Neues Minergie-Zertifikat: «Wir wollen keinen unnötigen Verbrauch von Kilowattstunden in den Gebäuden»
Minergie hat im Mai 2025 mit «Minergie-Betrieb» ein neues Zertifikat lanciert: Anders als die bereits länger bestehenden Labels zeichnet «Minergie-Betrieb» Gebäude aus, die nicht nur energieeffizient gebaut, sondern auch energieeffizient betrieben werden. Warum braucht es dieses neue Zertifikat?
Das Gebäude ist gut gedämmt, die Wärme zum Heizen und für das Wasser stammt aus erneuerbaren Energien, zusätzlich liefert die PV-Anlage auf dem Dach noch Strom. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, dass man von einem energieeffizienten Gebäude reden kann. Doch: Ein Gebäude kann noch so gut geplant und gebaut sein, es muss auch gut betrieben werden, um das Potenzial an Energieeffizienz auszuschöpfen. Das Zertifikat «Minergie-Betrieb» setzt da an.
Was heisst das aber, ein Gebäude gut betreiben? Und warum ist das nicht zwingend erfüllt – auch bei einem Gebäude, das bereits Minergie-zertifiziert ist? Im Interview mit energeiaplus gibt Sabine von Stockar, Leiterin Bildung und Entwicklung sowie Geschäftsleitungsmitglied bei Minergie, Antworten auf diese Fragen. Sie hat das neue Zertifikat mitentwickelt.
Energeiaplus: Im Herbst 2023 wurden die Labels im Gebäudebereich verschäft und vor allem harmonisiert, um Klarheit und Transparenz zu schaffen. Nun gibt’s doch wieder ein neues Zertifikat. Warum braucht es dieses Zertifikat?

Sabine von Stockar hat das neue Zertifikat Minergie Betrieb mit-konzipiert. Bild: Minergie
Sabine von Stockar: Es braucht dieses Zertifikat unter anderem, weil der Energieverbrauch und der CO2-Ausstoss auch bei gut gebauten Gebäuden teilweise immer noch zu hoch sind. Wir benötigen weitere Wege, um diese Emissionen zu senken. «Minergie-Betrieb» ist einer davon. Die bisherigen Produkte der Labelfamilie standardisieren die Planung, die Erstellung und die Inbetriebsetzung von Gebäuden. «Minergie-Betrieb» baut methodisch auf diesen auf, ergänzt um zusätzliche den Betrieb betreffende Anforderungen. Das neue Zertifikat grenzt sich zu den bisherigen Baustandards klar ab und fokussiert sich auf den Betrieb eines Gebäudes.
Was heisst das konkret, ein Gebäude gut betreiben?
Wir wollen keinen unnötigen Verbrauch von Kilowattstunden in den Gebäuden. Bei den ersten «Minergie-Betrieb»-Zertifizierungen konnten wir mehrfach feststellen, dass zum Beispiel haustechnische Anlagen nicht richtig eingestellt waren oder sogar nicht funktionierten. In einem Gebäude wurde beispielsweise in den Sommermonaten ungewollt geheizt, die Wärmepumpen mussten während dieser Monate unnötig mehr als 3,5 Megawattstunden Wärme liefern (siehe Box). In einem anderen Gebäude wurde der Betrieb der Nutzung angepasst. Das heisst, nun wird mehr berücksichtigt, wann die Bewohnenden zu Hause sind, sprich: Es wird besser darauf geachtet, wann zum Beispiel das Wasser für Warmwasser aufgeheizt werden muss.
Wie wird ein effizienter Betrieb denn gemessen? Gibt es Referenzwerte, die eingehalten werden müssen, um das Zertifikat zu erhalten?
Der Referenzwert ist jeweils der Planwert eines Gebäudes, also der berechnete Energieverbrauch, der in der Planungsphase für den Energienachweis berechnet werden muss. Überschreitet der Energieverbrauch im laufenden Betrieb diesen Wert, ist klar, dass das Gebäude effizienter betrieben werden könnte, und es kann reagiert werden. Um diesen Abgleich einfach und laufend machen zu können, hat Minergie die zu messenden Energieverbräuche definiert und stellt eine digitalisierte Auswertung zur Verfügung («Monitoring+»).
Das Beispiel Mehrfamilienhaus in Reinach AG:
Das Mehrfamilienhaus der Helvetia-Anlagestiftung gehört zu den Pilotprojekten, die das Zertifikat «Minergie-Betrieb» erhalten haben. Es wurde im Jahr 2021 erstellt und umfasst 28 Wohnungen.
Bei den Messungen wurde Optimierungspotenzial bei der Heizung und der Warmwasseraufbereitung festgestellt. So wurde anfänglich auch in den Sommermonaten geheizt, und die Wärmepumpen mussten während dieser Zeit über 3,5 Megawattstunden Wärme liefern. Zudem wurde das Warmwasser zunächst nur durch den Heizstab und nicht durch die beiden Wärmepumpen erwärmt. Dadurch ergab sich ein deutlich höherer Verbrauch als notwendig.
Diese Effizienzlücken konnten sofort korrigiert werden – nicht zuletzt dank der bereits installierten automatischen Messsysteme der Bauherrschaft und der digitalen Auswertung «Monitoring+» von Minergie. Durch die gezielten Korrekturen konnte der Strombedarf um 15 Prozent und der Heizwärmebedarf um 21 Prozent gesenkt werden.
Gut 60 000 Gebäude sind mittlerweile Minergie-zertifiziert. Waren diese Gebäude bisher nicht energieeffizient genug?
Diese Gebäude sind energieeffizent gebaut und verbrauchen im Betrieb weniger Kilowattstunden als herkömmliche Gebäude. Oftmals geht es aber noch besser. Hier gilt es zu beachten: Egal ob mit Zeritifizierung oder ohne, alle Gebäude sollten nach einer ersten Inbetriebsetzung reguliert und laufend optimiert werden. Mit «Minergie-Betrieb» wird sichergestellt, dass Minergie-Gebäude keine Kilowattstunden im Betrieb verschwenden.
Das Zertifikat kostet zwischen 900 und 2300 Franken. Wer kann ein Interesse an diesem Zertifikat haben?
Das Zertifikat lohnt sich vor allem für institutionelle Eigentümerschaften mit grossen Portfolios. Im Durchschnitt werden 15 Prozent Energie dank einer Optimierung eingespart.15 Prozent der Energiekosten können bei einem Mehrfamilienhaus doch einiges ausmachen. Zudem ist es nicht nur fürs Portemonnaie der Institutionen eine gute Sache, die Optimierung kommt auch den Mietenden und dem Klima zugute. Einzelgebäude stellen mit dem Zertifikat sicher, dass sie gut betrieben werden. Wie hoch die konkrete Einsparung ist, kann stark variieren.
Was haben die Bewohnenden davon, wenn das Gebäude dieses Zertifikat trägt?
Wenn die Heizkosten sinken, kommt das den Bewohnenden bei der Nebenkostenabrechnung zugute.
Können nur bereits Minergie-zertifizierte Gebäude das Zertifikat «Minergie-Betrieb» erwerben?
Ja, die Auszeichnung kann nur für ein bereits Minergie-zertifiziertes Gebäude erworben werden.
Das Wichtigste kurz zu Minergie-Betrieb:
Frühestens ein Jahr nach der Fertigstellung des Gebäudes ist das Zertifikat erhältlich. Eigentümerschaften können dieses Zertifikat beantragen, wenn sie durch gute Bewirtschaftung unnötigen Energieverbrauch sowie Treibhausgasemissionen und hohe Betriebskosten vermeiden. Alle drei Jahre muss das Zertifikat wieder erneuert werden, um die Gültigkeit zu erhalten.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Mathias Hefti
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