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Ein Markt für Effizienzdienstleistungen in der Schweiz?


Das Parlament berät derzeit das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Zur Stärkung der Versorgungssicherheit im Winter will der Nationalrat darin ein Instrument für die Verbesserung der Energieeffizienz verankern: Die Schaffung eines Marktes für Effizienzdienstleistungen. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (UREK-S) hat dieses Modell bestätigt, wie sie in ihrer Medienmitteilung vom 12. Mai 2023 berichtet.  Was muss man sich unter einem Markt für Effizienzdienstleistungen vorstellen? Energeiaplus hat bei Kurt Bisang, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Energieeffizienz und erneuerbare Energien beim Bundesamt für Energie, nachgefragt.

Energieaplus: Das Parlament will mit Effizienzmassnahmen bis 2035 jährlich zusätzlich 2 TWh an Strom einsparen. Ein Instrument, um das zu erreichen, ist die Schaffung eines Marktes für Effizienzdienstleistungen. Was ist konkret mit Effizienzdienstleistungen gemeint?

Kurt Bisang, Leiter Sektion Geräte und Wettbewerbliche Ausschreibungen; Bild: BFE

Kurt Bisang: Strom braucht es in fast allen Bereichen des täglichen Lebens und der Wirtschaft. Entsprechend gibt es auch eine breite Palette an möglichen Effizienzmassnahmen. Oft kann eine Beratung oder Unterstützung, eben eine Effizienzdienstleistung, den entscheidenden Impuls dazu geben. Konkret kann diese daraus bestehen, dass Messungen und Analysen von Produktionsanlagen in der Industrie durchgeführt werden. So können die Anlagen dann besser ausgelegt, Frequenzumformer nachgerüstet oder einzelne Komponenten wie Motoren oder Pumpen ersetzt werden. In Bürogebäuden, Schulen, Mehrfamilienhäusern, Hotels und anderen Gebäuden kann die Effizienzdienstleistung eine Begleitung für den Ersatz von Lüftungen und Aufzügen oder eine professionelle Planung von effizienten Beleuchtungen bieten. Effizienzdienstleistungen können auch den Stromverbrauch in einem Gewerbebetrieb von Grund auf analysieren und Massnahmen vorschlagen oder sie können Haushalte unterstützen, die effizientesten Elektrogeräte einzusetzen.

Das Effizienzmodell sagt also nicht, in welchen Bereichen Strom gespart werden soll?

Genau. Das wird dem Markt überlassen. Die Effizienz soll zuerst dort gesteigert werden, wo dies mit möglichst wenig Aufwand und am günstigsten möglich ist. Die Effizienzdienstleistung unterstützt die Endverbraucherinnen und Endverbrauchern dabei.

Das Effizienzmodell will nun einen Markt für Effizienzdienstleistungen schaffen. Dazu erhalten Elektrizitätslieferanten eine Zielvorgabe. Was bedeutet die Zielvorgabe konkret?

Nehmen wir an, ein Elektrizitätslieferant verkauft an seine Endverbraucherinnen und Endverbraucher 200 GWh Strom pro Jahr. Dieser Elektrizitätslieferant erhält nun die Vorgabe, davon einen bestimmten Anteil – im Gesetzesentwurf vorgesehen sind maximal 2% – durch Effizienzmassnahmen einzusparen. In unserem Beispiel müsste der Lieferant also 4 GWh Strom mit Effizienzmassnahmen einsparen. Würde er im nächsten Jahr mehr Strom verkaufen, z.B. 300 GWh, müsste er 6 GWh einsparen und somit mehr Effizienzmassnahmen nachweisen, verkauft er weniger, z.B. 100 GWh, müsste er 2 GWh nachweisen.

Wieso sollen Elektrizitätslieferanten dafür sorgen, dass weniger Strom verbraucht wird?  Wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht?

Kurt Bisang: Es ist zunächst ganz wichtig zu betonen, dass es sich um ein Effizienzmodell handelt und nicht um ein Modell zur Verringerung des Stromverbrauchs. Es gibt zwei separate Geschäftsbereiche oder Märkte: Den des Stromverkaufs und den der Effizienzdienstleistungen. Die Nachfrage nach Strom wird künftig zunehmen, weil die Dekarbonisierung nur mit einer Elektrifizierung gelingt. Elektrizität ersetzt dabei die fossilen Energieträger fürs Heizen, die Mobilität oder die Produktion von Prozesswärme in der Industrie. Elektrizitätslieferanten sollen weiterhin Strom verkaufen. Für die Versorgungssicherheit und den Klimaschutz ist es aber wichtig, dass wir dort, wo derzeit viel Strom verbraucht wird, die Effizienz steigern. Beispielsweise bei den Motoren und Antrieben in der Industrie oder der Beleuchtung. Ohne Stromeffizienz werden wir die Ziele der Energie- und Klimapolitik nicht erreichen. Es gibt viele Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die das seit längerem erkannt haben und tätig geworden sind. Diese Unternehmen zeigen, dass es möglich ist, Stromverkauf und Effizienzdienstleistungen aus einer Hand anzubieten. Das Effizienzmodell lässt es den Energieversorgungsunternehmen zudem offen, ob sie selber einen Geschäftsbereich aufbauen wollen oder die Effizienzdienstleistungen lieber an einen Dritten auslagern.

Die Elektrizitätslieferanten sollen die Zielvorgabe erfüllen, indem sie einen Nachweis von Massnahmen zur Effizienzsteigerung erbringen. Was heisst das konkret?

Die Massnahmen müssen bei Endverbraucherinnen und Endverbrauchern in der Schweiz umgesetzt werden. In den meisten Fällen können die eingesparten Kilowattstunden rechnerisch aufgrund von Erfahrungswerten abgeleitet werden. Bei komplexen Anlagen kann ein Nachweis anhand einer Messung Sinn machen, insbesondere wenn die Messung sowieso vorgesehen ist, um die Anlage optimal zu betreiben.

Und wenn es bei den Endverbraucherinnen und Endverbrauchern nach Umsetzung der Effizienzdienstleistungen zu grösseren Änderungen kommt? Haften dann die Elektrizitätslieferanten?

Kurt Bisang: Ausschlaggebend ist die Effizienzsteigerung gegenüber der wahrscheinlichen Entwicklung ohne Effizienzdienstleistung. Ein Beispiel: Ein Energiedienstleister berät ein Industrieunternehmen, damit dieses seine Förderanlage erneuern und optimal steuern kann. Die Effizienzverbesserung wird im Vergleich zum Stromverbrauch der bisherigen Anlage bei einer ähnlichen Auslastung berechnet. Wenn beim Industrieunternehmen die Nachfrage einbricht und die Förderanlage deshalb stillsteht (und dadurch kein Strom mehr verbraucht wird), ist das keine Effizienzverbesserung. Wenn das Industrieunternehmen seine Produktion ausweitet und plötzlich viel mehr produziert, werden die berechneten Effizienzverbesserungen aber nicht reduziert. Solche Korrekturen haben sich auch bei anderen Effizienzmodellen bewährt. Sie geben unter dem Strich ein korrektes Bild der Einsparungen wieder. Die Effizienzdienstleister erhalten dadurch mehr Planungssicherheit.

Was passiert, wenn ein Elektrizitätslieferant das Ziel nicht erreicht? Und wird der Bund den Elektrizitätslieferanten helfen, das Effizienzmodell umzusetzen?

Das Bundesamt für Energie wird eine Liste von Standardmassnahmen veröffentlichen. Zudem gibt es ein Vorgehen, wie weitere Massnahmen, die nicht auf der Liste sind, angerechnet werden können. Die verpflichteten Elektrizitätslieferanten können Dritte mandatieren, um Effizienzdienstleistungen zu erbringen, sich gegenseitig Nachweise verkaufen oder überschüssige Nachweise im nächsten Jahr verwenden. Die Ziele müssen zudem gemittelt über eine Periode von drei Jahren erreicht werden. Wenn das alles nicht genügt, muss der Elektrizitätslieferant für die verfehlten Einsparungen eine Geldbusse bezahlen und er muss zudem die verfehlten Einsparungen in der nächsten Verpflichtungsperiode zusätzlich erzielen. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass es zwar zu Sanktionen kommt, diese aber die Ausnahme darstellen.

Wer profitiert vom Effizienzmodell? Und wer bezahlt dafür?

Mehr Energieeffizienz stärkt die Versorgungssicherheit der Schweiz. Davon profitieren alle. Zudem können Unternehmen und Haushalte, die dank der Effizienzdienstleistungen eigene Massnahmen umsetzen, ihre Stromrechnung entlasten. Für die Energielieferanten bringt das Effizienzmodell zwar eine neue Verpflichtung. Mit einer geschickten Umsetzung können sie aber mit den Effizienzdienstleistungen ein neues erfolgreiches Geschäftsmodell aufbauen. Die Hersteller von effizienten Anlagen und Geräten und bereits bestehende Effizienzdienstleister profitieren ebenfalls, weil die Nachfrage zunimmt und über längere Zeit gesichert wird. Bei den Elektrizitätslieferanten entstehen Kosten, die über die Energiekomponente des Strompreises abgewälzt wird. Wie hoch diese sind, lässt sich schwer abschätzen. Die Elektrizitätslieferanten haben aber einen Anreiz, die Effizienzdienstleistungen möglichst kostengünstig zu erbringen und die Kosten so tief wie möglich zu halten.

Braucht es überhaupt ein Effizienzmodell? Genügen denn die bestehenden Instrumente nicht?

Mit dem Effizienzmodell kann im Gesetz ein Ziel für die Stromeffizienz vorgegeben werden. Alle Elektrizitätslieferanten – das sind mehrere hundert Unternehmen – werden sich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie Effizienzdienstleistungen möglichst breit und kostengünstig umsetzen können. Beides geht klar weiter als die bestehenden Instrumente für die Stromeffizienz. Rund 15 europäische Länder sowie mehrere Staaten in der USA setzen übrigens auf ähnliche Modelle.

Und wenn irgendwann alle Effizienzmassnahmen umgesetzt sind und die Effizienzdienstleister im Markt kaum noch Massnahmen finden?

Das Effizienzpotenzial ist heute sehr hoch. Viele Unternehmen und Haushalte könnten viel Energie und Geld einsparen, ohne Komforteinbussen zu haben. Sie tun es aber oft nicht, weil sie andere Prioritäten setzen oder nicht über die internen Ressourcen verfügen, um dem Thema nachzugehen. Oft werden auch die Einsparmöglichkeiten unterschätzt oder zu hohe Kosten befürchtet. Zudem werden neue Technologien entwickelt, die bisher unbekannte Potenziale erschliessen, und die den Weg in die Praxis finden müssen. Auf absehbare Zeit wird der Effizienzdienstleistung die Arbeit auch in der Schweiz nicht ausgehen.

Der Ständerat berät die Gesetzesrevision im Juni 2023 in der Sommersession weiter.

Interview: Marianne Zünd, Leiterin Medien und Politik, Bundesamt für Energie BFE

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