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Wo der Watt d’Or Gewinner Dietrich Schwarz Handlungsbedarf beim nachhaltigen Bauen sieht


Verdichtung und Energieeffizienz: Das muss kein Widerspruch sein. Das zeigte das Neu- und Umbauprojekt in der Stadt Zürich, für das Dietrich Schwarz Architekten 2018 einen Watt d’Or des Bundesamtes für Energie BFE erhalten haben. Sie setzten dort bei der Aussenfassade eine speziell dünne Dämmung ein. Nun haben die Architekten das neue Gebäude des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos realisiert. Was ist besonders daran? Auf welche Innovationen setzen die Architekten seit dem Gewinn des Energiepreises. In unserer losen Follow-up-Serie zu bisherigen Watt d’Or-Gewinnern fragt energeiaplus bei Dietrich Schwarz nach.

Energeiaplus: Der Gewinn des Watt d’Or liegt schon ein paar Jahre zurück. Welche Innovationen zeichnen ihre Projekte heute aus?

Dietrich Schwarz ist Architekt und Verwaltungsrat und Geschäftsführer von Schwarz Architekten und Professor für Nachhaltiges Bauen UNI Liechtenstein und Vorstandsmitglied MINERGIE; Bild: Dietrich Schwarz

Dietrich Schwarz: In diesem innerstädtischen Projekt hatten wir neben den energetischen und räumlichen Herausforderungen auch den Schallschutz zur vielbefahrenen Hohlstrasse mit architektonischen «Schallschutzerkernen» gelöst. Diese plastische Fassadengestaltung ermöglicht Wohnungsgrundrisse mit Schlaf- und Wohnräumen zum Strassenraum. Dies ermöglicht das Gleichgewicht zwischen innerer Verdichtung und Lärmschutz.

Nachhaltiges Bauen bedarf einer ganzheitlichen Sicht. Dafür haben wir in der Praxis und in der Forschung Planungsprinzipien entwickelt, welche uns als Leitmotiv für eine bessere Lebensqualität der zukünftigen Gesellschaft dient. Aktuell setzen wir diese in einem Siedlungs-Projekt, in der Bodenseegemeinde Egnach über sechs Hektaren in ländlicher Umgebung ein, respektive für 2’000 Personen in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof. Dieses «Zukunftsdorf» soll auch die Nachbarschaft (-Hilfe) durch Mehrgenerationen-Wohnen, mit sozialen Treffpunkten und Kleingärten fördern.

Die dünne Aussenfassade und die Vakuumisolationsgläser, die Sie beim Neu- und Umbauprojekt an der Hohlstrasse 100 in Zürich verbauten, waren 2018 noch nicht Standard. Wie sieht das heute aus?

Interessanterweise geht das Know-how der Vakuum-Gläser auf eine 30-jährige Technologie zurück, welche sich aber aus ökonomisch-strategischen Gründen der Glasindustrie anfänglich in Europa nicht entfaltete. Wir haben die Gläser für das Projekt an der Hohlstrasse direkt aus China importiert. In der Zwischenzeit gibt es auch europäische Anbieter. Marktführer sind aber nach wie vor die Chinesen.

Ultradünne Passivhaus-Aussenwände zahlen sich vor allem dort aus, wo die Grundstückpreise hoch sind. Im Verhältnis zur gewonnenen Nettogeschossfläche lohnt es sich, das teure Aerogel als Dämmmaterial einzusetzen.

1996 erhielten Sie für Ihr Solarhaus in Domat Ems eine Auszeichnung. Heute ist PV nichts Aussergewöhnliches mehr. Wie zeigt sich das bei Ihren Projekten?

Das Solarhaus I war nach fünf-jähriger Planung und Erstellung mein Erstlingswerk mit einer Null-Energie-Jahresbilanz. Das ist auch heute noch für die meisten Häuser ein unerreichtes Ziel. Wie der Name es verrät, habe ich damals auf eine Solar-Gewinn-Strategie gesetzt. Die Sonneneinstrahlung wurde über transparent gedämmte Glasfassaden eingefangen und im schweren Betonhaus eingelagert. Die eigentliche Herausforderung war aber die aktive Steuerbarkeit dieser Fassade durch eine konsequente Entkopplung des Solargewinns und der Wärmespeicherung im Beton.

Die Auszeichnung durch den Bündner Heimatschutz zu einer Baute der Bündner Baukultur von 1950-2000, freut mich einerseits, andererseits erinnert es aber auch daran, dass eine ganze Generation Architekten und Architektinnen die Energiewende verschlafen hat.

Nachhaltiges Bauen beinhaltet weit mehr als PV auf Dach oder Fassade. Wo sehen Sie beim nachhaltigen Bauen die grössten Herausforderungen?

Ich möchte bei dieser sehr umfassenden Frage, beim Teilbereich Ressource und Energie bleiben. Als erstes müssen wir darauf achten, dass wir Bauten mit wenig grauer Energie erstellen, also im Bauprozess wenig Energie aufwenden. Der Holzbau bietet sehr gute Voraussetzungen zur Reduktion dieser Prozessenergie. Darüber hinaus speichern Bäume auf natürliche Weise CO2. Das Bauholz wird so zur willkommenen CO2-Senke. Dies bedingt aber eine kluge Konstruktionsweise, welche die Dauerhaftigkeit erhöht und die Wiederverwendbarkeit des Bauholzes ermöglicht. Dies gilt als zirkuläres Prinzip im Übrigen für alle anderen Baumaterialien genauso.

Weiter muss die Betriebsenergie des Gebäudes durch eine optimierte Gebäudehülle und eine sorgfältige Planung der Haustechnik reduziert werden. Idealerweise werden auch erneuerbare Energiequellen wie Photovoltaikpanels eingesetzt, nicht nur auf dem Dach, sondern auch in der Fassade. Im Winter mit wenig Solarertrag, aber grossem Heizenergiebedarf machen kleine Windturbinen zur Reduktion der Stromlücke Sinn.

Aktuell bauen wir unser erstes autarkes Wohnprojekt mit Wasserstoff als Saison-Strom-Speicher, (Auto-) Batterien als Tageszyklen-Strom-Speicher und Regenwasserzisternen für 60-70% des Wasserbedarfs.

In Davos haben Sie das neue Gebäude des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos realisiert. Das Gebäude sieht von aussen wie ein typisches Bürogebäude aus – viel Glas, Flachdach. Was ist das Besondere daran – punkto nachhaltigem Bauen?

Die Bauherrschaft – die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL als Teil des ETH-Bereichs – wollte ihr erstes Gebäude nach dem Schweizer Nachhaltigkeits-Standard SNBS realisieren, abgeschlossen haben wir es mit dem Platin-Level. Als Basis diente uns wie bei vielen unserer Vorgänger-Projekten der beste Minergie-P-A-ECO Standard. Ergänzt wurde dieser durch Detailarbeit, für die sozialen und ökonomischen Aspekte des Nachhaltigkeits-Standards. In Summe war es eine Freude für uns Planer und ein anerkannter Mehrwert für die künftigen Nutzerinnen und Nutzer mit kaum merklichen Mehrkosten.

Stichwort Energieeffizienz: Macht es einen Unterschied, ob ein Gebäude auf 400 Meter über Meer (Zürich) oder auf 1500 Meter realisiert wird – was Dämmung oder PV-Installation betrifft?

Nein, für ein energieeffizientes Haus mit Passivhaus-Hülle eigentlich nicht. Weil Zürich und Davos fast auf dem gleichen Breitengrad liegen, finden wir im Winter grundsätzlich an beiden Standorten gute Besonnung vor. Die tieferen Temperaturen in Davos werden durch die höhere Solareinstrahlung im schneebedeckten alpinen Umfeld wett gemacht.

Sie sind auch Professor für nachhaltiges Bauen, bilden also die nächste Generation Architekten und Architektinnen aus. Was sind die wichtigsten Punkte, die Sie den angehenden Fachleuten mitgeben wollen?

Will man die aktuellen und aufgestauten Defizite der Bauindustrie und die damit verbundenen gesellschaftlichen und ökologischen Folgen angehen, braucht es eine ganzheitliche Betrachtung.

Sinngemäss gilt dasselbe für die Lehre und Forschung. Hinzukommt, dass Forschung traditionell eine hohe Spezialisierung voraussetzt, um die nötige Tiefe in der Suche nach neuen Erkenntnissen zu erreichen. Dieser Wettbewerb in der Spezialisierung birgt enorme Gefahren, weil wie eingangs erwähnt ein derart hartes Schlaglicht auf das erforschte Objekt, Nuancen ausserhalb geradezu ausblendet. Zudem neigt die Industrie, inklusive der Bauindustrie dazu, Lösungen alleine über technische Innovationen lösen zu wollen. Technische Entwicklungen, die eine effizientere Nutzung eines Rohstoffes erlauben, können paradoxerweise dazu führen, dass dieser Rohstoff insgesamt mehr genutzt wird anstatt weniger. Dieses Phänomen wird als Rebound-Effekt bezeichnet.

Wir haben das nachhaltige Bauen in fünf wichtige Bereiche unterteilt: Ressourcen und Energie, Raum und Mobilität, Nahrung und Gesundheit, Demographie und Integration, sowie Werte und Ethik. Diese Themen hängen alle zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Unser Ziel ist es, ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Menschen und dem Schutz der Umwelt zu finden, damit jeder und jede eine gute Lebensqualität geniessen kann.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Hauptbild: Das neue SLF-Gebäude in Davos: bollephotography/Joanna Bolle

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