«Ende der 2020er Jahre liefert die Sonne bereits ein Viertel des Schweizer Jahresverbrauchs»
Die Kurve bei der Solarstromproduktion steigt weiterhin steil an. 2023 wurden so viele Photovoltaik (PV)-Panels installiert wie noch nie zuvor. Insgesamt ist für das letzte Jahr mit einem Zubau von mindestens 1.5 Gigawatt (GW) zu rechnen, eine beachtliche Steigerung nach 1.1 GW im Jahr 2022. Per Ende 2023 lag die gesamte in der Schweiz installierte Leistung damit (laut Berechnungen von Swissolar) bei über 6.2 GW. Davon wurde über die Hälfte in den Jahren 2021-2023 installiert, das illustriert den enormen Boom der letzten Jahre.
Für 2024 ergibt sich mit dem voraussichtlichen Zubau im laufenden Jahr eine Jahres-Stromproduktion von über 6 Terawattstunden (TWh). Das entspricht mehr als 10% des Jahres-Stromverbrauchs der Schweiz. 2023 lag dieser nach ersten Schätzungen bei 56.1TWh. Davon fallen knapp 2 TWh im Winterhalbjahr an. Das ist mehr, als das Kernkraftwerk Mühleberg im Winter jeweils produziert hat.
Wo steuert die Schweiz bei der Photovoltaik hin? Wie ist das Jahr 2024 zu werten? Wieland Hintz, Verantwortlicher Solarenergie beim Bundesamt für Energie nimmt Stellung im Interview mit energeiaplus.com.
Energeiaplus: 2023 ist erneut ein Rekordjahr beim Zubau von PV. Wie überraschend ist das?
Wieland Hintz: Es ist vor allem sehr erfreulich. Mich hat es nicht völlig überrascht, dass der Markt weitergewachsen ist; die monatlichen Anmeldezahlen bei Pronovo (Berichte und Publikationen – Pronovo AG –> Cockpit EIV) haben die hohe Nachfrage im Laufe des Jahres bereits gezeigt. Besonders gefreut hat mich aber die Tatsache, dass die 2023 eingeführten Auktionen für die Förderung von Anlagen ohne Eigenverbrauch z.B. auf den Dächern grosser Scheunen oder Lagerhäuser einen so deutlichen Beitrag zum Zubau geleistet haben.
Wo wurden am meisten Panels installiert? Auf Dächern von Einfamilienhäusern? Bei Gewerbegebäuden? Mehrfamilienhäusern?
Der Zubau findet fast ausschliesslich auf Dächern und Fassaden statt. Nur etwa 0.5% der etwa 52’000 Anlagen, die 2023 angemeldet wurden, waren nicht an Gebäuden angebaut oder in die Gebäudehülle integriert. Mehr als die Hälfte der installierten Leistung wurde auf Einfamilienhäusern gebaut und der Rest auf grösseren Dächern wie Gewerbe- und Mehrfamilienhäusern.
In den Medien war schon von einem Stadt-Land-Graben punkto Zubau von PV die Rede. Auf dem Land geht’s schnell vorwärts, in der Stadt weniger. Was können Sie dazu sagen?
Ja, diesen «Graben» gibt es. Das zeigt die Statistik zu den Elektrizitätsproduktionsanlagen in der Schweiz. Allerdings stimmt die Aussage eher nur für die grossen Städte. Dort geht der Zubau weniger schnell voran. Eventuell liegt das an dem dort eher grösserem Anteil an Mehrfamilienhäusern, bei denen sich die für die PV wichtigen Eigenverbrauchlösungen weniger leicht umsetzen lassen. Aber bei kleineren Städten wie Winterthur zum Beispiel ist es schon wieder anders. Grundsätzlich gibt es immer viele Faktoren, die dem Zubau mehr oder weniger zuträglich sind. Wichtig ist, dass der Zubau insgesamt stattfindet.
Wo dürfte der Zubau noch zulegen?
Insgesamt läuft der Zubau sehr gut, und es ist noch viel Potenzial vorhanden: Von den geeigneten Dächern sind noch über 85% ungenutzt (etwa 50 TWh verbleiben), und von den geeigneten Fassaden praktisch alle (17 TWh). Die Fassaden dürfen also ruhig noch mehr genutzt werden. Dazu kommen noch die Potenziale auf Infrastrukturanlagen sowie Freiflächen und natürlich in den Alpen.
Bräuchte es nicht vor allem grosse Anlagen, um den Strombedarf der Zukunft zu decken, der durch die zunehmende Elektrifizierung bei der Mobilität und beim Heizen ansteigen wird?
Es braucht vor allem viele Gigawatt! Ob der Strom aus kleinen oder grossen Anlagen kommt, ist aus technischer Sicht nicht relevant. Grosse Anlagen sind aufgrund der Skaleneffekte grundsätzlich günstiger als kleine, aber kleine lassen sich leichter an Orten umsetzen, wo der Strom verbraucht wird, also in den Bauzonen. Es braucht beides.
Welche Herausforderungen stellen sich angesichts dieses schnellen Zubaus?
Es wird nun langsam zur Realität, was vor wenigen Jahren noch Zukunftsmusik war: Solarstrom fängt an, das Stromsystem zu verändern. Das betrifft die Netze, die um- und ausgebaut werden müssen. Es betrifft die Strommärkte, die auf die verstärkte Präsenz der Erneuerbaren reagieren, aber auch die Art und Weise, wie wir Strom verbrauchen. Diese Entwicklungen werden sich beschleunigen und alle Akteure in den nächsten Jahrzehnten auf Trab halten – auch den Bund.
Wo steht die Schweiz im europäischen Vergleich punkto Solarenergie mittlerweile?
Nach meiner vorläufigen Rechnung waren in der Schweiz Ende 2023 pro Kopf über 700 Watt an PV-Leistung installiert. Damit hat sich die Schweiz nun nach den Niederlanden (1400 W) und Deutschland (970 W) auf den dritten Rang vorgeschoben, deutlich vor unseren Nachbarn Österreich (620 W), Italien (490 W) und Frankreich (290 W).
Betrachtet man den Zubau pro Kopf im Jahr 2023 allein, liegt die Schweiz mit 180 W ebenso auf dem dritten Rang nach den Niederlanden und Österreich (je etwa 225 W). In Deutschland (170 W), Italien (70 W) und Frankreich (33 W) war der Zubau teils deutlich geringer.
Geht es mit dem Zubau in diesem Tempo weiter? Was ist Ihre Einschätzung?
Wieland Hintz: Ich gehe davon aus, dass der Markt 2024 nochmals zulegt, wenn auch nicht ganz so rasant wie in den letzten vier Jahren. Ab 2025 soll dann die Vorlage zur sicheren Stromversorgung in Kraft treten (die Schweizer Stimmbevölkerung wird am 9. Juni 2024 darüber entscheiden), die den Zubau dann nochmals beschleunigen sollte. Aber selbst wenn der jährliche Zubau bei den 1.5 GW von 2023 stagnieren sollte, wird bis zum Ende der 2020er Jahre bereits ein Viertel unseres Stromverbrauchs aus Schweizer Photovoltaik gedeckt werden können. Wer hätte das gedacht!
Gipfeltreffen der PV-Branche in Lausanne:
Am 21. und 22. März 2024 findet das Jahrestreffen der Akteure und Akteurinnen der Solarbranche statt. Mit dabei auch Bundesrat Albert Rösti.
Das Programm der zweitägigen Veranstaltung thematisiert unter anderem die politischen Rahmenbedingungen, den Markt und seine Herausforderungen, Schwerpunkte der Forschung und die Integration der Solarenergie in Gebäude und Stromnetze.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: Dach des Terminalgebäudes des Genfer Flughafens mit Sonnenkollektoren. Foto vom 29. Juli 2021, Genf, Schweiz. Shutterstock; Stock Photo ID: 2023985039; Michael Derrer Fuchs; BFE
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