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Vehicle-to-Grid (V2G): Ist bidirektionales Laden in der Schweiz erlaubt?


Immer wieder erhielt das Bundesamt für Energie (BFE) in den vergangenen Monaten Anfragen von Privatpersonen zum rechtlichen Status von bidirektionalem Laden. So schrieb uns zum Beispiel Herr R. Er versteht nicht, warum er sein Elektroauto nicht bidirektional einsetzen kann. Der Hersteller vertröstet ihn, zuerst müsse die dazugehörige Software gesetzlich freigegeben werden. Ist das so? Was gilt denn punkto bidirektionalem Laden? Energeiaplus klärt auf.

Er sei Hausbesitzer, schreibt Herr R in seinem Mail ans BFE, verfüge über eine PV-Anlage mit Stromspeicher. Zudem habe er ein Auto und eine Wallbox zum Laden, die technisch bereit seien für bidirektionales Laden. Doch nutzen könne er das System nicht. Autohersteller, Lieferanten der Wallbox und der Verteilnetzbetrieber würden auf den Gesetzgeber verweisen: Das bidirektionale Laden sei gesetzlich noch nicht erlaubt. Diese Auskunft ist falsch.

Die rechtliche Situation in der Schweiz ist einfach und klar: Es gibt keine gesetzlichen Einschränkungen, welche den Einsatz von bidirektionalem Laden verbieten würden. Insbesondere Vehicle-to-Home (siehe Kasten) ist seit jeher erlaubt. Im Gesetz ist bidirektionales Laden zwar nicht explizit erwähnt. Das revidierte Stromgesetz (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien), das am am 1. Januar 2025 in Kraft getreten ist, schafft aber allgemeine Rahmenbedingungen für die dezentrale Stromproduktion, den Eigenverbrauch und die Speicherintegration. Rechtlich gesehen ist ein bidirektionales Elektroauto ein «Speicher mit Endverbrauch».

Bidirektionales Laden ist also erlaubt. Die Problematik bei Vehicle-to-Home (V2H) und insbesondere bei Vehicle-to-Grid (V2G) besteht darin, dass verschiedene Geräte miteinander kommunizieren müssen. Auto, Ladestation und allenfalls auch Energieversorger oder Energiemanagementsysteme.

Es wird in diesem Zusammenhang oft auf den Standard ISO 15118-20 verwiesen. Dieser internationale Standard für die Kommunikation zwischen Elektrofahrzeugen und Ladestationen ermöglicht fortgeschrittene Funktionen wie bidirektionales Laden, drahtloses Laden (Wireless Power Transfer) und verbessertes intelligentes Laden mit automatischer Abrechnung (Plug & Charge). Verbindlich ist dieser Standard allerdings derzeit nicht, und bei den Herstellern hat sich dieser Standard noch nicht durchgesetzt.

Wo hapert es also noch? Die Frage geht an Luca Castiglioni, Leiter Forschungsbereich Mobilität beim Bundesamt für Energie und an Olivier Stössel, Leiter Netze und Sicherheit beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE).

Energeiaplus: Bidirektionales Laden ist erlaubt in der Schweiz. Probleme gibt es bei der Kompatibilität der verschiedenen Geräte. Ein einheitlicher Standard wäre für die Nutzerinnen und Nutzer praktisch. Was ist denn der Stand der Technik?

Luca Castiglioni leitet den Forschungsbereich Mobilität beim Bundesamt für Energie; Bild: BFE

Luca Castiglioni: Die fehlende Kompatibilität zwischen verschiedenen Fahrzeugen und Ladestationen (Interoperabilität) ist zur Zeit die grösste Herausforderung. Aktuell können nur einige japanische Modelle basierend auf dem CHAdeMO-Standard interoperabel bidirektional laden.

Bei Fahrzeugen mit dem in Europa verbreiteten CCS-Stecker existieren bislang nur Lösungen, bei denen man auf den jeweiligen Hersteller angewiesen ist. So unterstützen z. B. die VW ID-Modelle bidirektionales Laden nur mit wenigen von VW zugelassenen Ladestationen. Zusätzliche Einschränkungen betreffen die zurück gespeiste Energiemenge und Entladeleistung. Diese Systeme basieren auf DC-Ladestationen, welche im Vergleich zu konventionellen Modellen teuer sind.

Andere Hersteller bieten AC-basierte Modelle an, welche in der Schweiz aber noch nicht verfügbar sind, resp. bei denen die bidirektionale Nutzung nicht freigeschaltet ist.

Laut Herrn R verweisen Hersteller und auch Energieversorger auf den Gesetzgeber. Auf der Homepage eines Energieversorgers steht zum Beispiel: «Für eine breite Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit fehlen jedoch ein gesetzlicher Rahmen und bessere Technik.»

Luca Castiglioni: An dieser Stelle muss nochmals klargestellt werden, dass es keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, welche bidirektionales Laden einschränken würden. In aller Regel ist ein fehlender, harmonisierter Standard gemeint, welcher die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladeinfrastruktur vereinheitlicht, konkret ISO 15118-20. Aktuell verfügbare herstellerabhängige Lösungen basieren auf spezifisch modifizierten ISO 15118-2x Protokollen. Die Erarbeitung und Durchsetzung eines verbindlichen, interoperablen Standards liegt im Prinzip in der Verantwortung der Fahrzeugbranche. Allerdings gibt es auch Bestrebungen seitens der EU oder auch des US-Bundesstaats Kalifornien (gemäss BIP-Ranking 2024, die 4.grösste Volkswirtschaft der Welt), ISO 15118-20 in Zukunft für Ladeinfrastruktur oder allenfalls auch für Neuwagen vorzuschreiben.

Wann wird ISO 15118-20 Standard sein?

Luca Castiglioni: Die Harmonisierung von ISO 15118-20 wird weiter voran getrieben, z. B. in der Task 53, einer Arbeitsgruppe des Technology Collaboration Programm der Internationalen Energieagentur (IEA), um eine globale Lösung zu finden.

Eine Lösung für DC-basierte Systeme wird frühestens ab 2028 zur Verfügung stehen. AC-basierte Systeme werden voraussichtlich noch später folgen, unter anderem auch, weil die einheitlichen technischen Vorschriften für Stromnetze in Europa noch nicht verabschiedet wurden.

Wie erklären Sie sich die Falschinformationen von Herstellern und Energieversorgern?

Olivier Stössel ist Leiter Netze und Sicherheit beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Bild: VSE

Olivier Stössel: Die VNB sind aktuell mit vielen Regeln und Vorgaben konfrontiert. Alle arbeiten engagiert daran, diese regulatorischen Anforderungen umzusetzen. Da bislang noch wenige bidirektionale Fahrzeuge im Einsatz sind, befindet sich das System noch in einer Phase des Übergangs. Erste Fahrzeughersteller führen bidirektionale Fahrzeuge ein und die Entwicklungen zeigen klar, dass das Thema an Wichtigkeit gewinnt. Wenn mehr bidirektional-fähige Fahrzeuge auf den Markt kommen, werden auch die Prozesse für die Abwicklung gezielt aufgebaut und optimiert.

Wie sehen die Anforderungen seitens Verteilnetzbetreiber aus bei einem V2G-Anschluss?

Olivier Stössel: Jedes Gerät mit mehr als 3.6kW Leistung muss dem VNB angemeldet und durch einen Elektriker installiert werden. Dies ist auch bei V2G Installationen der Fall. Die Abwicklung der Abrechnung kann sehr anspruchsvoll sein.

Gibt es Unterschiede zwischen V2H und V2G in der Praxis? Punkto Anschluss? Wer Strom ins Netz einspeist, erwartet eine Entschädigung?

Luca Castiglioni: Mit V2H kann man günstigen Solarstrom tagsüber ins Auto laden und abends/nachts ins Haus zurück speisen. Dadurch reduzieren sich die Energiekosten, da man mehr eigenen Solarstrom nutzen kann (Erhöhung Eigenverbrauch). Wenn ich mittels V2G Strom ins Netz einspeisen will, muss ich hingegen einen Abnehmer (Käufer) für meinen Strom finden. Es besteht keine generelle Abnahme- und Vergütungspflicht seitens Netzbetreiber.

Olivier Stössel: Wir haben seit 2016 in den Branchendokumenten beschrieben, wie V2H umgesetzt werden kann. Dies ist aus Sicht des Verteilnetzbetreibers nicht allzu anspruchsvoll.

Bei V2G sind die Prozesse insbesondere dann anspruchsvoll, wenn auch eine PV Anlage installiert ist. Die Berechnung der Rückerstattung der Netznutzung und die Ausstellung von Herkunftsnachweisen ist sehr komplex. Wenn ein Endverbraucher Energie aus der Batterie ins Netz einspeisen möchte, muss er einen Abnehmer finden. Der VNB muss nur die Energie aus der PV Anlage abnehmen, aber nicht Energie aus dem Speicher (in diesem Fall die Batterie des Elektroautos). Wenn der VNB an dieser Stelle einen Netzengpass hat, kann er aber ein Abnehmer sein und die Energie für die Entlastung eines Kabels oder Transformators nutzen und entschädigen.

Ab dem 1. Januar 2026 kann die Rückerstattung des Netznutzungsentgelt für eingespeisten Strom beantragt werden. Was bedeutet das für V2G?

Luca Castiglioni: Wer Strom aus dem Netz bezieht, bezahlt dafür ein Netznutzungsentgelt. Das neue Stromgesetz sieht vor, dass diese Gebühr im Falle von V2G zurückerstattet wird. Das macht V2G wirtschaftlich attraktiver, weil die relativ hohen Netznutzungsgebühren entfallen. Es ergeben sich so neue Geschäftsfelder im Bereich des Energiehandels oder bei Systemdienstleistungen.

Die Revision der Stromversorgungsverordnung, die per 1. Januar 2026 in Kraft tritt, sieht vor, dass das Netznutzungsentgelt für sämtlichen mittels V2G eingespeisten Strom zurückerstattet wird. In Zukunft werden allerdings zusätzliche Messpunkte notwendig sein, um nachzuweisen, dass der eingespeiste Strom tatsächlich vorher aus dem Netz bezogen wurde. Befindet sich hinter dem gleichen Anschlusspunkt eine Solaranlage, ist bereits heute ein zusätzlicher Zähler erforderlich.

Zum Schluss: Was raten Sie Leuten wie Herrn R, die bidirektional laden wollen?

Olivier Stössel: Im Moment ist bidirektionales Laden noch etwas für die Early Adopters, eine spannende Phase, die aber Geduld und Interesse voraussetzt. Herr R muss mit technischen und organisatorischen Hürden rechnen, da er überall (Fahrzeug & App, Wallbox, Energiemanagementsystem und VNB) der erste oder einer der ersten sein wird.

Luca Castiglioni: Es gilt, die technischen und wirtschaftlichen Aspekte genau zu betrachten: Geht es um V2H oder V2G? Sind Ladestation und Fahrzeug kompatibel? Kann ich damit überhaupt Geld verdienen und die Zusatzkosten für die Ladestation amortisieren? Auch muss man sich bewusst sein, dass die teure Ladestation mit künftigen Fahrzeugen unter Umständen nicht kompatibel ist.

V2H, V2G, V2X – Ein Glossar

V2H (Vehicle-to-Home): Ein Elektroauto lädt nicht nur Strom aus dem Hausnetz, sondern kann auch Strom ins Hausnetz zurückspeisen. So wird das Auto zur mobilen Batterie, die das Zuhause mit Energie versorgt – etwa bei Stromausfall oder zur Nutzung von günstigem Solarstrom.

V2G (Vehicle-to-Grid): Ermöglicht es Elektrofahrzeugen, Strom ins öffentliche Netz zurückzuspeisen und so zur Netzstabilität und Energieversorgung beizutragen.

V2X (Vehicle-to-Everything): Beschreibt die Fähigkeit von Elektrofahrzeugen, Strom mit verschiedenen Systemen in beide Richtungen (bidirektional) auszutauschen. Neben Gebäude (V2H) und Netz (V2G) kommen noch V2L (Vehicle-to-Load), also der Anschluss eines Verbrauchers wie z. B. einer Kühlbox oder V2V (Vehicle-to-Vehicle) dazu.

Mehr Infos: Postulatsbericht zu V2X

Text und Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Sun2Wheel

 

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