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Studie zeigt, wie Reserven im Verteilnetz besser genutzt werden können


PV-Anlagen, Wärmepumpen und Elektromobilität spielen eine wichtige Rolle auf dem Weg der Dekarbonisierung. Das bringt auch neue Herausforderungen insbesondere für das Niederspannungsnetz. Denn dort werden Solaranlagen, Wärmepumpen und Ladestationen vorwiegend angeschlossen. Wie sehen Auslastung und Spannung in den Netzen aus? Wie viel Reserven gibt es noch? Fragen, die das Projekt QuVert der Berner Fachhochschule BFH und der Fachhochschule Westschweiz HES-SO Valais-Wallis untersuchte. Die Studie wurde vom Bundesamt für Energie unterstützt.

Würde das Stromnetz überbeansprucht, so könnte dies zu Schäden bei den Netzelementen und den angeschlossenen Geräten führen. Kabel könnten sich zu stark erwärmen oder Haushaltsgeräte könnten durch eine zu hohe oder tiefe Spannung an der Steckdose Schaden nehmen.

Produzieren die PV-Anlagen an einem schönen Sonnentag mehr Strom als die Anlagenbetreiber selber verbrauchen, wird der Strom ins Netz gespeist. Das kann das Netz zusätzlich belasten. Anderes Beispiel: Laufen im Winter in einem Gebiet die Wärmepumpen auf Hochtouren und werden gleichzeitig E-Fahrzeuge geladen, kann dies ebenfalls das Netz stark beanspruchen.

Doch wie zeigt sich, wie stark das Netz ausgelastet ist? Spannung und Auslastung sind dabei die beiden wichtigen Parameter. Die Spannung darf eine Abweichung von höchstens 10% zur Nennspannung von 230 V haben. Zu viel Strom im Netz, also eine zu hohe Auslastung, muss ebenfalls vermieden werden.

Wie steht es also ums Netz? Die Studie fokussierte sich auf die Spannung und hält zusammenfassend fest: Die Spannungsqualität in den untersuchten Stromnetzen weist derzeit in der Regel mittlere bis grosse Reserven zu den Grenzwerten auf. Jedoch können in Netzen mit einer Häufung von Geräten und Anlagen knappe Reserven und Grenzwertverletzungen auftreten.

Messungen fanden bei sechs unterschiedlichen Verteilnetzbetreibern statt – in städtischem und ländlichem Gebiet, in einem Tourismusort, in der Innenstadt und in Wohngebieten. Relevant für die Auswahl der Messorte war auch, welche Technologien (Wärmepumpe, PV, Ladeinfrastruktur E-Mobilität) vorhanden sind.

Die Studie zeigt ebenfalls auf, welche Massnahmen das Netz entlasten können, bevor ein Ausbau ins Auge gefasst werden muss.

Stefan Schori vom Labor für Elektrizitätsnetze an der Berner Fachhochschule Technik und Informatik ist Mit-Autor der QuVert-Studie. Energeiaplus ordnet mit ihm die Ergebnisse ein.

Energeiaplus: Die untersuchten Netze haben noch Reserven. Wie überraschend ist dieses Ergebnis?

Stefan Schori von der Berner Fachhochschule Technik und Informatik BFH. Bild: BFH

Stefan Schori: Es ist nicht überraschend, dass es noch Reserven gibt. Der Ausbau von PV, Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen ist meist noch nicht sehr stark fortgeschritten. Wir profitieren heute also noch von den Reserven aus der Vergangenheit. Die Reserven werden aber abnehmen, was wir auch in einem der untersuchten Netze mit viel Zubau von PV gut beobachten konnten.

Sie haben bewusst verschiedene Gegebenheiten berücksichtigt bei der Wahl der untersuchten Netze. Orte mit viel PV, städtische Gebiete, Tourismusregionen, etc. Wo sind die Belastungen im Netz am grössten?

Die Belastung ist aktuell dort am grössten, wo eine Häufung von Anlagen auftritt. Heute ist dies oft im Zusammenhang mit PV-Anlagen der Fall. Ähnliches werden wir künftig auch beim Verbrauch durch Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen erleben.

Sie haben die Messungen in Niederspannungsnetzen durchgeführt. Das ist die niedrigste der sieben Netzebenen (siehe Grafik hier). Warum?

Die oben erwähnten Technologien werden zum grössten Teil direkt im Niederspannungsnetz angeschlossen. Die grössten Veränderungen finden folglich auf dieser Netzebene statt.

Was ist der Hintergrund für diese Messungen?

Heutzutage wird in Niederspannungsnetzen aus Kostengründen die Spannungsqualität nicht flächendeckend erfasst. Deren Ausprägung und die Einflüsse auf das Stromnetz durch neue Anlagen können also mit den aktuell vorhandenen Daten nicht wissenschaftlich beurteilt werden. Diese Kenntnis ist jedoch entscheidend, um die Stromnetze weiterhin kosteneffizient zu bauen.

Ein Ziel der Studie war es auch, die Punkte (Netzknoten) zu identifizieren, wo man überhaupt messen soll? Warum ist das wichtig?

Die Messungen in den verschiedenen Verteilnetzen haben gezeigt, dass an den meisten Netzknoten mittlere bis hohe Qualitätsreserven vorherrschen. Ökonomisch sinnvoll ist daher insbesondere die Überwachung von neuralgischen Netzknoten. Wesentlich ist folglich die Identifikation der Netzknoten mit geringen Qualitätsreserven und der Netzknoten mit absehbarer Verschlechterung der Qualitätsreserven. Daher wurden im Rahmen eines generischen Überwachungskonzepts mehrere Empfehlungen formuliert, die eine einfache, möglichst kostengünstige Überwachung der Spannungsqualität im Verteilnetz unterstützen sollen.

Die Studie untersuchte auch, wie sich ein Zubau von Anlagen auf das Netz auswirkt, wenn keine Massnahmen (z. B. Netzausbau) ergriffen werden. Zu welchem Schluss sind sie gekommen?

Ein Zubau in Netzen mit genügend Reserven wird zwar die Reserven reduzieren, hat aber noch keinen negativen Einfluss auf die Kundinnen und Kunden. In Netzen mit geringen Reserven würden hingegen bei einem weiteren Zubau ohne Massnahmen gewisse Grenzwertverletzungen auftreten, was durch sinnvolle, effiziente Massnahmen zu vermeiden ist.

Und was wären solche sinnvollen, effizienten Massnahmen?

In der Vergangenheit stand vor allem die Netzverstärkung respektive der Netzausbau im Fokus. Mittlerweile stehen aber auch intelligente Lösungen zur Verfügung, wie regelbare Transformatoren oder sogenannte Längsregler, um die Spannung im Netz zu regeln.

Die Studie beschreibt auch die Massnahme «Überwachung». Wie kann man mit Messungen das Netz «entlasten»?

Das Netz wird dadurch nicht direkt entlastet, jedoch kann das Netz durch Kenntnis der Reserven besser ausgelastet werden. Wenn die Spannung im Netz kontinuierlich gemessen wird, weiss man, wo es noch Reserven hat und somit keine Grenzwerte verletzt werden, wenn neue Anlagen angeschlossen werden. Dies soll unnötige Netzinvestitionen verhindern.

Eine andere Alternative setzt bei den PV-Anlagen an. Was heisst das für die Anlagenbesitzerinnen und -besitzer?

PV-Anlagen können durch die Steuerung oder Regelung der eingespeisten Leistung helfen, dass mehr PV-Anlagen ohne Netzverstärkungen angeschlossen werden können. Konkret: Die PV-Anlagen würden Strom über einer bestimmten Leistungsgrenze nicht mehr ins Netz einspeisen dürfen.

Vorgehen und Projektpartner

Zur Untersuchung der Reserven in den Verteilnetzen wurden während zwei Jahren und sieben Monaten in verschiedenen Mittel- und Niederspannungsnetzen die Spannungsqualität (PQ) und die Auslastung erfasst. Im Projekt QuVert waren neben der Berner Fachhochschule auch die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Valais-Wallis), Camille Bauer Metrawatt AG, AEW Energie AG, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun AG, IB-Murten, Repower AG, Primeo Energie und Services Industriels de Genève involviert.

Diese Funktionen sind in den neuen PV-Anlagen bereits integriert und müssten lediglich aktiviert und korrekt parametriert werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Reduktion der Spitzenleistung um 20 bis 30 % den Jahresenergieertrag nur um ungefähr bis zu 7 % verringert. Wenn die PV-Anlage nicht die volle Leistung ausschöpft, bleibt am Schluss also nur minim weniger Ertrag. Eine intelligente Steuerung von PV-Anlagen kann also dabei helfen, Netzverstärkungen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.

Gibt es eine Art Rezept, das für alle Netze anwendbar ist? Oder muss ein Netzbetreiber je nach örtlichen Gegebenheiten, beispielsweise viele Wärmepumpen, viel PV sein eigenes Rezept finden?

Entscheidend ist insbesondere die Netzstruktur, also wie lang die Leitungen sind, wie stark sie ausgelastet werden können und an welchen Netzknoten die Anlagen angeschlossen sind. In städtischen Netzen mit kurzen Leitungen ist eher die Auslastung und weniger die Spannung ein zu beachtendes Thema. Hingegen weist in Netzen mit langen Leitungen und PV-Anlagen, wie dies auf dem Land vorherrschend ist, meist zuerst die Spannung kritische Werte auf. Grundsätzlich sind die Situationen individuell und daher gibt es kein Universalrezept, das für alle Netze gleichermassen gilt. Aber natürlich können Rezepte für ähnliche Netz- und Kundenstrukturen wiederverwendet werden.

Ein Netzbetreiber muss auch rechnen. Welche Massnahmen sind im betriebswirtschaftlichen Vergleich am günstigsten?

Auch das ist von den individuellen Gegebenheiten abhängig und muss im Einzelfall beurteilt werden. Wichtig ist aber in jedem Fall die Nutzung von vorhandenen Reserven, damit Netze nicht unnötig überdimensioniert werden. Dafür haben wir im Schlussbericht die Massnahme «Überwachung» mit Empfehlungen beschrieben.

Mit den Messungen kann man den Ist-Zustand des Netzes feststellen. Kann man daraus Prognosen ableiten? Der Zubau von PV, die Elektrifizierung bei den Heizungen und bei der Mobilität läuft.

Ja, denn durch Messungen kennt der Netzbetreiber die Reserven und kann abschätzen, wann bei einem weiteren Zubau Engpässe auftreten werden. Eine effiziente Ausnutzung des Netzes ist mit Blick auf die Zukunft wesentlich, um unnötige Investitionen in die Infrastruktur zu vermeiden.

Link zum Fachartikel auf Bulletin.ch:
https://www.bulletin.ch/de/news-detail/qualitaetsreserven-besser-ausschoepfen.html

Link zum Schlussbericht:
https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=47340

Link zum Labor für Elektrizitätsnetze der Berner Fachhochschule
https://www.bfh.ch/de/forschung/forschungsbereiche/labor-elektrizitaetsnetze/

Text/Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: BFH

 

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