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Wie nachhaltig baut und saniert die Schweiz? Der Reality Check des Experten


Die alte Ölheizung durch ein Heizsystem aus erneuerbaren Energien ersetzen, die Fassade dämmen, mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach Strom für den eigenen Bedarf produzieren: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man im Gebäudebereich nachhaltig bauen und sanieren kann. Am Schweizer Bauforum, dem Jahresanlass der Bau- und Immobilienbranche, in Luzern vom 18. November, das dieses Jahr virtuell stattfindet, geht es ums Thema «Nachhaltiges Bauen».

Wie nachhaltig wird in der Praxis tatsächlich gebaut? Was bewährt sich? Ist nachhaltiges Bauen vor allem mit hohen Kosten verbunden?

Einer der Referierenden ist Holger Wallbaum, Professor für nachhaltiges Bauen am Departement für Architektur- und Bauingenieurwissenschaften an der technischen Hochschule in Göteborg, Schweden. Zwischen 2006 und 2012 war er Assistenz-Professor an der ETH in Zürich. Im Interview mit Energeiaplus erklärt er, wo er Handlungsbedarf sieht und warum sich nachhaltiges Bauen in jedem Fall auszahlt – nicht nur für die Umwelt sondern auch im Portemonnaie.

Energeiaplus: Was sagen Sie Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern, die vor allem hohe Kosten und komplizierte Verfahren auf sich zukommen sehen, wenn sie an nachhaltiges Bauen oder sanieren denken?

Holger Wallbaum: Diverse Studien belegen, dass ein nachhaltigeres Bauen nur mit sehr geringen Mehrkosten einhergeht. Dies trifft insbesondere zu, wenn diese Zielsetzung von Beginn an konsequent bedacht und planungsleitend ist – und natürlich dass qualifizierte Planer und Bauausführende ausgewählt werden.

Hinzu kommt: Bei der Abschätzung von Baukosten muss man immer mit grösseren Abweichungen rechnen. Das macht meist mehr aus in der Endabrechnung als die Mehrkosten, die für nachhaltiges Bauen anfallen.

Die Schweiz ist ein Land von Mieterinnen und Mieter: Sind die Hauseigentümerinnen und –eigentümer bereit, nachhaltig zu bauen und zu sanieren. Was stellen Sie da fest?

Da haben wir häufig das sogenannte «split-incentive-Problem». Das heisst: Die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer tragen die Kosten für die Sanierung, die Mietenden profitieren von geringeren Heizkosten und erhöhtem Wohnkomfort. Aber auch hier ist zu sagen, dass viele der energetisch wirksamen Massnahmen durch kluge Planung auch verringert werden können. Zum anderen können viele Sanierungsaufwendungen aber auch auf die Mietenden umgewälzt werden.

 

«Die grossen Kostentreiber sind nicht energetische Massnahmen»

 

Hier sehen wir aber häufig, dass die wahren Kostentreiber oft die nicht-energetisch wirksamen Massnahmen sind – wie die Renovierung der Bäder und Küchen. Auch wird die Sanierung oft durchgeführt, um den Mietzins weiter anheben zu können.

Die sozio-ökonomischen Konsequenzen sehen wir in den meisten urbanen Räumen. Hier haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen bezahlbaren und gleichzeitig energetisch-optimierten und komfortablen Wohnraum schaffen beziehungsweise behalten. Dabei sind auch die Verfahren noch einmal zu überdenken und schlanker zu gestalten.

Im Gebäudepark liegt viel Potenzial punkto Nachhaltigkeit und Energieeffizienz: Was braucht es in Ihren Augen, um Hauseigentümer und Hauseigentümerinnen ins Boot zu holen?

Sicherlich braucht es hier erst einmal einen guten Überblick zur Ausgangslage, also den Verbräuchen an Wärme, Kälte und Elektrizität, den zur Verfügungen stehenden Potenzialen, wie bspw. Erdwärmepumpen, Solarenergie etc. Dann braucht es auf der Ebene der Quartiere einen «Knowledge broker/Energie Quartierscoach», jemand der die Kompetenzen besitzt mit den HauseigentümerInnen zu kommunizieren, Interessenlagen einzuschätzen und Potenziale aufzuzeigen. Voraussetzung sind hohes Fachwissen sowie ökonomischer Fachverstand und im besten Fall auch Entscheidungskompetenz. Hilfreich sind dabei auch Fördermittel bei der Umsetzung.

Ist das Konzept nachhaltiges Bauen überhaupt angekommen bei jenen, die das auch berappen – den Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern. Was stellen Sie fest?

Ja und nein. Es gilt, weiter die Rahmenbedingungen zu verändern, und das wird nicht ohne signifikanten Eingriff des Staates gehen, wenn man die Energie- und Klimaziele erreichen will.

 

«Wir müssen erkennen, dass nicht-agieren unattraktiv und unwirtschaftlich ist.»

 

Ihre erste Frage zu den hohen Kosten und komplizierten Verfahren zeigt ja eindeutig, dass das (noch) die primäre Wahrnehmung ist. Schöner wäre es doch gewesen, wenn die Frage gelautet hätte, «Das nachhaltige Bauen und die Gebäudesanierung reduzieren das Risiko eines zukünftigen Werteverlustes, die Wohnqualität steigt und das Klima profitiert auch davon, warum sehen das denn nicht alle Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern?». Hier müssen wir doch hinkommen, dass nicht-agieren unattraktiv und unwirtschaftlich ist. Hierin sehe ich eine grosse Aufgabe.

Wie sieht es bei der Baubranche aus? Hat es da genügend Fachkräfte, die sich mit Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, Dämmung und Isolation auskennen?

Die Schweiz steht hinsichtlich der Fachkompetenz im Vergleich zu den meisten anderen Ländern in Europa sehr gut da. Dennoch, die Gebäudesanierungskompetenz ist deutlich ausbaufähig. Wie viele Hoch- und Fachhochschulen bieten spezifische Bachelor- und Master-Studiengänge zur Gebäudesanierung an? Im Bereich der Energietechnik ist mein Eindruck, da ist man bereits weiter als auf der Planerseite. Aber auch in der Schweiz habe ich meine Zweifel, dass es genug Fachkräfte gibt, wenn wir eine Sanierungsrate von ca. 3 Prozent des Gebäudebestandes pro Jahr erreichen wollen, was notwendig erscheint, um die Klimaziele zu erreichen.

Wo sehen Sie am meisten Handlungsbedarf? bei der Ausbildung? Beratungskompetenz?

Es braucht ein Massnahmenbündel, ohne Frage. Es beginnt bei der Aus- und Weiterbildung in allen Bereichen. Auch hier ist die Schweiz bereits weiter als viele andere Länder mit einigen CAS, MAS etc. Aber bei der Sanierungskompetenz muss sicherlich noch viel getan werden. Die Rahmenbedingungen sind zu verändern, um die Anreize auszubauen und Verfahren zu verschlanken. Energie-Coaches auf der Quartiersebene sollten etabliert werden. Gebäudeinventare und Inventarisierungsverfahren und -technologien sind zu entwickeln.

Das Interview führte Brigitte Mader, Kommunikation Bundesamt für Energie

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