CROSSDat - Eine offene Energiedatenplattform für die Schweiz
Wie viel Energie verbrauchen die Gebäude pro Kanton, pro Gemeinde? Wie hoch ist der Wärmebedarf? Wie viel Strom hat die Schweiz gestern verbraucht? Wie viele Smart Meters sind pro Gemeinde installiert? Bei den frei zugänglichen Daten zum Energiesektor - den so genannten Open Energy Data - hat die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern einen grossen Nachholbedarf. Warum ist das so? Was sind die Hindernisse?
CROSSDat ist Teil der CROSS-Aktivität. CROSS wurde ins Leben gerufen, um Annahmen und Szenarien zwischen den vier Konsortien der ersten SWEET-Ausschreibung zu harmonisieren. Da Annahmen und Szenarien auf Daten aufbauen, ist CROSSDat ein wesentlicher Bestandteil von CROSS und damit auch von SWEET.
Während das Bundesamt für Energie (BFE) soeben eine einzigartige Studie über den Stand der offenen Energiedaten und ihre Hindernisse in der Energiewirtschaft veröffentlicht hat, ist CROSSDat eine Plattform für den Austausch von Forschungsdaten und Energiesystemmodellen. Sie versucht, offene Daten und die Koordinierung in der Energieforschungsgemeinschaft voranzutreiben.
Energeiaplus sprach mit Lucas Tochtermann vom Büro für digitale Innovation des Bundesamts für Energie (BFE) und Adriana Marcucci - sie koordiniert die CROSS-Aktivitäten.
Energeiaplus: Derzeit gibt es in der Schweiz keine öffentlichen, aktuellen und offiziellen Daten zum Stromverbrauch. Ist dies ein typisches Beispiel für die Situation der verfügbaren Daten und Informationen für Energie in der Schweiz, Adriana Marcucci?
Adriana Marcucci: Ja, das ist genau der Fall, die Daten existieren irgendwo, manchmal sind sie sogar öffentlich, aber sie sind entweder nicht veröffentlicht oder schwer zu finden. Sehr oft werden Daten nur bilateral ausgetauscht, und das ist sehr ineffizient. Dies ist nicht nur ein Problem der Energiewirtschaft, auch forschungsbezogene Daten sind nicht immer öffentlich zugänglich. Energiewissenschaftler verbringen leider viel Zeit mit der Suche nach Daten. Ich bin sicher, dass viele Doktoranden (ich spreche aus Erfahrung) viele Stunden mit der Suche nach Daten verbringen... die Ironie ist, dass wir alle nach sehr ähnlichen Daten suchen. Stellen Sie sich nur vor, wie viel Zeit und Ressourcen wir sparen könnten!
Lucas Tochtermann: Die Situation, die Adriana Marcucci beschreibt, kommt mir sehr bekannt vor. Wir unterstützen Hackathons, um die digitale Innovation in der Energiewirtschaft voranzutreiben. Dort verbringen die Teilnehmer viel Zeit damit, nach relevanten Daten zu suchen, ihre Bedeutung zu verstehen, ihre Struktur zu erfassen, sie aus verschiedenen Quellen zu aggregieren und zu homogenisieren und plausibel zu machen. Leider geschieht dies immer wieder. So verbringen motivierte Innovatoren und kreative Köpfe viel Zeit damit, Daten zu finden und zu bereinigen, aber keine Innovationen zu schaffen. Was für eine Verschwendung, wirtschaftlich gesehen.
Wo liegen also die größten Hindernisse bei der Beschaffung zuverlässiger Daten?
Adriana Marcucci: Ich glaube, das Problem ist nicht die Zuverlässigkeit der Daten, denn es gibt viele qualitativ hochwertige Daten, vor allem von den Behörden. Das Hindernis besteht darin, die Daten zu finden und sie zu verstehen. Man weiß nicht, wo man nach den Daten suchen soll, und nicht immer wird die richtige Beschreibung mitgeliefert, z. B. werden manchmal Einheiten ausgelassen oder die Kontaktperson fehlt. Das erste Problem, die Auffindbarkeit, ist auf die sehr starke Fragmentierung (viele Datenplattformen und Anbieter) und das Fehlen einer speziellen Energieplattform zurückzuführen, zumindest in der Schweiz. Das zweite Problem, die Transparenz, ergibt sich aus dem Fehlen von Standards für Metadaten und die eigentliche Datenbereitstellung: Welches ist das richtige Format, wie geht man mit neuen Versionen um, was sollte man in die Metadaten aufnehmen.
Lucas Tochtermann: Genau das haben wir auch in unserer Studie über den Stand der Dinge bei Open Energy Data in der Schweiz festgestellt. Während die Quelle(n) offener Behördendaten sehr gut zugänglich sind, bleiben andere Daten schlecht auffindbar. Das BFE hat bei Hackathons und anderen Projekten Rückmeldungen von digitalen Innovatoren eingeholt, wie die Situation verbessert werden kann. Eine zentrale Plattform, gute Datenbeschreibungen, leicht verständliche Datenmodelle und -strukturen sowie ein einfacher Zugang sind zentrale Lösungsansätze. Um eine schnelle Lösung zu finden, hat das BFE daher ein Most Viable Product (MVP) eines offenen Energiedatenkatasters entwickelt. Die Idee war, einen Überblick über die Verteilung und Verfügbarkeit von offenen Energiedaten zu erhalten. Leider mussten wir feststellen, dass ein grosser Teil des Katasterinhalts ausschliesslich aus staatlichen Daten gespeist wird. Daten aus der Energiewirtschaft selbst, insbesondere von Versorgungsunternehmen, sind praktisch nicht vorhanden. Es überrascht nicht, dass die Schweizer Medien kürzlich dasselbe herausgefunden haben, als sie über die aktuelle Energiesituation nachdachten. Wir müssen etwas gegen diese schlechte Situation tun. Schnell.
Viele Daten, die von öffentlichem Interesse sind, sind also nicht öffentlich zugänglich. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Adriana Marcucci: Meiner Meinung nach stehen wir vor zwei großen Herausforderungen. Erstens: Misstrauen gegenüber der Nutzung offener Daten aufgrund von unlauterem Wettbewerb oder mangelnder Anerkennung. Zweitens die Angst, viel Zeit und Ressourcen in die Erstellung und Pflege offener Daten zu investieren, weil die Verfahren zeitaufwändig sind oder die Kosten für die langfristige Öffnung und Zugänglichkeit großer Datensätze zu hoch sind.
Lucas Tochtermann: Nach unserer Analyse (siehe Bericht Open Energy Data Schweiz des BFE) haben wir es mit einem Giftcocktail zu tun! Im Moment ist es eine Mischung aus fehlenden Anreizen für die Energieunternehmen, einem unklaren gesetzlichen Auftrag an die Branche bzw. das BFE und einem oft falsch interpretierten gesetzlichen Rahmen bezüglich des Datenschutzes. Das bremst die Veröffentlichung von Daten, die im Interesse der Öffentlichkeit liegen, und es bremst die Digitalisierung. Für die Schweiz und die Innovationskultur ist dies eine untragbare Situation. Im Gegensatz dazu zeigen europäische Länder und andere Schweizer Branchen, wie zum Beispiel das Transportwesen, wie es gehen könnte. Sie geben dem Schweizer Energiesektor ein leuchtendes Beispiel.
Fehlt in der Schweiz das Bewusstsein, dass öffentlich zugängliche Daten einen Mehrwert bringen? Oder, anders gefragt, überwiegt die Skepsis gegenüber dem Missbrauch von Daten?
Adriana Marcucci: Ich denke, dass wir uns angesichts der enormen Auswirkungen, die Daten auf unser tägliches Leben haben, mittlerweile alle des Mehrwerts bewusst sind, den die öffentliche Zugänglichkeit von Daten bringt. Man stelle sich nur die Corona-Krise ohne die täglichen Statistiken vor. Die Praxis der offenen Daten wird langsam zu einem vorherrschenden Standard, zumindest in der Forschung. Aber wir müssen den Ball ins Rollen bringen. Wenn die Bundesämter und die Forschungsgemeinschaft ihre Daten offen zugänglich und transparent machen, ist das ein Vorbild für den Rest der Gesellschaft.
Lucas Tochtermann: Nun, für mindestens 5 bis 10 Jahre ist die Bundesregierung ein Vorbild für die Industrie. Wir treiben Open Government Data voran, beschleunigen unser Datenmanagement und machen es der Öffentlichkeit zugänglich. Die Privatwirtschaft profitiert jeden Tag davon, entwickelt Produkte, macht gute Gewinne. Im Hinblick auf die sich abzeichnende Energiekrise ist es nun an der Zeit, dass der private Sektor (die Versorgungsunternehmen) auftritt und den Menschen etwas zurückgibt. Derzeit ist die Regierung nicht in der Lage, die einfachsten, aber immens wichtigen Informationen wie den tatsächlichen Energieverbrauch zu bewerten. Das muss sich ändern, und zwar bald. Auch die Regulierung muss hier helfen und eine wichtige Rolle spielen, denn das subsidiäre System konnte offensichtlich nicht das bieten, was die Menschen in der Schweiz wollten und wollen.
Was haben Sie sonst noch in der Studie "Open Energy Data Schweiz" herausgefunden?
Lucas Tochtermann: Wie bereits betont, hängen Digitalisierung und digitale Innovation von der guten Verfügbarkeit von Daten ab. Hier hat die Schweiz einen grossen Nachholbedarf. Das ist auch der Grund, warum der Bundesrat eine nationale Datendrehscheibe vorgeschlagen hat, die viele Daten bereitstellt, Prozesse automatisiert und standardisierte APIs anbietet, was im Energiesektor nicht üblich ist. Die Datendrehscheibe wird ein Sprung für die Digitalisierung im Energiesektor sein, aber es wird Zeit brauchen. Ein nächster Schritt wäre, die Unterschiede zwischen der Schweiz und den Best-in-Class-Ländern in Bezug auf öffentlich verfügbare Datensätze zu kennen. Anschliessend muss der rechtliche Rahmen für die Erhöhung der Transparenz im Sektor und für die Datenlieferanten klar sein. Die Arbeiten an einem Energiedaten-Dashboard des BFE könnten solche notwendigen Regeln aufzeigen. Auch die Entwicklung eines Leitfadens durch das BFE wird in dieser Hinsicht hilfreich sein. Wünschenswert wäre in Zukunft eine zentrale Plattform, auf der Datennutzer relevante Daten der Energiewirtschaft finden können.
Welches Potenzial sehen Sie in CROSSDat?
Adriana Marcucci: Am Anfang stand die Idee, (noch eine) Datendrehscheibe zu schaffen.
Doch wie ich bereits sagte, ist eines der Hauptprobleme die Fragmentierung und das Fehlen einer Plattform, die sich speziell mit Energie befasst. Deshalb haben wir beschlossen, CROSSDat als Plattform zu entwickeln, die einen einheitlichen Zugang zu Energiedaten bietet, es den Datenanbietern aber erlaubt, weiterhin ihr bevorzugtes Datenverwaltungssystem zu nutzen. Wenn sie noch kein eigenes System haben, können sie natürlich unser System nutzen. Das zweite Problem, das ich bereits erwähnt habe, ist der Mangel an Standards und Governance. Im Rahmen von CROSSDat haben wir großen Wert auf Standards für Metadaten, Datenbereitstellung und die Festlegung einer klaren Governance gelegt, damit die Rechte und Pflichten von Dateneigentümern und -nutzern eindeutig festgelegt sind.
Ich glaube nicht, dass wir alle Probleme gelöst haben, CROSSDat hat noch einen langen Weg vor sich. Aber ich denke, wir bewegen uns in die richtige Richtung, um Misstrauen zu überwinden und den Zeit- und Ressourcenaufwand für die Öffnung von Energiedaten zu verringern. Die Zusammenarbeit und Diskussion mit dem Schweizer Bundesamt für Energie hat sich ebenfalls als äußerst wertvoll erwiesen, um eine nützliche und hoffentlich dauerhafte Kultur der offenen Energiedaten zu etablieren.
Die CROSSDat-Plattform ist Teil von CROSS. Wofür steht CROSS sonst noch?
CROSS (CooRdination Of Scenarios for SWEET) ist eine gemeinsame Aktivität der vier Konsortien DeCarbCH, EDGE, PATHFNDR und SURE, die durch das SWEET-Programm unterstützt wird. Diese Aktivität wurde ins Leben gerufen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten und die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse der vier Konsortien zu erhöhen. Dies geschieht durch die Definition gemeinsamer Storylines, die Harmonisierung der Modelleingaben und die Bereitstellung von Daten (Eingaben und Ergebnisse) in CROSSDat.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
shutterstock: Stock-Foto ID: 2101431109; Tapati Rinchumrus
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