Nach dem Watt d’Or: Wie eine Solothurner Firma mit E-Bussen die Welt erobert
Für AHEAD, einen dieselelektrischen Hybridbus, hat die Carrosserie Hess AG 2015 den Energiepreis Watt d’Or des Bundesamts für Energie erhalten. Den Hybridbus produziert das Solothurner Unternehmen nicht mehr. Erfolgreich ist Hess AG jetzt mit Batterie-Elektro-Bussen. So erfolgreich, dass die Firma am Hauptsitz in Bellach nun ausbaut.
Die Entwicklung habe die Hybrid-Busse faktisch aus dem Markt gedrängt, heisst es bei Hess AG. Gefragt seien heute Batterie-Elektrobusse. Seit 2022 produziert das Unternehmen nur noch solche E-Busse. Gemäss eigenen Angaben ist Hess AG Weltmarktführer bei Bussen mit Doppelgelenk. Das sind Busse mit einer Länge von 24,7 Metern.
Als Fahrzeugbauer produziert Hess die Komponenten nicht selber. Schlüsselkomponenten wie das Fahrgestell oder die Carrosserie seien aber eigene Entwicklungen, so Hess, werden aber nun durch Zulieferer produziert. Die Kunst sei die optimierte Integration der Komponenten sowie das Management (Software) der einzelnen Schlüsselteile.
Busse liefert Hess AG rund um den Globus. Im australischen Brisbane fahren Hess-Busse, in den französischen Städten Nantes, Nancy, Clermont-Ferrand oder auch in Salzburg (Österreich). In der Schweiz gibt es sie in Neuenburg, Basel (u.a. zum Euro-Airport) oder Winterthur und bald auch in Lausanne, Lugano, Biel, Genua oder Vicenza.
Fahrzeugbau seit 1882:
Heinrich Hess gründet 1882 eine Wagnerei und Schmiede für die Reparatur von Fuhrwerken jeglicher Art in Solothurn. 1919 entstehen die ersten Karosserie-Kreationen für Busse, Lastwagen und Autos. Bis heute hat das Unternehmen zahlreiche neue Bus-Modelle entwickelt und produziert. Seit 2003 ist Hess der letzte verbliebene Bushersteller der Schweiz.
Das wichtigste Segment für die Carrosserie Hess sind Autobusse und Trolleybusse sowie dazu passende Personenanhänger. Auch angeboten werden Um- und Ausbauten für Kleinbusse für den Linieneinsatz, als Schulbus und als Fahrzeug zum Behindertentransport. Das Unternehmen arbeitet im Ausland mit verschiedenen Partnerfirmen zusammen.
Und hier geht’s zu den wichtigsten historischen Meilensteinen: Geschichte – Hess AG (hess-ag.ch) oder Carrosserie Hess – Wikipedia
Was macht den Erfolg des Fahrzeugbauers aus? Was hat der Gewinn des Watt d’Or 2015 bewirkt? Wo gibt es noch Entwicklungspotenzial bei der Elektrifizierung von Bussen? Energeiaplus hat bei Michel Birchmeier nachgefragt. Er ist Projektleiter Marketing und Kommunikation bei der Carrosserie Hess AG.
Energeiaplus: 1940 haben Biel und Basel die ersten Trolleybusse bei Hess bestellt. Hess hat also schon früh auch auf Strom gesetzt. Heute sind Trolleybusse wohl eher ein Auslaufmodell?
Michel Birchmeier: Die Trolleybus-Technologie ist keineswegs veraltet – im Gegenteil. In vielen Städten weltweit erleben Trolleybusse eine Renaissance, da sie besonders in stark frequentierten urbanen Gebieten eine zuverlässige und emissionsfreie Mobilitätslösung bieten. Moderne Trolleybusse wie unser lighTram® sind zudem dank autonomer Akkusysteme nicht mehr auf ein durchgehendes Oberleitungsnetz angewiesen, was mehr Flexibilität und weniger Infrastrukturkosten bedeutet.
Hess produziert heute nur noch E-Busse. Die sind gefragt. Was ist ihr Erfolgsrezept?
Unser Erfolgsrezept liegt in der Verbindung von Innovation, Qualität und Nachhaltigkeit. Hess setzt auf über 80 Jahre Erfahrung beim Bau von E-Bussen. Unser Angebot besteht nicht aus Serienfertigungen. Wir entwickeln und produzieren massgeschneiderte Lösungen, die den spezifischen Anforderungen unserer Kunden entsprechen. Zudem legen wir grossen Wert auf die Lebensdauer unserer Fahrzeuge und deren einfache Wartung – Eigenschaften, die im öffentlichen Verkehr besonders geschätzt werden.
Den Watt d’Or haben sie aber 2015 für den Hybrid-Bus AHEAD erhalten. Das war ein Bus, der neben Strom als Antrieb auch noch Diesel benötigte. Was hat der Watt d’Or bewirkt? Diesen Bus produzieren sie ja mittlerweile nicht mehr.
Der Watt d’Or für den AHEAD Hybrid-Bus war ein Meilenstein, Dieses Projekt war ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zur vollständigen Elektrifizierung. Es hat uns wertvolle Erkenntnisse gebracht, die in die Entwicklung unserer heutigen, rein elektrisch betriebenen Modelle eingeflossen sind und die weiterhin die Basis für unsere nachhaltigen Mobilitätslösungen bilden.
Die Liste der Orte, wo Hess-Busse fahren, wird immer länger. Wie kann sich Hess gegen ausländische Konkurrenz behaupten? Es heisst immer, Schweizer Produkte sind preislich teurer.
Schweizer Qualität hat weltweit nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf, insbesondere punkto Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Präzision. Unser Anspruch ist es, mit unseren Bussen den Tatbeweis dazu zu liefern. Unsere Busse sind in der Anschaffung vielleicht teurer, aber sie bewähren sich im Alltag. Das heisst: Betrieb und Unterhalt kosten dann weniger. Zudem setzen wir auf eine langfristige Partnerschaft mit unseren Kunden.
Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial bei den E-Bussen?
Ein grosses Entwicklungspotenzial sehen wir im Bereich der Batterietechnologie, des Batteriemanagements und bei der Ladeinfrastruktur. Längere Reichweiten, kürzere Ladezeiten und noch leistungsfähigere Batterien werden es ermöglichen, E-Busse noch flexibler und wirtschaftlicher im öffentlichen Verkehr einzusetzen.
Wo sind Herausforderungen? Busse im ÖV müssen eine hohe Verlässlichkeit haben. Sie fahren zum Teil fast ununterbrochen – mit allenfalls kurzen Pausen an der jeweiligen Endstation.
Hess AG: Richtig, die Herausforderung liegt vor allem darin, die Fahrzeuge für einen nahezu ununterbrochenen Betrieb auszulegen, ohne Abstriche bei der Verlässlichkeit oder den Betriebskosten zu machen. Unsere Fahrzeuge sind so konstruiert, dass sie hohe Laufleistungen bei minimalem Wartungsaufwand erbringen und besonders robust für die hohen Anforderungen im öffentlichen Verkehr sind.
Bei der Weiterentwicklung der Technologie werden Sie auch vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt. Im Rahmen des BFE-Demonstrationsprojekts «Swiss eBus Plus» geht es beispielsweise um die Reichweite von E-Bussen (mehr zum Projekt siehe Kasten). Wie wichtig ist solche Unterstützung?
Die Unterstützung durch das Bundesamt für Energie ist für uns äusserst wertvoll. Der Support erlaubt uns, innovative Projekte wie das «Swiss eBus Plus» umzusetzen, bei denen wir neue Technologien unter realen Bedingungen testen und weiterentwickeln können. Dies trägt massgeblich dazu bei, den technologischen Fortschritt zu beschleunigen und die Elektromobilität im öffentlichen Verkehr in der Schweiz und darüber hinaus nachhaltig zu fördern.
Am Hauptsitz in Bellach bauen Sie aus. Sie gehen also von einer anhaltenden Nachfrage und dementsprechend einem weiteren Wachstum aus?
Das ist korrekt. Die steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen Mobilitätslösungen erfordert bei uns zusätzliche Kapazitäten. Wir bauen deshalb am Standort in Bellach aus – konkret brauchen wir mehr Platz für die Endmontage. So können wir die Produktion optimieren und der Nachfrage nach Gelenk- und Doppelgelenkbussen besser nachkommen. Wir gehen heute davon aus, dass der Peak noch nicht erreicht wurde und gerade das Interesse an Doppelgelenkfahrzeuge sich noch steigern wird.
«Swiss eBus Plus»
In diesem Projekt wird ein Demonstrationsfahrzeug basierend auf neuen Erkenntnissen aus der Forschung, der Technologieentwicklung und Schweizer Innovationen entwickelt, gebaut und im realen Liniendienst getestet und betrieben. Das Fahrzeugkonzept umfasst ein umfassendes Thermomanagement und neue Technologien bei Antrieb, Heizung, Klimatisierung und Isolation. Dies ermöglicht unter anderem den Wegfall der fossilen Zusatzheizung, eine hohe betriebliche Flexibilität und gleiche oder höhere Fahrgastkapazitäten wie bei Dieselbussen. Selbst unter extremen Bedingungen sollen Reichweiten von bis zu 300 km möglich sein, auch während der Wintermonate.
«Swiss eBus Plus» ist ein gemeinsames Projekt von HESS, der ETH Zürich, den Zürcher Verkehrsbetrieben VBZ, der Berner Fachhochschule BFH, mit Unterstützung des BFE (P+D Programm).
Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: HESS AG
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