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BFE-Direktor Benoît Revaz sur le terrain : Wie plant ein Gasversorger die Zukunft ohne Gas?


Gas soll in der Schweizer Energieversorgung durch erneuerbare Energien ersetzt werden und nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Immer mehr Gasleitungen werden deshalb stillgelegt, weil sie nicht mehr gebraucht werden. So auch in Winterthur. Im Rahmen seiner Besuche vor Ort liess sich Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE), in Begleitung von Christian Rütschi, stellvertretender Leiter Marktregulierung beim BFE, die Verhältnisse bei Stadtwerk Winterthur zeigen.

Urs Buchs, Bereichsleiter Technik Gas und Wasser und Gaby Meier, Projektleiterin begrüssen uns am Hauptsitz von Stadtwerk Winterthur. In der Netzleitstelle im zweiten Stock zeigen sie uns den Übersichtsplan des Winterthurer Gasleitungsnetzes. Es ist eine Karte mit einem Netz mit verschiedenfarbigen Linien. 250 Kilometer lang war das Netz ursprünglich, im April 2025 waren es noch 215 Kilometer, die die Winterthurerinnen und Winterthurer mit Gas zum Heizen, Kochen oder für Prozessenergie in der Industrie versorgen.

Urs Buchs zeigt auf eine kurze braune Linie im Norden des Versorgungsgebiets, ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern. «Dieses Gebiet wird nun vom Gasnetz getrennt, die Leitung stillgelegt.» An diesem 330 Meter langen Abschnitt waren rund ein Dutzend Häuser angeschlossen. Die Eigentümer haben ihre Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt.

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In den nächsten Jahren soll das gesamte Gasnetz schrittweise verkleinert werden. Ab 2040 soll Gas nur noch für Prozesse in den Industrie- und Gewerbezonen und zur Spitzenlastabdeckung in Wärmeverbunden zur Verfügung stehen. Im Gegenzug baut Stadtwerk Winterthur dort, wo möglich und geeignet, das Wärmenetz aus.

Hintergrund des Gasrückzugs ist das Energiegesetz des Kantons Zürich. Es verbietet seit 2022 den Ersatz von Gasheizungen. Im kommunalen Richtplan von 2023 wiederum ist festgelegt, wo und bis wann sich Stadtwerk Winterthur aus der Gasversorgung zurückzieht. Urs Buchs: «Wir wollen den Kundinnen und Kunden genug Vorlauf geben – zehn Jahre ist unser Ziel. 2023 haben wir 4000 Briefe an Gaskundinnen und -kunden verschickt. 10 Prozent von ihnen konnten wir bereits vom Gasnetz abtrennen.»

Wir fahren ins Einfamilienhaus-Quartier im Norden der Stadt, wo die Gasleitung am Tag unseres Besuchs definitiv stillgelegt wird. Die Leitung ist bereits vom restlichen Netz abgetrennt. An diesem Morgen geht es noch darum, das restliche Gas aus dem 330 Meter langen Abschnitt, der unter der Strasse durchführt, zu entfernen.

Vier Stadtwerk-Mitarbeiter treffen wir vor Ort. Der Zugang zur Gasleitung ist auf der Strasse, die Arbeiter haben die Stelle mit einem Absperrzaun gesichert. Ein Schlauch ragt aus der rund zehn Zentimeter grossen Öffnung in der Strasse hervor, die sonst mit einem Metalldeckel verschlossen ist. Der Schlauch führt von einem Siphon, der etwa einen Meter unter der Strassenoberfläche an der Leitung angebracht ist, zu einer Metallstange mit einer Fackel. «Das verbleibende Gas wird abgefackelt, um nicht unnötig Methan in die Atmosphäre entweichen zu lassen – Methan ist als Treibhausgas rund 25 Mal schädlicher als CO2», erklärt Robert Morf, der seit 30 Jahren im Bereich Unterhalt Gasnetz tätig ist. Dass hier Gas verbrannt wird, nehmen wohl die wenigsten vorbeifahrenden Autos wahr. Die Arbeiter tragen zwar Flammschutz-Anzüge, doch besonders explosiv wirkt die Situation nicht.

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BFE-Direktor Benoît Revaz fragt Robert Morf, was er zur Stilllegung des Gasnetzes sage. Gas werde es auch in Zukunft brauchen, ist Morf überzeugt – beispielsweise in der Autolackier-Branche, und man spürt seine Leidenschaft für seinen Beruf. Unterdessen brennt die Flamme der Fackel nur noch schwach, das Messgerät zeigt an, dass es kaum mehr Methan-Moleküle in der Leitung hat. Einen halben Tag hat das Ausgasen des Abschnitts gedauert. Jetzt gilt es noch, die Hausanschlussleitung in der Garage der Siedlung zu verzapfen. Dann ist endgültig Schluss mit Gas in diesem Quartier.

Was mit den stillgelegten Gasleitungen passiere, will Benoît Revaz wissen. Sie würden im Untergrund der Strasse verbleiben und nicht demontiert, sagt Urs Buchs. «Wir reissen nicht extra die Strasse auf, weil die Gasleitung nicht mehr gebraucht wird. Wir reden darum auch nicht von Rückbau, sondern von Rückzug.»

Und wie kommt dieser Rückzug bei der Kundschaft an? Samuel Schwitter ist Geschäftsführer der gaiwo, einer Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen in Winterthur. Er begrüsst uns in einer der 22 Siedlungen, die der Genossenschaft gehören. Ein- und Zweizimmerwohnungen gibt es dort. Die Mietzinse sind günstig. Aber: Die Siedlung ist in die Jahre gekommen, und für die Gasversorgung braucht es eine Alternative. Umfangreiche Investitionen stehen an.

Samuel Schwitter (rechts) vor der Siedlung an der Seuzacherstrasse in Winterthur, eine von 22 Siedlungen der gaiwo, die vom Gasrückzug betroffen ist.

Auch an anderen Standorten stellt sich die Frage, womit das Gas ersetzt werden soll. Jeder Fall sei anders, sagt Samuel Schwitter. Am einen Standort sei der Anschluss an die Fernwärme möglich, am anderen nicht. Erdsonden seien auch nicht überall möglich. Gemeinsam sei allen Projekten: Es sind grosse Investitionen nötig. «Das heisst aber auch: Mieten respektive Nebenkosten steigen. Mit dem Gasrückzug geht für die gaiwo auch erschwinglicher Wohnraum verloren», so Schwitter.

«Das sind durchaus grosse Herausforderungen», hält Benoît Revaz fest und macht den gaiwo-Geschäftsführer auf die Fördermöglichkeiten aufmerksam, die es für den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen durch klimafreundliche, erneuerbare Systeme gibt.

Es ist der fünfte Besuch von Benoît Revaz «sur le terrain». Welches Fazit zieht er? Was hat ihn beeindruckt? «Es ist mir wichtig, mich mit den Fachleuten auszutauschen, die täglich die Entscheidungen umsetzen, die vom Gesetzgeber im Energiebereich getroffen werden. Der Besuch in Winterthur hat mir gezeigt, dass es eine genaue Planung, eine gute Kommunikation mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und Fachwissen bei der Umsetzung erfordert, wenn eine Stadt auf einen wichtigen Energieträger wie Gas verzichten will.»

Hier geht’s zu den Berichten zu den anderen Besuchen von BFE-Direktor Benoît Revaz:

Text und Photos: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie (BFE)

 

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