"Der Weg zur Kohlenstoffneutralität ist noch weit"

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Wie jedes Jahr veröffentlicht die Internationale Energieagentur (IEA) den World Energy Outlook. Diesen Mittwoch wurde die Version 2021 online gestellt. Dieses Dokument, das seit 1977 besteht, bietet eine kritische Analyse des Energiebereichs anhand der von den Mitgliedern (30 Mitgliedsländer und die EU sowie 8 assoziierte Länder) bereitgestellten Informationen. Die Inhalte und Empfehlungen des Buches sind als Denkanstöße für die Staaten gedacht und nicht als Prognosen. Die Schweiz beteiligt sich auch an der Ausarbeitung dieses Berichts, der sich dieses Jahr mit den Veränderungen im Energiesektor nach der COVID-19-Krise und den Herausforderungen der globalen Erwärmung am Vorabend der COP 26 befasst. Interview mit Benoît Revaz, Direktor des Schweizerischen Bundesamtes für Energie und Schweizer Vertreter im IEA-Vorstand.

Benoît Revaz, die Internationale Energieagentur hat den "World Energy Outlook 2021" veröffentlicht. Die Herausforderungen für den globalen Energiesektor scheinen zuzunehmen und Veränderungen sind schnell notwendig?

Die für den World Energy Outlook (WEO) durchgeführte Analyse stellt fest, dass die Weltwirtschaft unter den Folgen der Pandemie leidet. Trotzdem wachsen Wind- und Photovoltaikenergie weiterhin rasant und der Absatz von Elektrofahrzeugen boomt. Leider zeigen die Daten auch, dass das derzeitige Tempo des Energiewandels nicht ausreicht, um die für 2050 angestrebte Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Der Druck auf das Energiesystem wird auch in Zukunft anhalten, da es für drei Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Die IEA begrüßt die Pläne und Programme der einzelnen Mitglieder, die jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichen, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen, da die derzeitigen Verpflichtungen weniger als 20 % der für die Erreichung der Ziele für 2030 erforderlichen Reduktion abdecken! Laut IEA gibt es auf technischer Ebene Lösungen (Elektrifizierung, Energieeffizienz, Verringerung der Methanemissionen), aber die Beschleunigung der Innovation im Bereich der erneuerbaren Energien muss jetzt Priorität haben. Die Finanzierung muss beschleunigt werden, um Energie- und Infrastrukturprojekte sicherzustellen.

Können sich steigende Energiepreise auf die Energiewende auswirken?

Das derzeitige Preisniveau ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die Staaten besorgniserregend. Zunächst einmal ist es das Ergebnis der wirtschaftlichen Erholung mit einem Wachstum von rund 6 % im Jahr 2021. Darüber hinaus könnten geplante und ungeplante Ausfälle bei der Stromerzeugung und -übertragung in einigen Teilen der Welt zu Unterbrechungen führen. Der letzte Winter war ungewöhnlich kalt, was zu einem höheren Energieverbrauch und geringeren Gasreserven geführt hat, aber das ist laut IEA nur ein Faktor. Es wurde behauptet, diese Preisexplosion sei die erste Krise beim Übergang zu erneuerbaren Energien. Nach Ansicht des Generaldirektors der IEA, Fatih Birol, ist dies keine korrekte Analyse. Die geordnete Umstellung der erneuerbaren Systeme ist nicht die Ursache des Problems, sondern die Lösung. Es ist eine Vision, die ich teile: Wir müssen unseren Anteil an erneuerbaren und sauberen Energien rasch erhöhen, aber entlang einer bestimmten Linie.

Wenn man die Empfehlungen und die Aufforderungen zur konkreten Steigerung der Produktion erneuerbarer Energien liest, wo steht die Schweiz dann unter den IEA-Mitgliedern?

Die Schweiz hat die niedrigsten Kohlendioxidemissionen im Energiesektor und steht bei der Energieintensität an zweiter Stelle unter den IEA-Mitgliedern. Unser Land ist in einer guten Position, da wir bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Kohle ausgestiegen sind. Aber wir sind immer noch zu 60 % abhängig von Öl und Gas. Dies gibt uns eine Vorstellung davon, wie weit wir gehen müssen, um im Jahr 2050 Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Es ist uns gelungen, die Entwicklung des Energieverbrauchs von der Entwicklung der Wirtschaft oder der Demografie unseres Landes zu entkoppeln. Wir müssen noch weiter gehen und unsere Energieintensität und unseren Kohlenstoff-Fußabdruck verringern. Wir haben keine Zeit, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen, denn jeder Moment der Untätigkeit vergrößert die Herausforderung, die Ziele für 2050 zu erreichen.

Text und Interview: Fabien Lüthi, BFE Kommunikation

Zusammenfassung des Berichts

Vollständiger Bericht auf Englisch

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