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Eines war schon bei den ersten Überlegungen zur Gestaltung des Minergie-P-zertifizierten Erweiterungsbaus der Suva-Rehabilitationsklinik in Sitten klar: Von der Architektur bis zur Gebäudetechnik sollte sich alles um die Sonne drehen. Mit seinen grossen Fenstern, Lichtschächten sowie Sonnenkollektoren und -modulen nutzt das neue Gebäude die Sonnenenergie in all ihren Formen: Licht, Wärme und Elektrizität.

Françoise Ellenberger ist Projektleiterin und Expertin für nachhaltige Entwicklung im Immobilienbereich der Suva. Sie koordinierte den Bau der Erweiterung der Clinique romande de réadaptation (CRR) in Sion, die vom Architekturbüro Itten+Brechbühl in Zusammenarbeit mit dem Generalunternehmen Erne entworfen wurde. Als Architektin ETH legt sie bei der Gestaltung von Wohn- und Arbeitsräumen großen Wert auf das Gesamtkonzept. In diesem Interview erklärt sie, warum der Neubau des RRC ein gelungenes Wagnis ist.

Wozu soll der neue Anbau dienen?
Der Erweiterungsbau soll Patientinnen und Patienten der Tagesrehabilitation aufnehmen, die zu weit entfernt wohnen, um täglich von Sitten nach Hause und zurück zu fahren. Das Gebäude verfügt über 20 Einzelzimmer mit Bad, drei Untersuchungsräume und einen Technikraum. Es wäre nicht sinnvoll, die Patienten in den umliegenden Hotels unterzubringen, da viele dieser Unterkünfte für Menschen mit eingeschränkter Mobilität nicht zugänglich sind.

Warum hat sich die Suva für ein Minergie-P-Gebäude entschieden?
Vor über zehn Jahren beschloss die Suva im Rahmen ihrer Immobilienstrategie, dass jedes neue Gebäude, das für den Eigenbedarf der Suva gebaut wird, den Minergie-P-Standard erfüllen muss. Auch die Erweiterung der zweiten Rehabilitationsklinik der Suva - in Bellikon - ist Minergie-P-zertifiziert.

Das heißt, beim Neubau wurden ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt?
Das ist richtig. Normalerweise gilt ein Gebäude bereits als nachhaltig, wenn es eine gute Energieeffizienz aufweist. Der menschliche Faktor muss jedoch ebenso berücksichtigt werden. Wir haben darauf geachtet, dass der Erweiterungsbau in Sion ein angenehmes Klima und viel natürliches Licht bietet. Die drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung verlangen von uns, auch die wirtschaftliche Dimension einzubeziehen. Daher war es für uns besonders wichtig, dass das Gebäude schnell errichtet werden konnte. Dank sorgfältiger Planung und der Wahl einer Holzkonstruktion, die im Vergleich zu einem Massivbau eine kürzere Trocknungszeit benötigt, gelang es uns, den Erweiterungsbau in Rekordzeit - in diesem Fall in sechs Monaten - zu errichten.

Sie haben die Frage der Energieeffizienz angesprochen. Wie wird diese im neuen Gebäude gewährleistet?
Energieeffizienz bedeutet gute Isolierung: Der Erweiterungsbau besteht hauptsächlich aus gut isolierten Holzelementen. Die hinterlüftete Fassade besteht vollständig aus Holzelementen. Für die Decke wurde eine Hybridkonstruktion aus Holz-Beton-Elementen gewählt. Eine Substratschicht bedeckt zudem das Dach. Die dünne Betonplatte sowie die Substratschicht sollen das physikalische Gesetz der Trägheit der Masse besser nutzen. Der Beton und die Substratschicht wirken also als Puffer, wenn die Außentemperaturen hoch oder niedrig sind.

Der Minergie-P-Standard verlangt eine gute Isolierung, aber auch die passive Nutzung der Sonnenenergie. Wie wird dies im neuen Gebäude umgesetzt?
Eigentlich hätten wir die Längsseite des Gebäudes nach Süden ausrichten müssen, um die passive Sonnenenergie maximal zu nutzen. Dies hätte jedoch bedeutet, dass die gegenüberliegende Seite und damit die Hälfte der Zimmer nach Norden ausgerichtet gewesen wären, was für Minergie-P nicht günstig gewesen wäre. Aus wirtschaftlichen Gründen wäre es auch nicht sinnvoll gewesen, die Zimmer auf eine Seite des Gebäudes zu beschränken. Aus diesem Grund entschieden wir uns für eine Ost-West-Ausrichtung. Diese Ausrichtung hat den Vorteil, dass alle Patientenzimmer im Laufe des Tages von der Sonne beschienen werden, ohne dass die Strahlung im Sommer zu stark oder im Winter zu schwach ist. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass aufgrund des Klimawandels der Hitzeschutz im Sommer eine größere Bedeutung hat als die winterliche Dimension. Eine Ausrichtung nach Süden wäre daher im Wallis, wo das Quecksilber schnell ansteigen kann, völlig unangebracht gewesen. Durch die Wahl einer Ost-West-Ausrichtung mussten wir dennoch Maßnahmen ergreifen, um das Gebäude vor Hitze an heißen Sommertagen zu schützen. Durch die Überdachung der Terrassen sind die Zimmer vor Hitze geschützt, wenn die Sonne im Sommer im Zenit steht, ohne dass die Fenster verdunkelt werden müssen. Im Winter, wenn die Sonne tief steht, werden die Zimmer hingegen durch die Sonnenstrahlen erwärmt, was auch beabsichtigt ist. Die Sonnenenergie wird nicht nur in den Schlafzimmern, sondern auch im Flur genutzt. Durch Schächte gelangen nämlich Licht und Wärme ins Innere des Gebäudes. Bei großer Hitze können diese jedoch verdunkelt werden.

Wie wird die Sonnenenergie im neuen Gebäude weiter genutzt?
Wir nutzen die Sonneneinstrahlung nicht nur passiv, sondern auch aktiv. Auf einer Fläche von rund 380 Quadratmetern ist das Dach mit 194 Photovoltaikmodulen bestückt, die 91.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen. Damit könnten etwa 25 Haushalte versorgt werden. Der erzeugte Strom wird jedoch vollständig vor Ort verbraucht. Wenn das Solarkraftwerk mehr Strom erzeugt, als zur Deckung des punktuellen Bedarfs benötigt wird, wird der Überschuss in einem der anderen fünf Gebäude der Rehabilitationsklinik genutzt. Der neue Anbau erzeugt auch Solarwärme. Zu diesem Zweck wurden etwa 22 Quadratmeter Solarkollektoren auf dem Dach installiert. Dank ihnen wird das gesamte für den Erweiterungsbau benötigte Warmwasser mit erneuerbarer Energie erzeugt.

Und wie funktioniert das Heizen, Kühlen und Lüften im neuen Gebäude?
Die Wärmeenergie für die Fußbodenheizung wird aus dem Grundwasser gewonnen. Für die Wärmepumpe konnte ein bestehender Brunnen genutzt werden. Daher waren keine Bohrungen erforderlich und das Genehmigungsverfahren konnte beschleunigt werden. Das Gebäude wird durch ein passives Kühlsystem gekühlt, das ebenfalls das Grundwasser und denselben Verteilerkreislauf wie die Heizung nutzt. Zusätzlich sorgt eine Lüftungsklappe mit Lamellen dafür, dass die Temperatur in den Sommernächten gesenkt wird. Die Räume werden mithilfe eines einfachen Belüftungssystems belüftet. Eine Klimaanlage ist aufgrund des ausgeklügelten architektonischen Konzepts und der optimalen Isolierung überflüssig.

Das neue Gebäude ist seit Anfang des Jahres in Betrieb. Wenn Sie zurückblicken, was war die größte Herausforderung oder der größte Erfolg bei diesem Bauprojekt?
Wie bei jedem Bau gab es auch hier einige Hürden: Es gab Auftragsänderungen, während der Bau bereits vorangeschritten war. Wir mussten sie in Zusammenarbeit mit dem Generalunternehmer planen und umsetzen. Außerdem gab es Lieferverzögerungen, auf die wir flexibel reagieren mussten. Unser größter Erfolg ist, dass wir das Gebäude trotz des engen Zeitplans und mehrerer Herausforderungen zum gewünschten Einzugstermin übergeben konnten.

Vorbildfunktion bei Energie und Klima
Als Akteure der Initiative Exemplary Energy and Climate (EEC) leisten gemeinnützige Dienstleister und institutionelle Investoren ihren Beitrag zur Energiestrategie 2050 und zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015. Dabei liegt der Fokus auf Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und neuerdings auch auf klimafreundlichen Finanzflüssen. Alle Akteure berichten transparent über die Erreichung ihrer Ziele und tauschen ihre Erfahrungen aus, damit andere Unternehmen und Organisationen sich daran ein Beispiel nehmen können.

www.vorbild-energie-klima.admin.ch

Interview: Julia Gremminger, Polarstern AG
Fotos: Suva

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