KKW-Inspektion in Corona-Zeiten: Über die Arbeit eines Safeguards
Fast einen Monat pro Jahr ist Giuseppe Biino im Atomkraftwerk Beznau. Manchmal einen halben Tag, manchmal ein paar Tage hintereinander. Biino kontrolliert im Auftrag des Bundes, dass kein Kernmaterial missbräuchlich verwendet wird. Mit Corona sind diese Inspektionen noch etwas aufwändiger geworden.
Für die 120 Kilometer von seinem Wohnort nach Beznau nimmt Giuseppe Biino (60) sein Rennvelo. Fast jedes Mal. Hin und zurück. Schon vor Corona.
Giuseppe Biino ist einer von sechs Fachspezialisten des Bundesamtes für Energie (BFE) – Safeguards genannt. Sie kontrollieren in der Schweiz die Kernmaterialbestände in den Kernanlagen und den Labors, die mit Kernmaterial arbeiten. Seit gut fünf Jahren ist er beim BFE, vorher hatte er 10 Jahre im Kernkraftwerk Mühleberg gearbeitet, ursprünglich hat er Geophysik studiert.
Begleitet werden die BFE-Safeguards häufig von ein bis zwei InspektorInnen der IAEA, der internationalen Atomagentur mit Sitz in Wien und den Safeguards-Verantwortlichen des AKW.
Absprache mit den Grenzbehörden
Im letzten Jahr fanden über 60 Inspektionen in der Schweiz statt, also durchschnittlich mehr als eine pro Woche. Mit Corona ist aber alles etwas komplizierter geworden. Es stellte sich z.B. die Frage: Wie organsiert man solche Inspektionen, wenn die Grenzen zu sind? Der Flugverkehr sozusagen lahmgelegt ist? Einfach ausfallen lassen wegen Corona, geht nicht.
Das BFE handelte schnell, sprach sich mit den Zollbehörden und der Grenzpolizei ab, so dass die IAEA-InspektorInnen bei einem bestimmten Grenzübergang zu einer bestimmten Zeit in die Schweiz einreisen konnten. Mit dem Auto, um die Corona-Bestimmungen einzuhalten.
Zuerst zum Arzt
Punkto Anreise verhielt sich der velofahrende Giuseppe Biino schon Corona-konform. Trotzdem gab es auch für ihn Änderungen. Er musste vor jeder Inspektion seinen Gesundheitszustand beim Arzt abklären lassen. Das habe die Inspektionen verlängert, sagt Biino und ergänzt: «Die Kraftwerke legen die Regeln fest, die im Falle einer Pandemie befolgt werden müssen (Maske, Distanz, Reisen, Quarantäne). Grundlage sind die Massnahmen des Bundesamtes für Gesundheit, doch die Anlagen können auch restriktivere Regeln aufstellen und gemäss dem Vorsorgeprinzip taten sie dies.»
Unabhängig von Corona: Wer als Safeguard arbeitet, muss integer sein, und das wird auch regelmässig überprüft. Denn die Aufgabe der Inspektoren ist es ja, im Namen der Schweiz nachzuweisen, dass kein Kernmaterial für ein Waffenprogramm abgezweigt wird. Im Atomwaffensperrvertrag hat sich die Schweiz 1977 dazu verpflichtet.
Der Atomwaffensperrvertrag, auch Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen oder Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (NVV), (englisch Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, kurz Non-Proliferation Treaty oder NPT) ist ein internationaler Vertrag, der das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen sowie das Recht auf die „friedliche Nutzung“ der Kernenergie zum Gegenstand hat.
Der Atomwaffensperrvertrag wurde von den fünf Atommächten USA, Frankreich, VR China, Großbritannien und der Sowjetunion initiiert und mittlerweile (2015) von 191 Vertragsstaaten unterzeichnet bzw. akzessiert. Nur vier Staaten sind nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrags geworden: Indien, Israel, Pakistan und Südsudan. Nordkorea trat im Januar 2003 aus dem Vertrag aus und dessen endgültiger Status wird seither von der NVV-Gemeinschaft offen gehalten. Die Schweiz hat den Vertrag 1977 ratifiziert.
Mit dem sogenannten Safeguard-Abkommen wurden die Massnahmen und Bestimmungen zur Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags definiert und vereinbart. Dieses Zusatzprotokoll haben 134 Staaten unterzeichnet. Mit der Schweiz besteht ein solches Abkommen seit 1978. Das Abkommen verpflichtet die Länder zur Weitergabe von detaillierten Informationen an die IAEA. Insgesamt sind Safeguards in 182 Staaten im Einsatz.
«Wir verfolgen das «Leben» der Brennelemente vom Import in die Schweiz bis ins Endlager.» Jeder Schritt, jede Verschiebung wird genau dokumentiert. Trägt das Brennelement die richtige Nummer? Ist es am richtigen Ort platziert? Ist es keine Attrappe?
Wenn der Kran beispielsweise die Behälter vom Reaktorgebäude auf den Transport-Wagen lädt, steigen Giuseppe Biino und die anderen Safeguards aufs Dach. «Wir behalten die Brennelemente im Behälter in jeder Phase im Blick.»
„Wir validieren die Geschichte des Kernmaterials»
Das BFE dokumentiert die Geschichte der Brennelemente und übermittelt die Daten an die IAEA. Die Aufgabe von ihm sei es, diese Geschichte zu validieren, sagt Giuseppe Biino, so dass die IAEA die Daten plausibilisieren kann.
Giuseppe Biino nimmt ein kleines Umhängetäschlein hervor – mit einem grün-blauen Blumenmuster. Da ist alles drin, was er für die Inspektion braucht. Das Wichtigste: Das Inspektionsprotokoll: Ein A4-Blatt – zusammen gefaltet – darauf steht, was bei der anstehenden Inspektion alles kontrolliert wird.
Auch in diesem Täschli:
• Dosimeter und Ausweis des BFE: Die Security vor dem Haupttor zum AKW kennt nicht alle. Am Haupttor öffnet sich dann die Tür erst nach dem Iris-Scan.
• Ein Memory-Stick, für den Fall, dass er Fotos von der Inspektion übertragen muss.
• Ein schwarzes Notizbüchlein: Da hat Biino verschiedene Kopien reingeklebt mit nuklearspezifischen Informationen. «Er wisse vieles auswendig», sagt er. Doch manchmal müsse er auf dieses schriftliche Back-up zurückgreifen, besonders, wenn die Inspektionen ausserhalb der Bürozeiten stattfinden.
• Ein Bleistift mit einer Schnur, am Täschlein befestigt, «damit er nicht irgendwo reinfällt.»
Grosse Messgeräte, die für die Inspektion nötig sind, hat die IAEA in der Kernanlage gelagert, weil sie zu schwer sind, um sie jedes Mal zu transportieren. Kleinere Messgeräte bringen die Inspektoren mit. Neben den Safeguards sind immer auch Angestellte der Anlage dabei. Zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Kran zu verschieben. Muss ein Siegel entfernt werden, dann machen das ausschliesslich die IAEA-Safeguards.
«Tscherenkow-Strahlung» deckt Attrappen auf
Während der Revision, wenn das KKW abgestellt ist – werden vorab zusätzliche Kameras montiert, um sonst mit Siegeln gesicherte Bereiche wie den Reaktorraum zu überwachen. Denn: Häufig sind in dieser Zeit auch externe Arbeiter im KKW mit anderen Arbeiten beschäftigt.
In der Luft, im Abklingbecken, im Trockenlager – überall wird das vorhandene Material verifiziert. Mit einer Unterwasserkamera werden Nummern und Standort der Brennstäbe kontrolliert. Mit einem speziellen Gerät wird überprüft, ob die Brennelemente leuchten. Ist die blaue «Tscherenkow-Strahlung» bei gebrauchten Brennelementen nicht zu sehen, deutet das auf eine Attrappe hin.
Die Safeguards von BFE und IAEA führen in allen Schweizer Kernkraftwerken (Beznau I und II, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg) Inspektionen durch und auch im Zwischenlager in Würenlingen. Aber auch in den Labors von Forschungsinstituten und bei Firmen die über Kernmaterialien verfügen, unter anderem im PSI oder im CERN.
Gerade in den Labors könne es eher zu Ungereimtheiten mit nuklearem Material kommen, sagt Giuseppe Biino. Zum Beispiel, wenn Material für Forschungszwecke bestellt werde, dies aber noch nicht deklariert worden sei. Die IAEA habe von der Lieferung Kenntnis gehabt, und sofort Nachforschungen eingeleitet. Die IAEA macht auch unangemeldete Kontrollen dann muss sich auch der BFE-Inspektor schnellstens vor Ort begeben.
Manchmal dauern die Inspektionen zwei bis drei Stunden, manchmal mehrere Tage in Folge. Die Schweiz habe einen guten Ruf bei der IAEA, sagt Giuseppe Biino.
Hektik ist bei der Arbeit aber fehl am Platz. «Wir arbeiten konzentriert und sorgfältig.» Und heiss kann es werden. Die Aussenfläche der Behälter beträgt 70 Grad, die Luftfeuchtigkeit im Reaktorgebäude ist hoch. Giuseppe Biino gefällt die Arbeit. Abkühlen und auslüften, das kann er dann wieder, wenn er mit dem Rennvelo auf dem Heimweg ist.
Brigitte Mader, Kommunikation Bundesamt für Energie
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