Energieforschung: SWEET-Konsortium CoSi bringt verschiedene Welten zusammen
Die Sozial- und Geisteswissenschaften finden in der Energieforschung im Vergleich zu den technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen weniger Berücksichtigung. Mit dem SWEET-Konsortium CoSi (Co-Evolution and Coordinated Simulation of the Swiss Energy System and Swiss Society) soll nun eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen und den Sozial- und Geisteswissenschaften geschaffen werden. Dazu wird das Konsortium untersuchen, wie sich die Entwicklung des Schweizer Energiesystems und der Schweizer Gesellschaft gegenseitig beeinflussen. Hannes Weigt, Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und Koordinator des Konsortiums, gibt Auskunft, wie CoSi die Herausforderungen angeht.
Energeiaplus: Die heutigen Simulationen und Modelle in der Energieforschung sind technologiezentriert und berücksichtigen vor allem Erkenntnisse der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Andere Wissenschaften wurden bisher nur wenig einbezogen. Einzig aus den Wirtschaftswissenschaften flossen einige Aspekte ein. Stimmt dieser Eindruck?
Hannes Weigt: Zum Teil. Es ist richtig, dass Energieszenarien typischerweise auf technologiezentrierten Modellen basieren. Sie bilden zum Beispiel ab, wieviel Strom oder Wärme in Zukunft benötigt wird und wie wir diese Energie bereitstellen können. Die Modelle werden im Englischen auch als «techno-economic» bezeichnet, was eine ökonomische Dimension impliziert. Aus den Wirtschaftswissenschaften sind aber in der Regel nur die Kosten abgebildet. Ökonomie bedeutet weit mehr, es geht dabei zum Beispiel auch um Unternehmen oder Märkte. Diese Dimensionen sind in den Modellen oft nicht enthalten.
Neben den Wirtschaftswissenschaften gibt es auch andere Sozial- und Geisteswissenschaften. Weshalb wurden diese bis anhin in den Modellen vernachlässigt?
In den Wirtschaftswissenschaften ist die Mathematik zentral. Damit stehen sie den technischen Wissenschaften in Bezug auf die Methodik etwas näher als andere Sozial- und Geisteswissenschaften. In der Rechtswissenschaft sind mathematische Gleichungen oder Berechnungen nicht notwendig. Diese Disziplin ist daher methodisch weit weg von energietechnischen Modellen. Demgegenüber sind in der Psychologie Datenauswertungen von Studien oder Experimenten Standard, und deren Einbettung in Erläuterungsmodelle von menschlichem Handeln sind technischen Modellen nicht unähnlich.
Aber das ist auch genau der wichtige Unterschied: Bei den Sozial- und Geisteswissenschaften geht es um Menschen. Ihr Verhalten lässt sich nicht so einfach in mathematische Modelle packen, wie Elektronen, Kraftwerke oder Heizungen. Das macht es schwierig, die Aspekte dieser Disziplinen einfliessen zu lassen. Mit CoSi versuchen wir, diese Welten einander näher zu bringen.
Wie gehen Sie vor, um die Aspekte aus den Sozial- und Geisteswissenschaften in die heutigen Modelle und Simulationen zu integrieren?
Wir stellen bei CoSi drei Fragen. Die erste: Was ist machbar? Diese Frage lässt sich mit den vorhandenen technologiezentrierten Modellen recht gut beantworten. Wir können zum Beispiel simulieren, wieviel Photovoltaik- oder Windanlagen wir in den nächsten Jahren zubauen können und verschiedene Szenarien erstellen. Damit wissen wir, was machbar ist – aus einer technischen, systemischen Perspektive.
Die zweite Frage können die heutigen Modelle nicht beantworten: Wo wollen wir hin? Welches dieser Szenarien sollen wir anpeilen? Dazu müssen wir einschätzen können, was das für unseren Alltag bedeutet. Wie sieht unser Leben aus, wenn die Energieversorgung erneuerbar ist? Hat das einen Einfluss auf unseren Tagesablauf? Solche Dimensionen können wir hier und da vielleicht noch aus den Modellen ableiten, aber die Antwort auf die Frage selbst liegt ausserhalb der Modellierung.
Und schliesslich die dritte Frage: Wie kommen wir dahin? Hier kommen die Modelle wieder ins Spiel. Wir können zum Beispiel berechnen, wieviel jährlich investiert werden muss, um die benötigten Photovoltaikanlagen zu erstellen. Die Welt ist aber komplexer als die notwendige Zubaumenge. Es stellen sich Fragen wie: Wer baut die Photovoltaikanlagen? Wem gehören die Dächer? Was sind die Anreize für Hausbesitzende, eine Anlage zu bauen? Wie ist die rechtliche Situation? Hier gilt es, die relevanten Aspekte zu identifizieren und in die bestehenden Modelle zu integrieren. Dafür erstellen wir Tools, die von den Forschergruppen genutzt werden können.
Wie werden diese Tools aussehen? Können Sie ein Beispiel machen?
Unsere Idee ist, die Welt der Modelle aus einer neuen Perspektive zu betrachten und der Vielschichtigkeit der Problemstellung und der Disziplinen Rechnung zu tragen. Die heutigen Modelle sollen bestehen bleiben, wo möglich weiterentwickelt und miteinander verknüpft werden.
So erarbeiten wir unter anderem verschiedene Modelle von Investitionsentscheidungen auf Endkundenebene in einem Team von Fachleuten aus der Psychologie, der Ökonomie und der Modellierung. Die Erkenntnisse aus diesen Modellen fliessen in die technologiezentrierten Energiesystem-Modelle ein. Das menschliche Handeln wird dabei nicht in den Modellen abgebildet, sondern in Form von zusätzlichen Restriktionen oder erweiterten Kosteninformationen, welche die verschiedenen Anreize der Endkunden abbilden, berücksichtigt.
Andere Arten der Verknüpfung, die sich zum Beispiel bei den Rechtswissenschaften anbieten, sind Analysen der Inputstrukturen und Randbedingungen der Modelle oder die Interpretation und Beurteilung der Simulationsergebnissen aus rechtlicher Sicht. Die Toolbox wird unter anderem solche Kombinationsmöglichkeiten aufzeigen.
Werden die Energieszenarien damit aussagekräftiger und bringen mehr Nutzen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?
Das ist eines unserer Ziele im ersten Modelllauf. Wir analysieren die Bedürfnisse der Anspruchsgruppe. Diese ist bunt gemischt, von Energieunternehmen und Firmen aus verschiedenen Branchen über Landwirte bis zu Umweltverbänden und Politik. Das ist eine Herausforderung. Wenn wir die Bedürfnisse kennen, werden wir die «low hanging fruits» ernten. Das heisst, wir werden mit den bestehenden Modellen angepasste Szenarioanalysen generieren und deren Ergebnisse so aufarbeiten, dass sie von den Anspruchsgruppen besser genutzt werden können.
Insgesamt führen wir in den nächsten neun Jahren drei Modelläufe durch. Im zweiten und dritten planen wir, auch neue Modelle aufzunehmen. Mit jedem Modelllauf wird die Integration der Disziplinen weiter voranschreiten.
Eine weitere Aufgabe von CoSi ist die Koordination und Harmonisierung der Simulationen, auch aus anderen SWEET-Konsortien. Was heisst das?
Wir möchten Grundstrukturen und Basisdaten harmonisieren. Diese werden wir in der Toolbox bereitstellen. Ergebnisse von Modellen, die auf gleichen Annahmen, zum Beispiel auf der gleichen Bevölkerungsentwicklung, basieren, lassen sich besser vergleichen. Es wird immer ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen bleiben, aber immerhin stehen die Bäume dann auf dem gleichen Feld. Wichtig ist: Harmonisieren heisst nicht «gleich machen». Den Forschergruppen bleibt es freigestellt, ob sie unsere Toolbox nutzen oder nicht. Es soll eine Dynamik unter den Forschenden entstehen, aus der neue Ideen entstehen.
CoSi soll die Akteure alle massgebenden Disziplinen integrieren, auch Gesellschaft und Wirtschaft sollen berücksichtigt werden. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?
Wir werden die Akteurinnen und Akteure auch physisch zusammenbringen. Es ist ein Gewinn für alle, wenn die Stimmen der Sozial- und Geisteswissenschaften in Politik und Gesellschaft vermehrt gehört werden. Ziel von CoSi ist eine breitere Integration über die Disziplinen hinweg. Der Fokus liegt aber auf Modellen und Szenarien.
SWEET – «SWiss Energy research for the Energy Transition» – ist ein Förderprogramm des Bundesamtes für Energie (BFE). Ziel von SWEET ist es, Innovationen zu fördern, die wesentlich zur erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie 2050 und zur Erreichung der Klimaziele der Schweiz beitragen. Das Konsortium CoSi hat den Zuschlag im Januar 2023 erhalten. Die Federführung hat die Universität Basel.
Interview: Christa Rosatzin-Strobel, Sprachwerk GmbH im Auftrag der Geschäftsstelle SWEET, Bundesamt für Energie (BFE)
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