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BFE-Umfrage: Mehrheit fordert raschere Bewilligungsverfahren und rechnet mit grossen Veränderungen im Schweizer Strommarkt


222 oder rund 11% der über 2’000 Fach-Besucherinnen und Besucher der Messe Powertage 2022 haben Mitte Mai an der Umfrage am Stand des Bundesamts für Energie (BFE) mitgemacht. Unter dem Motto Formula 2050 fragte das BFE, wie die Erfolgsformel für den Strommarkt im Jahr 2050 aussehen soll. Die Ergebnisse der Umfrage sind teils überraschend: So erwarten die Teilnehmenden grosse Veränderungen in der Struktur der Schweizer Stromwirtschaft oder setzen auch im Jahr 2050 noch auf die inländische Kernenergieproduktion. Zur Sicherstellung der Stromversorgungssicherheit fordert die Mehrheit zudem viel raschere Bewilligungsverfahren für sämtliche Energieinfrastrukturen, sowie mehr Kompromissbereitschaft in der Bevölkerung und Politik.

Nur 32 Personen (14.4% der 222 Teilnehmenden) sind der Meinung, dass die Struktur der schweizerischen Elektrizitätswirtschaft im Jahr 2050 immer noch gleich sein wird wie heute. Es gäbe demnach immer noch die gleichen Energieversorgungsunternehmen (EVU) mit den gleichen Besitzverhältnissen (mehrheitlich Kantone und Gemeinden). Etwas mehr, nämlich 43 Personen (19.3%) denken, dass es 2050 in der Schweiz nur noch eine Handvoll grosser EVU und Netzbetreiber geben wird, die dafür grössere Regionen versorgen. Die grosse Mehrheit der Befragten, nämlich 139 (62.6%) sieht jedoch radikale Veränderungen:  2050 gibt es viel mehr unabhängige, private und lokale Erzeuger und Energieplattformen, auf denen der dezentral erzeugte Strom gehandelt wird. Acht weitere Umfrageteilnehmende (3.6%) geben Mischformen dieser drei Strukturmodelle an, schlagen für den Strommarkt eine Oberaufsicht durch den Bund wie bei den Krankenkassen vor, oder gehen davon aus, dass 2050 gar ein ständiger Strommangel herrsche, da der Ausbau der inländischen Erzeugung viel zu langsam vorankomme.

Sehr aufschlussreich ist die Auswertung zur Frage, wie sich die inländische Stromproduktion im Jahr 2050 zusammensetzen wird. Der Durchschnitt der 222 Antworten ergibt folgendes Bild: Wasserkraft 44.2%, Photovoltaik 21.6%, Kernenergie 11.6%, Windenergie 9.8%, Geothermie 5.6%, Biomasse 5.6% und andere (Gaskraftwerke, Importe, WKK, Wasserstoff) 1.6%. Ein Vergleich mit dem Produktionsmix 2050 der Energieperspektiven 2050+ (Szenario Basis ZERO) zeigt: Die Fachpersonen an den Powertagen bleiben der Kernenergie trotz dem von der Stimmbevölkerung 2017 beschlossenen schrittweisen Ausstieg treu, trauen der Photovoltaik bedeutend weniger zu als der Bund in seinen Modellrechnungen, sehen dafür aber höhere Produktionsanteile von Windenergie, Biomasse und Geothermie. Hier der Produktionsmix der Energieperspektiven 2050+: Wasserkraft 47.5%, Photovoltaik 40.1%, Kernenergie 0%, Windenergie 5.6%, Biomasse (inkl. Biogas, ARA und KVA) 2.9%, Geothermie 2.6%, Andere (fossile Stromproduktion gekoppelt und ungekoppelt) 1.3%.

Interessant ist, dass nur 93 der Befragten (41.9%) meinen, dass es 2050 keine Kernenergie mehr im Produktionsmix geben wird. Die restlichen 129 Fachleute geben für die Kernenergie Anteile zwischen 1-10% (60 Personen), 11-40% (59 Personen) und 41-80% (10 Personen) an. Bei der Photovoltaik ist das Lager der Skeptiker deutlich in der Überzahl: 190 Personen trauen der Photovoltaik einen Produktionsanteil im Jahr 2050 von nur 0-30% zu, nur 32 Personen geben Werte zwischen 31-60% an. Beim Produktionsanteil der Wasserkraft gibt es drei fast gleich grosse Fraktionen: 72 Personen sehen den Produktionsanteil der Wasserkraft im Jahr 2050 bei 5-30%, 75 Personen bei 31-50% und weitere 75 sehr optimistische Personen bei 51-80%.

Umfrage an den Powertagen 2022 

 

175 der 222 Teilnehmenden äusserten sich auch noch zur letzten Frage der Umfrage: Welche Probleme müssen heute gelöst werden, damit die Stromversorgung im Jahr 2050 sicher, bezahlbar und sauber sein wird? Es konnten jeweils mehrere Antworten gegeben werden.

75 Personen (42.8% der 175 Antwortenden) sehen den grössten und dringendsten Handlungsbedarf bei den Bewilligungsverfahren. Sie empfehlen, die regulatorischen und administrativen Hürden abzubauen und zwar sowohl beim Ausbau der Stromnetze, als auch beim Bau von Wasserkraftwerken, Windenergieanlagen, Biomassekraftwerken oder PV-Installationen. Kurz: Alle Infrastrukturen, die die inländische Versorgungssicherheit erhöhen, sollen möglichst rasch durch unkomplizierte Bewilligungsverfahren laufen und dann rasch gebaut werden. 39 Personen (22.3%) sehen Gesellschaft und Politik in der Pflicht, jetzt tragfähige Lösungen zu entwickeln: Sie sollen die verschiedenen Stromproduktionstechnologien akzeptieren, sie nicht gegeneinander ausspielen, zu Kompromissen bereit sein, mit den politischen Machtspielen aufhören und lernen, auch mal zu verzichten und Energie zu sparen. Energie und Energiesparen soll zudem Teil des Schulunterrichts werden, so dass die junge Generation einen entspannteren Zugang zu den verschiedenen Technologien lernen kann.

28 Personen (16.0%) finden, dass es nun rasch intelligente Netze und ein digital gesteuertes Lastmanagement braucht, um die unregelmässige Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen aber auch die neuen Verbraucher wie die Elektromobilität und Wärmepumpen besser und sicherer ins Stromnetz zu integrieren.

27 Personen (15.4%) sehen neben dem Ausbau der Stromproduktion im Inland insbesondere auch den Ausbau der Energiespeicherung als dringend an. Es braucht zentrale und dezentrale Speicher, um die saisonale Speicherung zu erhöhen, dazu sollen auch neue Speichermedien (wie Power-to-X) und die Sektorkopplung genutzt werden.

17 Personen (9.7%) wünschen sich mehr finanzielle Förderung für den Ausbau der erneuerbaren Energien, ebenso wie tiefere Planungs- und Installationskosten für PV-Anlagen, eine schweizweite Solarpflicht bei Neubauten, und überhaupt neue Marktmodelle für Energie mit nahezu null Grenzkosten.

14 Personen (8.0%) halten fest, dass es nun Zeit für die volle Öffnung des Strommarkts sei, um den Austausch und die Zusammenarbeit im Stromsektor mit den Ländern der EU zu verbessern und so die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz zu stärken. Zum Vergleich: In der BFE-Umfrage an den Powertagen 2018 sprachen sich fast 50% der Befragten für die volle Strommarktöffnung aus.

Marianne Zünd, Leiterin Medien + Politik BFE

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