphärische CO2-Versorgung, wie sie Climeworks vorantreibt, an Bedeutung. Das ETH-Spin-off hat eine Technik entwickelt, mit der CO2 aus der Umgebungsluft gefiltert werden kann.

Wie steht es um Nachhaltigkeitsaspekte, die über den Klimaschutz hinausgehen?

Die Vorgaben der RED-III sind bereits sehr streng. Wir wollen aber bisher noch nicht integrierte Aspekte beleuchten. Zum Beispiel den Wasserverbrauch. Für die Gewinnung von Wasserstoff ist Wasser notwendig, was in Wüstenregionen Mangelware ist. Woher nehmen wir das? Heute wird dazu Meerwasser entsalzt. Die ins Meer zurückgeführte Sole kann im Meeresökosystem jedoch Schäden anrichten, was nicht nachhaltig ist. Wir suchen dazu Alternativen. Eine weitere Frage, die wir aufgreifen wollen, sind nicht CO2-induzierte Klimawirkungen des Flugverkehrs, die durch die Kondensstreifen entstehen. Eine Lösung könnte synthetisches Kerosin sein, das russarm verbrennt und zu weniger Kondensstreifen führt.

ReFuel.ch plant konkrete Fallbeispiele. Können Sie dazu schon etwas sagen?

Am weitesten fortgeschritten ist ein Projekt in Oman. Geplant ist ein dreistufiges Aufskalierungskonzept, angefangen bei einem Demonstrator mit einer elektrischen Anschlussleistung von 15–25 MW. In einem zweiten und dritten Schritt sollen eine kleine Grossanlage mit 100–200 MW und eine grosse Grossanlage mit 1–2 GW realisiert werden. Ziel ist es, zusammen mit Schweizer Anbietern das Know-how für RED-III-kompatible Grossanlagen zu entwickeln. Für dieses Projekt konnten wir rund 25 Firmen aus der gesamten Wertschöpfungskette gewinnen. reFuel.ch fungiert dabei als Integrator und stellt für die ersten Schritte entsprechende Modellrechnungen bereit, damit die Industrie die Planung und Implementierung übernehmen kann. Eine Herausforderung dabei ist die Finanzierung. Um diese sicherzustellen, braucht es Abnehmer, welche den produzierten Treibstoff zu einem bestimmten Preis über 20 Jahre abnehmen.

Sie sprechen die Wirtschaftlichkeit an. Wie gehen Sie dieses Thema innerhalb von reFuel.ch an?

Wir suchen nach Branchen oder Anwendungen, in denen die Verwendung nachhaltiger Energieträger vorgeschrieben ist – wie im Flugverkehr – oder in denen die Energiekosten einen geringen Anteil an den Gesamtkosten haben. Wenn die Energiekosten beispielsweise nur zu zwei Prozent zum Produktpreis beitragen, ist man eher bereit, einen höheren Preis zu zahlen, als wenn er 40 Prozent ausmacht. Bei hohen Kostenanteilen wird es kaum ohne gesetzliche Vorgaben gehen. Solche Möglichkeiten loten wir aus, unter anderem an regelmässigen runden Tischen mit Marktakteuren. Dort wollen wir unsere Erkenntnisse weitergeben, um Bottom-up-Prozesse zu initiieren. Wir möchten Marktakteure motivieren, nachhaltige Treib- und Brennstoffe einzusetzen und damit ihrerseits die Realisierung von Grossanlagen zu unterstützen.

Gibt es auch neue technologische Ansätze, die reFuel.ch verfolgt?

Ja, dazu ein Beispiel: Wenn wir CO2 aus der Atmosphäre entziehen, um synthetisches Methan herzustellen, wird dieses bei der energetischen Nutzung des Methans wieder freigesetzt. Wir untersuchen nun Möglichkeiten, wie wir den Kohlenstoff im Methan vor der energetischen Nutzung abtrennen und deponieren und nur den verbleibenden Wasserstoff energetisch nutzen können. So wäre der Wasserstoff CO2-negativ.

Welche Resultate können wir von reFuel.ch am Ende der Laufzeit 2030 konkret erwarten?
Wir werden über die rechtlichen, ökologischen, ökonomischen und technischen Grundlagen verfügen, um eine zuverlässige Produktions- und Versorgungskette mit nachhaltigen Treibstoffen aufzubauen. Zudem hoffe ich, dass es gelingt, Industrie-Konsortien zu initiieren und gemeinsam mit ihnen das notwendige Wissen zu entwickeln, damit 2030 ein Demonstrator in Betrieb gehen kann.

SWEET – «SWiss Energy research for the Energy Transition» – ist ein Förderprogramm des Bundesamtes für Energie (BFE). Ziel von SWEET ist es, Innovationen zu fördern, die wesentlich zur erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie 2050 und zur Erreichung der Klimaziele der Schweiz beitragen

Interview: Irene Bättig, Sprachwerk GmbH im Auftrag der Geschäftsstelle SWEET, Bundesamt für Energie (BFE)

 

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