Pilotprojekt «Geospeicher»: Winter-Energievorrat im Stadtberner Untergrund
Einlagern, was man gerade nicht braucht, und dann wieder hervorholen, wenn man es benötigt: Das ist das Prinzip des Geospeichers, den der Stadtberner Energieversorger Energie Wasser Bern ewb bei der Energiezentrale Forsthaus am Stadtrand von Bern realisieren möchte. Bis zu einer Tiefe von 500 Metern soll überschüssige Wärme aus der Kehrichtverwertung gespeichert werden – als Wintervorrat. Wie soll das genau funktionieren? Und welche Rolle soll dieses Wärmelager künftig spielen? Energeiaplus hat sich das Projekt zeigen lassen.
Ein Kehrichtwagen nach dem anderen liefert an diesem Dienstag Abfall für die Kehrrichtverwertung an. Ein paar Meter davon entfernt ist der Bohrplatz auf einem schmalen Stück zwischen der ewb-Energiezentrale und der Autobahn. Bis auf 500 Meter hat sich die Bohrkrone unterdessen in den Boden gegraben. In dieser Tiefe liegt das Gestein, in dem dereinst die Wärme gespeichert werden soll. Es sind Sandsteinschichten der sogenannten Süsswasser-Molasse – Ablagerungen, die Flüsse hier einst hinterlassen haben.
Wertvolle geologische Erkenntnisse
In den Untergrund zu bohren, ist nicht frei von Überraschungen – auch nicht in Bern. Erst in einer Tiefe von 250 Metern ist der Bohrer auf den gewünschten Sandsteinfels gestossen. Das geologische Modell hatte diesen bereits für eine Tiefe von 160 bis 180 Metern angenommen. Die Bohrungen liefern also auch wichtige geologische Erkenntnisse.
Meter für Meter lagern die Bohrkerne in Holzschachteln verpackt im Container neben dem Bohrplatz. Die Erkundung des Untergrunds ist Teil des Projekts und Auftrag des Bundesamts für Energie. Die Erkenntnisse sollen für weitere Bohrungen von Nutzen sein.
Und noch eine Besonderheit gibt es in Bern: Energie Wasser Bern bohrt nicht senkrecht in den Boden, sondern leicht schräg in Richtung des Waldes neben der Energiezentrale. Tief unter diesem Waldstück soll die überschüssige Wärme aus der Energiezentrale dann gespeichert werden.
Und so soll der Geospeicher funktionieren
Im Sommer soll die Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage, die ungenutzt durch die Kamine in die Luft entweicht, genutzt werden. Diese Wärme soll Wasser erhitzen, das durch das zentrale Bohrloch, mit einem Durchmesser von knapp einem halben Meter, in die Tiefe geleitet wird. Abgekühlt fliesst das Wasser über die Nebenbohrungen wieder an die Oberfläche. Die Wärme hingegen bleibt im porösen Sandstein gespeichert.
Im Winter wird der Zyklus umgekehrt. Kaltes Wasser fliesst über die Nebenbohrungen in die Tiefe, wird durch das warme Gestein aufgewärmt und steigt über die zentrale Bohrung wieder auf und kann so für das Fernwärmenetz genutzt werden. Der Untergrund soll so als saisonaler thermischer Speicher, als Geospeicher dienen.
Video: ewb
Welchen Stellenwert hat das Projekt für den Stadtberner Energierversorger? Ewb-Projektleiter Urs Spring erklärt es im Video-Interview.
Mit dem Geospeicher soll ein Energievorrat von 12 bis 15 Gigawattstunden angelegt werden. Oder in anderen Worten: Wärme für rund 1200 bis 1500 grössere Wohnungen (4½-Zimmer). Wollte man diese Wärme oberirdisch speichern, bräuchte es 200 bis 300 Silos von enormen Ausmassen.
Noch ist der Geospeicher von ewb mehr Forschungsprojekt als fixes Standbein für die Wärmelieferung im Winter. Im Sommer soll nun ein erster Test zeigen, ob das System funktionieren kann. Danach erfolgt der Entscheid, wie es mit den Bohrungen weitergeht. Insgesamt sechs Bohrungen hat der Kanton bewilligt.
Wie ist das Pilotprojekt finanziert?
Von den 33 Millionen Franken, die ewb für den Geospeicher budgetiert hat, trägt das Unternehmen 44 Prozent. Das Bundesamt für Energie subventioniert das Pilotprojekt zu 51 Prozent. Die restlichen 5 Prozent der Kosten deckt der Ökofonds der Stadt Bern.
Ende 2023 sollen dann qualitative Aussagen zum Geospeicher möglich sein. Läuft alles planmässig, kann der Geospeicher frühestens 2026 ins System der Energiezentrale eingebunden werden. Energie Wasser Bern rechnet damit, dass nach zehn Jahren Betrieb der Geospeicher eine Effizienz von 80% erreichen kann. Oder anders gesagt: 80 Prozent der Wärme, die im Boden gespeichert wird, kann für die Fernwärme auch effektiv genutzt werden. Dies wäre laut ewb ein sehr hoher Wirkungsgrad.
Bern ist nicht St. Gallen oder Basel
Beim Geospeicher sollen die Sandsteinschichten in 200 bis 500 Metern Tiefe mit heissem Wasser erwärmt werden. Die Tiefe der Bohrungen entspricht herkömmlichen Bohrungen für Erdwärmesonden.
Das Berner Projekt unterscheidet sich also von Bohrungen, wie sie in Basel oder St. Gallen vorgenommen wurden, wo es um «tiefe Geothermie» geht. Das heisst Bohrungen bis zu einer Tiefe von zwei bis fünf Kilometern, um dem Erdreich Wärme zu entziehen.
Aufgrund der geringen Tiefe der Bohrungen und einer anderen Geologie rechnen die Ingenieure in Bern daher auch nicht mit Erdstössen, so wie es in St. Gallen und Basel vorgekommen ist. Mit Messgeräten wird in Bern permanent überprüft, wie sich die Bohrungen auswirken. Als zusätzliche Massnahmen wendet Energie Wasser Bern die Sicherheitsstandards der Tiefbohrtechnik an. Nebst der permanenten Erfassung verschiedenster Messdaten wurden besondere Vorkehrungen auf und rund um den Bohrplatz getroffen. So lässt sich zum Beispiel das Bohrloch bei Bedarf automatisch verschliessen und auch Handys sind im näheren Umkreis aufgrund des geforderten Explosionsschutzes tabu.
Das Bundesamt für Energie engagiert sich finanziell bei diesem Projekt. Warum? Was erhofft man sich davon? Energeiaplus hat bei Christian Minnig nachgefragt. Er ist Fachspezialist Geothermie beim BFE:
Energeiaplus. Welche Bedeutung hat das ewb-Projekt aus Sicht des Bundesamts für Energie:
Christian Minnig: Das Projekt von ewb kann als Frontrunner-Projekt bezeichnet werden – was Hochtemperatur-Wärmespeicherung in der Schweiz angeht. Ausserdem liefert es wertvolle Informationen zum Nutzungspotenzial der tiefen Geothermie. Darum auch das grosse und breit abgestützte finanzielle Engagement des BFE.
Die von diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse sind sehr wichtig, um das Multiplikations- und Skalierungspotenzial der Speichertechnologie einzuschätzen. Letztere sind notwendig, damit die Kosten sich bei künftigen Projekten in marktwirtschaftlichen Dimensionen bewegen.
33 Millionen Franken hat ewb für das Projekt budgetiert. 51% der Kosten übernimmt das BFE. Aus welchen Töpfen?
Das BFE unterstützt beim Projekt Forsthaus verschiedene Aspekte mit unterschiedlichen Mitteln:
Ein Teil der Finanzierung läuft über das Programm Pilot- und Demonstrationsprojekte der Energieforschung. Denn: Solche Hochtemperatur-Geospeicher können einen wesentlichen Teil zum nachhaltigen saisonalen Ausgleich des Energiesystems leisten. Bis jetzt werden die Bedarfsspitzen bei Wärme häufig durch Gaskessel gedeckt. Der Gasanteil kann durch den Bau von Wärmespeichern stark reduziert werden und ist somit ein wichtiger Teil für die Erreichung des Netto-Null Ziels und senkt die energetische Abhängigkeit vom Ausland.
Für die Erkundung des Untergrunds hat das BFE auch Geothermie-Förderbeiträge gesprochen. Diese Beiträge dienen der Suche nach förderbaren Geothermieressourcen zur direkten Wärmenutzung.
Die Beiträge werden in Tranchen ausbezahlt und sind an das Erreichen technischer Meilensteine geknüpft.
Wie gross ist das Potenzial für andere solche Geospeicher in der Schweiz? Gibt es andere Projekte?
Das Potenzial ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Die ersten Pionier-Projekte liefern Grundlagen, um das Potenzial abschätzen zu können. Es gibt verschiedene Typen von Hochtemperatur-Langzeitwärmespeichern. Diese Speicher unterstützen die Sektorkopplung und unterstützen den saisonalen Ausgleich, sofern sie mit Überschüssen an nicht vermeidbarer Abwärme oder Umweltwärme geladen werden.
Welche Rolle können solche Geospeicher für die Winter-Versorgung spielen?
Geospeicher sind eine Technologie der thermischen Langzeitspeicherung. Sie haben den Vorteil, dass das Volumen im Untergrund genutzt werden kann und die Wärme schnell abrufbar ist. Daher eignen sie sich, um Winterspitzen auszugleichen. Langzeit-Wärmespeicher ermöglichen die vorhandene, nicht vermeidbare Abwärme aufzunehmen und in Zeiten, wo das Angebot an Umweltenergie geringer ist, einzusetzen.
Der Geospeicher speichert Wärme, aber es braucht im Winter ja vor allem auch mehr Strom? Kann der Geospeicher überhaupt eine Rolle spielen?
Durch Geospeicher müssen weniger lagerbare Energieträger für die Wärmebereitstellung verbrannt werden. Diese stehen dadurch für Hochtemperatur-Anwendungen in der Industrie oder für die Stromproduktion zur Verfügung. Werden Fernwärmenetze auch durch Wärmepumpen alimentiert, kann ein saisonaler Wärmespeicher deren Laufzeiten im Winter reduzieren oder deren Effizienz verbessern, wodurch insbesondere in der kritischen Winterzeit der Strombedarf gesenkt werden kann.
Links zum Thema Wärmespeicher: Wärmespeicherung (admin.ch); HEATSTORE
Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Hauptbild: Adrian Moser
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