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Biodiversität und Solarpanels auf der grünen Wiese: Geht das?


Solaranlagen auf der grünen Wiese können einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Das ist das Fazit einer Literaturstudie, welche die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Auftrag des Bundesamts für Energie durchgeführt hat. Energeiaplus wollte es genau wissen und hat bei Studienautor Jürg Schlegel nachgefragt, wie Solarpanels auf der grünen Wiese Tier- und Pflanzenwelt beeinflussen.

Energeiaplus: Bei der Forschungsanstalt Agroscope in Conthey im Wallis läuft ein Pilotversuch mit Beerenstauden (Erdbeeren und Himbeeren) unter Solarpanels. Himbeeren unter einer Solaranlage, funktioniert das?

Jürg Schlegel ist Biologe und Dozent für Landschaftsökologie an der ZHAW. Bild: ZHAW

Jürg Schlegel: Auf einer niederländischen Himbeerfarm waren die Himbeer-Erträge unter Solarpanels zwar um etwa 20% geringer als unter Folien­­tunneln, jedoch konnten die Beeren vor Sonnenbrand bewahrt werden. Die Erntearbeiten waren zudem berechen­barer und konnten kontinuierlicher durchgeführt werden, weil die Durchschnittstemperatur unter den Modulreihen rund 5°C tiefer war. Mit diesem Verfahren können Erntespitzen mit schlechten Preisen vermieden werden, und den Pflückerinnen und Pflückern bieten die tieferen Temperaturen angenehmere Arbeitsbedingungen. Die Studie aus den Niederlanden weist zudem darauf hin, dass die Modulaufständerung rund 30 Jahre lang hält, Folientunnel jedoch alle sechs Jahre ausgewechselt werden müssen.

Für welche anderen Kulturpflanzen wäre so was auch denkbar? Für welche nicht?

Die bisherigen Untersuchungen lassen tendenziell den Schluss zu, dass schattentolerante Kulturen wie etwa Salate, Kartoffeln, Spinat oder Ackerbohnen von der Beschattung durch darüber liegende Solarpanels profitieren. Auf einer französischen Versuchsanlage blieb der Salatertrag unter den Panels gleich oder erhöhte sich sogar im Vergleich zu konventionellen Salatkulturen. Dies obwohl die Sonneneinstrahlung unter den Solarpanels, die in 4 Metern Höhe über der Kultur angelegt worden waren, um rund 50% reduziert war. Dies könnte gemäss Autoren damit zusammenhängen, dass Salat im Schatten grössere Blätter ausbildet.

Für ausgesprochen lichtliebende Kulturpflanzen, wie etwa Weizen, Mais, oder Sonnenblumen, eignet sich das Solarverfahren jedoch weniger, weil Lichtmangel unter den Panels zu Ertragseinbussen führen kann. Aber auch hier gilt es zu unterscheiden: Im Hitzesommer 2018 waren die Erträge bei Winterweizen unter Solarpanels einer süddeutschen Anlage sogar etwas höher als auf den ungeschützt der Sonneneinstrahlung ausgesetzten Vergleichsflächen.

Man könnte ja auch zum Beispiel Schafe oder Kühe zwischen den Panels weiden lassen. Was sagt Ihre Studie dazu?

Vor allem in den USA ist die Beweidung unter oder zwischen Solarpanels, das „Solar grazing“, im Aufwind. Vielfach werden dabei Solarpanels in 3-6 Metern Höhe errichtet. Damit bleibt mehr als 95% der Fläche landwirtschaftlich nutzbar und die Nutztiere profitieren vom kühlenden Schatten unter den Panels. In Milchvieh-Weidesystemen kann auf diese Weise der Hitze­stress bei Kühen effizient gelindert werden. Bei einer Beweidung entfällt zudem viel Handarbeit zum Ausmähen rund um die Stützen.

Landwirte könnten so zu Energiewirten werden und erneuerbaren Strom produzieren. Was spricht dafür? Was dagegen?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann diese sogenannte Agrophotovoltaik durchaus Sinn machen, da auf zwei Etagen „geerntet“ und verdient werden kann. Da jedoch jeder Betrieb unterschiedlich strukturiert ist, sind keine Verallgemeinerungen möglich, und das Potenzial müsste im Einzelfall auf Betriebsebene abgeschätzt werden.

In der Schweiz gibt es noch kaum solche Solaranlagen, weil die landwirtschaftliche Direktzahlungsverordnung Flächen unter Solaranlagen von der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausschliesst und dafür keine landwirtschaftlichen Direktzahlungen entrichtet werden.

In separaten Forschungsprojekten klären wir an der ZHAW derzeit die Potenziale und erforderlichen Rahmenbedingungen ab, damit Agrophotovoltaik in der Schweiz einen massgeblichen Beitrag zur Energiewende leisten könnte.

Grundlage der Literaturstudie:

Für die Literaturrecherchen wurden verschiedene Suchmaschinen und wissenschaftlichen Datenbanken konsultiert, zum Beispiel Web of Science, Google Scholar und der Bibliotheksverbund Swisscovery. Die Suche erfolgte mit sogenannten „Suchstrings“. Das sind komplexe Suchabfragen mit klar definierten Wortkombinationen und Ausschlusskriterien. In einem mehrstufigen Verfahren wurden dann aus mehreren Tausend Publikationen und Berichten insgesamt 100 englischsprachige und 37 deutschsprachige Artikel herausgefiltert und in die Literaturstudie miteinbezogen.

 

Im Bericht lese ich, dass Solarparks Honig- und Wildbienen zugutekommen könnte. Wie das?

Dank der teilweisen Beschattung entsteht unter und zwischen den Solarpanels ein kleinräumiges Nebeneinander von verschiedenen Lebensräumen mit unterschiedlichem Mikroklima. Diese grössere Nischenvielfalt bietet wiederum mehr Tier- und Pflanzenarten Platz als uniforme Lebensräume. Verschiedene Studien weisen auf solche biodiversitätsfördernden Effekte hin, auch solche aus dem benachbarten Deutschland.

Zudem werden in Solarparks in der Regel keine Agrochemikalien und Dünger eingesetzt. Dies kann bei geeigneten Standortbedingungen zur Ausbildung von blütenreichen Magerwiesen führen, wenn man bei der Installation der Panels auf den vegetationslosen Boden zum Beispiel lokale Wildblumen ansät. Ein solcher Blütenreichtum kommt unter anderem auch Honig- und Wildbienen zugute, da sich diese von Nektar und Pollen ernähren. Bienen, die sich in Solarparks ansiedeln, fliegen übrigens auch in umliegende Flächen und bestäuben Kulturpflanzen, wovon wiederum die Landwirtschaft profitiert.

Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?

Dass die Biodiversität dank Photovoltaik-Anlagen auf Freiflächen nicht leiden muss, sondern sogar profitieren kann, scheint bei sachgemässem und extensivem Unterhalt der Grünflächen belegt zu sein. Falls in unmittelbarer Umgebung hochwertige Lebensräume vorkommen, aus denen Arten in einen Solarpark einwandern können (intakter Lebensraumverbund), sind die Voraussetzungen besonders vielversprechend. Ein absolutes «No go» ist es jedoch, bereits vorhandene, ökologisch sensible Flächen, wie z.B. Magerwiesen und strukturreiche Flächen, mit Solarpanels zu bestücken. Das Risiko wäre zu gross, dass durch eine solche Nutzungsänderung seltene Lebensraumspezialisten, z.B. gefährdete Arten der Roten Listen, verschwinden könnten.

In Spanien oder Portugal gehören Solarfarmen schon länger zum Landschaftsbild. Welche Erkenntnisse liefern diese Anlagen punkto Biodiversität und Folgen für die Umwelt?

Aus dem Themenfeld „Solarenergie und Biodiversität“ sind mir aus diesen beiden Ländern vor allem Untersuchungen mit Honigbienen bekannt, zum Beispiel eine aus der Region Huelva in Spanien. Dort befinden sich zwei grössere Solarparks mit einer Leistung von 550 Megawatt. Diese Anlagen beherbergen 270 Bienenstöcke mit rund 13 Millionen Individuen. Gemäss den Betreibern ergeben sich daraus Vorteile bei der funktionellen Biodiversität (erhöhtes Potenzial für Bestäubungsleistungen), bei der Vermeidung von Agrochemikalien (dank Viehbeweidung) und auf ökonomischer Ebene durch den Anbau von aromatischen Kräutern zur Verbesserung der Honigqualität.

Wie gross ist eigentlich das Potenzial von Solaranlagen ausserhalb der Bauzonen? Macht die Studie dazu Angaben?

Anlagen ausserhalb von Bauzonen gelten in der Schweiz wegen des Eingriffs in die Landschaft gegenwärtig noch als tabu. Mit der laufenden Revision der Raumplanungsverordnung könnten sich jedoch schon in naher Zukunft Chancen für grössere Forschungs- und Versuchsanlagen auch ausserhalb der Bauzonen ergeben. Abklärungen der ZHAW attestieren vor allem dem alpinen Raum zwischen rund 1500 und 2500 Meter über Meer ein grosses Photovoltaik-Potenzial.

Im Gegensatz zu Anlagen im Mittelland kann in solch erhöhten Lagen dank höherer Einstrahlung, wenig Nebel und Reflexion durch den Schnee etwa 50% des Jahresertrages im Winterhalbjahr produziert werden. Pro Fläche ist der Ertrag im Winter etwa 4 mal so hoch wie im Flachland. Die Maximalproduktion findet gegen Ende Winter statt, was bezüglich der Integration in das Schweizer Stromsystem sehr vorteilhaft ist.

Die gesellschaftliche und politische Diskussion hierzu steht aber erst am Anfang. Natürlich wird es aber gerade bei Solaranlagen im sensiblen alpinen Raum unumgänglich sein, verschiedene Interessen miteinzubeziehen, zum Beispiel diejenigen des Natur- und Landschaftsschutzes.

Möglich wären auch Solaranlagen auf Seen. Auf einem Stausee in den Walliser Alpen (Lac de Toules) schwimmen bereits Solarpanels. Welche Faktoren gilt es bei Solaranlagen auf Seen zu berücksichtigen?

Diese sogenannte „Floating Photovoltaik“ befindet sich global im Aufwind. Zu den unmittelbaren Auswirkungen auf Natur und Umwelt gibt es jedoch bisher nur wenig Literatur. Die zehn grössten schwimmenden Solarkraftwerke befinden sich zwar derzeit alle in Asien, aber auch in Europa ist ein zunehmendes Interesse feststellbar. Die erwähnte Anlage auf dem Lac de Toules im Kanton Wallis liegt auf rund 1800 Meter über Meer und gilt als die weltweit erste hochgelegene schwimmende Solaranlage.

Erste Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich Vögel nicht stark daran stören. Dies wiederum hat aber zur Folge, dass es zu Kotverschmutzung und Leistungsminderung der Solarpanels kommen kann. Fische halten sich anscheinend gerne unter schwimmenden Panels auf und nutzen diese als Deckungsstrukturen („Riffeffekt“).

Soloaranlage der ZHAW oberhalb Davos Bild: ZHAW

Zum Schluss: Die ZHAW betreibt eine eigene Solar-Versuchsanlage auf der Totalp im Skigebiet Parsenn oberhalb von Davos. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Dieses Projekt steht unter der Leitung von Prof. Jürg Rohrer, Leiter der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien an der ZHAW Wädenswil. Seinen Aussagen zufolge haben Messungen bei dieser Photovoltaik-Versuchsanlage eine cirka 2 mal höhere Flächeneffizienz im Vergleich zu Photovoltaik-Anlagen im Schweizer Mittelland ergeben. Im Winter ergab sich sogar ein 3.5 bis 4 mal höherer Stromertrag verglichen mit einer gleich grossen Anlage im Mittelland. Dies unterstreicht das grosse Potenzial alpiner Solaranlagen.

Studien zur Potenzialberechnung der PV-Produktion losgelöst von Gebäuden sind in der Schweiz bisher kaum veröffentlicht worden. Swissolar und Meteotest rechnen mit einem Potenzial von 11.3 TWh (Strassen, Parkplätze, Autobahnböschungen), welches in den nächsten 30 Jahren realisiert werden könnte. Zudem besteht ein fast beliebig grosses Potenzial für grosse PV-Anlagen auf Freiflächen, zum Beispiel im Gebirge oder in Kombination mit der Landwirtschaft (Agrophotovoltaik).

2020 betrug die Solarstromproduktion in der Schweiz 2.6 TWh. Zum Vergleich: Der Endverbrauch an elektrischer Energie lag gemäss Elektrizitätsstatistik bei 55.7 TWh. Damit deckte die Photovoltaik im Jahr 2020 einen Anteil von ca. 4.7% des Verbrauchs ab.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie

 

 

 

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