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Der Begleitgruppenprozess zum Runden Tisch Wasserkraft


Am 18. August 2020 lud die damalige Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, Simonetta Sommaruga zu einem Runden Tisch Wasserkraft ein. Ziel war, ein gemeinsames Grundverständnis für die Herausforderungen der Wasserkraft vor dem Hintergrund der Energiestrategie 2050, dem Klimaziel Netto Null, der Versorgungssicherheit und dem Erhalt der Biodiversität zu finden.  Am 13. Dezember 2021 wurde der Runde Tisch mit einer gemeinsamen Erklärung abgeschlossen. Energeiaplus mit einem Rückblick der Begleitgruppe.

In dieser gemeinsamen Erklärung haben Umweltverbände, Energiebranche und Kantone auf 15 Projekte identifiziert, mit denen 2 TWh/a Winterspeicherkapazität zugebaut werden können und gleichzeitig der Eingriff in Natur und Landschaft möglichst klein gehalten werden kann. Der Runde Tisch empfiehlt zudem insbesondere, dass für die Projekte frühzeitig Ausgleichsmassnahmen zum Schutz von Biodiversität und Landschaft verhandelt werden. Wie kam es zu diesem Ergebnis?

Am Runden Tisch Wasserkraft vertreten waren Umweltverbände (WWF Schweiz, Pro Natura Schweiz, Schweizerischer Fischereiverband SFV und Stiftung Landschaftsschutz), kantonale Konferenzen (BPUK, RKGK und EnDK) sowie die Branche (Swisspower, Swiss Small Hydro, Axpo, VSE und SWV). Alle Beteiligten waren bereit, das Thema gemeinsam zu diskutieren und für die Erarbeitung von Grundlagen eine Begleitgruppe einzurichten. Diese setzte sich aus jeweils drei Fachexpertinnen bzw. Fachexperten jeder Stakeholdergruppe zusammen. Mitarbeitende des Bundesamts für Umwelt (BAFU) und des Bundesamts für Energie (BFE) begleiteten den Prozess und erledigten die aufgetragenen Arbeiten.

Die Begleitgruppe verschaffte sich zunächst einen Überblick über die Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Ausbau und Ökologisierung der Wasserkraftnutzung in der Schweiz, über die vorhandenen Projekte und Projektideen zu Grosswasserkraftwerken und mögliche Kriterien, nach denen diese Projekte bewertet werden könnten. Auch zu möglichen Empfehlungen für Ausgleichsmechanismen zum Schutz der Biodiversität, die Projektentwicklung und den Bewilligungsprozess gab es Überlegungen, beispielsweise zu Massnahmen, mit denen der Natur etwas zurückgegeben, beziehungsweise Naturwerte anderswo gesichert werden könnten.

Ausbauziel: 2 TWh Speicherproduktion

Die Diskussionen in der Begleitgruppe waren offen und konstruktiv, jedoch konnte auf dieser Fachebene nicht in allen Bereichen ein Konsens gefunden werden. Am zweiten Treffen des Runden Tischs vom 21. Juni 2021 wurde deshalb ein «Mandat der Begleitgruppe» formuliert. Darin festgelegt wurde der Auftrag, die energetisch meistversprechenden Wasserkraftprojekte zu identifizieren, die gleichzeitig mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und Landschaft umgesetzt werden können.

Dabei ist grundsätzlich ein Ausbauziel für die saisonale Speicherproduktion von 2 TWh/a bis 2040 anzustreben. Dieses Ziel hatte der Bundesrat im November 2020 als Eckwert für die Revision des StromVG festgelegt. Weiter sollte die Begleitgruppe Empfehlungen für allgemeine und projektspezifische Ausgleichmechanismen erarbeiten. Für die Moderation des Prozesses in der Begleitgruppe und zur Sicherstellung der Verwendung korrekter Bewertungsmethoden wurden Professor Michael Ambühl und Dr. Daniela Scherer von der ETH Zürich eingesetzt.

Zunächst wurde eine Methodenbeschrieb entwickelt, mit der die Projekte sowohl nach Umweltauswirkungen als auch nach energiewirtschaftlichen Kriterien beurteilt werden konnten. Da die Projekte einen sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand aufweisen, war eine Beurteilung aufgrund detaillierter Untersuchungen oder Umweltverträglichkeitsberichte nicht möglich.

Die Beurteilung erfolgte aufgrund von vorhandenen Umweltdaten. Angewendet wurde die Bewertungsmethodik auf alle Projekte, die als Neuanlagen oder Erweiterung über 50 GWh/a neue Speicherproduktion, bzw. als Staumauererhöhung über 35 GWh/a Speicherproduktion erreichen würden. Weitere Projekte wurden wegen voraussichtlicher Nichterfüllung rechtlicher und vertraglicher Grundlagen nicht vertieft bewertet. Diese Projekte wurden in einer separaten Pro Memoria-Liste festgehalten. Von der Schlussbewertung ausgeschlossen wurden auch Projekte mit neuen Staumauern in UNESCO-Perimetern.

Projekte identifizieren

Damit lagen nun eine energiewirtschaftliche Bewertung und eine Umweltbeurteilung vor, die es im nächsten Schritt zusammenzuführen galt. Ziel war jene Projekte zu identifizieren, welche dem Mandat der Begleitgruppe bestmöglich entsprachen. Die Begleitgruppe diskutierte dazu fünf verschiedene Zusammenführungsvarianten[1] . Die Rangierung rein nach der Energiebewertung und rein nach Umweltauswirkungen wurde verworfen, weil sie jeweils nur eine Dimension berücksichtigten.

Es wurden sodann drei verschiedene kombinierte Rangierungen betrachtet: Die Gesamtsumme der normierten Umwelt- und Energiegesamtbewertungen, die normierte Umweltgesamtbewertung dividiert durch die Energiegesamtbewertung und die normierte Umweltgesamtbewertung dividiert durch die normierte Bewertung der neuen saisonalen Speicherung. Letztlich entschied sich die Begleitgruppe für die Variante, bei welcher die Umweltbewertung durch die Bewertung der neuen saisonalen Speicherung dividiert wurde. Damit konnten die Projekte mit den geringsten Auswirkungen auf Biodiversität und Landschaft je zusätzlicher GWh Winterspeicherenergie identifiziert werden. Nicht berücksichtigt wurden hingegen Wirtschaftlichkeit und Sommerproduktion.

Zudem gab es verschiedene Projekte, die einander ausschlossen, sodass jeweils nur eines in die Auswahl aufgenommen werden konnte. Es handelte sich beispielsweise um zwei Projektvarianten am gleichen Standort oder zwei Speicherprojekte, bei denen das zufliessende Wasser voraussichtlich nicht für beide Projekte reichte. Das war vor allem für verschiedene Projekte im Grande-Dixence-Komplex ein Thema.

Unter anderem führte das dazu, dass ein Projekt mit isoliert betrachtet grösseren Umweltauswirkungen, aber mehr Speicherkapazität (Projekt Gorner mit 650 GWh/a Speicher) einem Projekt mit geringeren Umweltauswirkungen (Erhöhung der Grande Dixence-Staumauer mit 250 GWh Speicher) vorgezogen wurde. Um das angestrebte Ziel von 2 TWh/a zu erreichen, hätten sonst sechs zusätzliche Projekte in die Auswahl aufgenommen werden müssen, womit aber der kumulierte Biodiversitäts- und Landschaftseingriff pro steuerbare GWh/a deutlich grösser geworden wäre.

Begleitgruppe erarbeitet Empfehlungen zu Wasserkraftnutzung und Umweltschutz

Die so identifizierten Shortlist mit einer Zusammenführungsvariante  wurden im Anhang 1 der Gemeinsamen Erklärung des Runden Tisches aufgeführt. Die Liste hat indikativen Charakter und ist nicht abschliessend. Zu den gelisteten Projekten sollen vertiefte energiewirtschaftliche und ökologische Abklärungen vorgenommen und Verhandlungen zwischen den Umweltverbänden, den Betreibern und Kantonen aufgenommen werden. Durch die Aufnahme auf die Liste werden weder die ordentlichen Bewilligungsverfahren präjudiziert noch Verbandsbeschwerderechte tangiert. Ebenfalls ändert dies nichts an den Kompetenzen der zuständigen Behörden.

Zudem erarbeitete die Begleitgruppe eine Reihe von Empfehlungen, um die Wasserkraftnutzung besser mit den Zielen zum Schutz der Biodiversität und Landschaft zu vereinbaren. Es wird unter anderem betont, dass die bestehenden Schutzbestimmungen gemäss geltendem Recht eingehalten werden sollen (insbesondere Sicherstellung angemessener. Restwassermengen, Schutz von bestehenden Biotopen von nationaler Bedeutung, Festlegung von angemessenen Ersatzmassnahmen, vgl. Anhang 2 der Erklärung). Zudem soll die ökologische Sanierung der bestehenden Wasserkraftwerke so rasch wie möglich umgesetzt, und ausreichend finanziert werden.

Aufgrund des sehr unterschiedlichen Entwicklungs- und damit Kenntnisstands der Projekte konnte die Begleitgruppe keine konkreten projektspezifischen Ausgleichsmassnahmen definieren. Es wäre nicht seriös gewesen, diese ohne detailliertere Grundlagen und ohne Einbezug der betroffenen Akteure vor zu schlagen. In Anhang 3 der Gemeinsamen Erklärung wurde jedoch ein Vorgehen empfohlen, wie projektspezifische Ausgleichsmassnahmen im Einzelfall entwickelt und bewertet werden können.

Die Gemeinsame Erklärung wurde an der 3. Sitzung des Runden Tisches am 13. Dezember 2021 unterzeichnet. Sie enthält alle wesentlichen Vereinbarungen und Erklärungen, die den gefundenen Kompromiss charakterisieren. Damit trägt der Runde Tisch dazu bei, dass der angestrebte Ausbau der Winterspeicherenergie schlussendlich möglichst energetisch optimiert/effizient, naturverträglich und breit abgestützt umgesetzt werden kann.

Autorenschaft: Bundesamt für Energie und Bundesamt für Umwelt

Statements der involvierten Stakeholdergruppen zum Begleitgruppenprozess

Umweltverbände

Die Biodiversität ist lebenswichtig für uns Menschen, nimmt aber auch in der Schweiz seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Mehr als ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten und fast die Hälfte aller Lebensraumtypen sind hierzulande inzwischen gefährdet. Versorgungssicherheit, Ausbau der erneuerbaren Energien und Schutz von Natur und Klima müssen deswegen Hand in Hand gehen. Der Runde Tisch Wasserkraft hat gezeigt, dass im Dialog ausgewogene Lösungen hierfür möglich sind. Jetzt gilt es, das Gesamtpaket gemeinsam umzusetzen: Einerseits soll der Ausbau gezielt auf benötigte Leistungen für die Energiewende, die Winterspeicherenergie, sowie primär auf bereits vorbelastete Standorte fokussiert werden. Die Erhöhung bestehender Stauseen wird gegenüber Ersteingriffen in wertvolle Naturräume priorisiert. Gefördert werden sollen Anlagen, welche die Beeinträchtigung von Natur und Landschaft je produzierter steuerbarer Winterspeicherenergie minimieren. Andererseits soll der Ausbau eingebettet werden in umfassende Massnahmen zum Schutz der Natur, und das heisst:  Schutz unserer wertvollsten Biotope, Sicherung angemessener Restwassermengen, Sanierung der Schäden der bereits bestehenden intensiven Wasserkraftnutzung. Nur wenn wir auch den langfristigen Schutz der Lebensräume planen, können wir die Akzeptanz der Energiewende stärken und die Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten: beim Strom wie bei unseren biologischen Lebensgrundlagen.

Energiebranche

Für die Vertreter der Branche war stets klar, dass wir diesen Prozess mit hoher Objektivität und dem notwendigen Engagement unterstützen wollen. Erprobte Methoden zur Evaluation der am besten geeigneten Projekte waren nicht bekannt, weshalb in zahlreichen Sitzungen die Grundlagen dazu entwickelt werden mussten, die von allen mitgetragen wurden. Dies gelang nur, weil die Auswirkungen jedes einzelnen Kriteriums auf das Endergebnis nicht vorhersehbar waren. Erst mit der Gewichtung der einzelnen Kriterien und der Definition, wie die energiewirtschaftlichen Kriterien mit den Umwelt- und Landschaftskriterien zusammengeführt werden sollen, entstand das Ergebnis mit den am besten beurteilten Projekte zur Zielerreichung. Dass dazu 15 Projekte benötigt werden, war auch ein überraschendes Resultat. Im Bereich der allgemeinen Empfehlungen und der projektspezifischen Ausgleichsmassnahmen fehlte eine vergleichbare sachliche Vorgehensweise. Dank einer professionellen, externen Moderation konnte sich die Begleitgruppe letztendlich auch auf wesentliche Punkte einigen, welche von den Vertretern des Runden Tisches mitgetragen wurden.

Nun ist wichtig, dass diese Projekte zur Verbesserung der Versorgungssicherheit im Winter rasch umgesetzt werden. Das Parlament hat mit der Zustimmung zum entsprechenden Gesetzesartikel seine Bereitschaft gezeigt. Entscheidend ist aber auch, dass die involvierten Gemeinden und Kantone im Rahmen der Bewilligungsverfahren die Projekte unterstützen und bei weiteren Prozessen wie Restwertvereinbarungen und Neukonzessionierungen die rasche Projektentwicklung und -realisierung wohlwollend begleiten. Noch wichtiger ist aber, dass die im Prozess involvierten Stakeholdergruppen, sowie alle anderen beschwerdeberechtigten Organisationen dieses ausgehandelte Ergebnis akzeptieren.

Kantone

Die drei beteiligten kantonalen Konferenzen (EnDK, BPUK und RKGK) haben den Prozess konstruktiv begleitet und haben dabei vor allem auf folgende Punkte hingewiesen: Die Kantone bedauern, dass die Sicherung der bestehenden Produktion ausgeklammert worden ist. Hingegen begrüssen sie den Grundsatz, dass prioritär diejenigen Ausbauprojekte realisiert werden sollen, die den höchsten Nutzen im Verhältnis zum Eingriff in die Umwelt bringen. Deshalb haben sie intensiv an der Ausarbeitung von Kriterien zur Identifikation solcher Projekte mitgewirkt. Alle kantonalen Fachleute haben jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass aufgrund des sehr unterschiedlichen Entwicklungs- und damit Kenntnisstands der konkreten Projekte sowie aufgrund des enormen Zeitdruckes lediglich eine sehr oberflächliche Beurteilung der vorliegenden Projekte erfolgen könne.

Aus Sicht der Kantone kann eine solche Projektliste deshalb keinen verbindlichen, präjudiziellen oder gar abschliessenden Charakter haben. Die Verfahrenshoheit bleibt in jedem Fall bei den zuständigen Behörden. Die ordentlichen Bewilligungs- und Konzessionsverfahren werden davon nicht tangiert. Die Wirtschaftlichkeit hat bei der Auswahl der Projekte keine Rolle gespielt. Das heisst, es ist nicht sicher, ob sich für alle Projekte überhaupt Investoren finden.

Es ist also aus heutiger Sicht sehr unsicher, ob die Projekte auf der Liste wirklich realisiert werden können. Aus diesem Grund muss es möglich sein, weitere Projekte zu priorisieren, wenn sich herausstellt, dass das gesetzte Ziel von 2 TWh/a zusätzlicher Winterproduktion nicht erreicht und/oder die Stromversorgung im Winter nicht sichergestellt werden kann. Zudem haben die Kantone stets betont, dass es neben den nun als prioritär definierten Projekten auch weitere Projekte gibt, deren Realisierung sinnvoll ist. Diese dürfen durch die Arbeiten des Runden Tisches nicht verhindert werden.

 

Erklärung zu Ziffer 1 oben im Text:

[1] Die «Liste Zusammenführungsvarianten» ist eine Arbeitsversion der Begleitgruppe. Es stellt nicht die abschliessende Projektauswahl der «Gemeinsamen Erklärung» dar und ist in dieser Form weder selbsterklärend noch nachvollziehbar. Für die definitive Zusammenführungsvariante vgl. Link weiter unten im Text.

 

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