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20 Jahre schweizerisches Energiegesetz – Teil 3


Vor 20 Jahren, am 1. Januar 1999, ist das erste Schweizer Energiegesetz in Kraft getreten. Seine Entstehungsgeschichte ist einzigartig. Grund genug, in einer fünfteiligen Blogserie auf ein spannendes Stück Schweizer Politikgeschichte zurückzublicken. In Teil 3 unserer Serie geht es um die Zeit nach der Ablehnung des Energieartikels an der Urne.

Teil 3: Energiepolitisches Multipack und Tschernobyl

Seit der Ölkrise von 1973, die den Startimpuls für eine nationale Energiepolitik gegeben hatte, waren mittlerweile 10 Jahre vergangen und die Schweiz stand immer noch ohne Ergebnis da. Nachdem der Energieartikel in der Abstimmung vom Februar 1983 am Ständemehr gescheitert war, beschloss der Bundesrat im Juni 1983 deshalb die Flucht nach vorne. Er hatte die Absicht, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und sprach von einem «Multipack» mit 28 energiepolitischen Massnahmen, die zusammen mit den Kantonen umgesetzt werden sollten. Diese Massnahmen stützten sich mangels Verfassungsartikel zur Energie auf das neue Umweltschutzgesetz, den Konsumentenschutzartikel, das Mietrecht, den Natur- und Heimatschutz sowie auf den Verfassungsartikel über die Stromverteilung.

Bundesrat will bestehende Möglichkeiten nutzen
Als dann im September 1984 auch die Energie-Initiative an der Urne Schiffbruch erlitten hatte (siehe Teil 2 der Blogserie), war der Weg frei für diese neue Strategie. Der Bundesrat änderte sein Wording: Es sei nicht angebracht, unmittelbar einen neuen Anlauf für einen Energieartikel zu machen, auch wenn damit wichtige energiepolitische Anliegen rascher und einfacher verwirklicht werden könnten. Zweckdienlicher sei es, so rasch als möglich die bestehenden Möglichkeiten auszunutzen.

Dass die Probleme im Energiebereich weiterhin nicht gelöst waren, zeigten auch die im Januar 1984 vom Verkehrs- und Wirtschaftsdepartement veröffentlichten Energieperspektiven. Diese rechneten damit, dass die Endenergienachfrage bis ins Jahr 2000 um jährlich 1,5 bis 2,5 Prozent zunehmen werde falls keine einschneidenden Massnahmen zur Drosselung des Energieverbrauchs getroffen werden (Freiburger Nachrichten vom 28. Januar 1984).

Das energiepolitische Programm von Bund und Kantonen
Als wichtige Massnahme des Multipacks kündigte Bundesrat Leon Schlumpf die Ausarbeitung eines Elektrizitäts-Spargesetzes an, mit dem Sparmassnahmen für den Stromverbrauch definiert werden sollten. Und im März 1985 verabschiedete die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren zusammen mit dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiedepartement ein energiepolitisches Programm. Darin definiert wurden die Bereiche, für deren Umsetzung der Bund, die Kantone und Gemeinden oder beide gemeinsam verantwortlich sein sollen. Diese Aufgabenteilung teilte den Kantonen und Gemeinden die Energiesparmassnahmen in und um die Gebäude zu. Eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Kantonen wurde für die verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung, Information und Beratung, Pilot- und Demonstrationsanlagen, Aus- und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung und Steuererleichterungen definiert. Dem Bund zugeteilt wurde schliesslich die Verantwortung für die Typenprüfung von Anlagen und Geräten und Massnahmen zur Senkung des Treibstoffverbrauchs von Motorfahrzeugen.

Kantone beharren auf Zuständigkeit im Gebäudebereich
Der Bund hätte die Wärmedämmung der Gebäude gerne national regeln wollen, konnte sich aber in diesem Punkt nicht durchsetzen, sie verblieb in der «angestammten Kompetenz» der Kantone. Bundesrat Schlumpf quittierte dies mit der Forderung, dass die Stände im Bereich der Energiepolitik die Kompetenzen nicht nur wahren, sondern auch wahrnehmen sollten.

Kantone in der Pflicht
Mit dem energiepolitischen Programm nahm der Bundesrat die Kantone also geschickt in die Pflicht und machte deutlich, dass er bis im Frühjahr 1986 Fortschritte erwarte. Falls bis dahin die überwiegende Mehrheit der Kantone die erforderlichen Massnahmen nicht ernsthaft in die Wege geleitet hätten, wäre ein Energieartikel erneut ins Auge zu fassen. Zu diesem Zeitpunkt, Ende März 1985, waren kantonale Energiegesetze in sechs Kantonen in Kraft (Bern, Basel-Stadt, Basel-Land, Fribourg, Neuenburg und Zürich) und in drei Kantonen in der parlamentarischen Beratung (Zug, Thurgau und Luzern). Im Kanton Jura lief eine Vernehmlassung, und die Kantone Tessin und Waadt hatten statt eines Energiegesetzes Sparvorschriften erlassen.

Fast gleichzeitig mit der Verabschiedung des energiepolitischen Programms, wurde in der Schweiz erstmals Erdgas gefördert: In Finsterwald im Entlebuch startet die Erdgasförderung in der ersten Aprilwoche 1985. Gefördert wurde während knapp 10 Jahren (siehe dazu Zentralplus vom 28.07.2014)

Walliser Bote vom 30. März 1985

Walliser Bote vom 30. März 1985

Schlaf der Gerechten und Böcke statt Gärtner
Am 30. März 1985 publizierte die Tageszeitung Freiburger Nachrichten auf der Titelseite einen spitzen Kommentar zum energiepolitischen Programm von Bund und Kantonen: «Es lebe der Föderalismus! Dieser Hochruf entschlüpft einem unwillkürlich, wenn man die energiepolitische Aufgabenteilung Bund-Kantone liest. Aber ganz überzeugt kann man dieses an sich berechtigte Hochleben lassen des eigenständigen Willens nicht über die Lippen bringen. Die Skepsis ist nicht zuletzt im energiepolitischen Bereich angebracht, wo zwar einige Kantone vorbildlich agiert haben, andere wiederum eher den Schlaf der Gerechten schlafen und das grosse Mittelfeld sich nach und nach um eine Besserung der Dinge bemüht. Zudem gibt es da kantonale Souveräne, die sich neuen Energiegesetzen gegenüber widerborstig zeigten. In diesem Sinne kann es keine Begeisterung auslösen, wenn die für das Energiesparen wichtige Wärmedämmung der Gebäude den Händen des Bundesrates entrissen wird. Und nur bedauern kann man die Tatsache, dass der Bund ein neues Gesetz über die rationellere Verwendung des elektrischen Stroms vorläufig nur prüfen darf. Gerade die Kantone, die meist auch mehr oder weniger stark in der Elektrizitätswirtschaft engagieren oder auch mit ihr verfilzt sind, wären hier eher Böcke denn Gärtner.»

Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Kaiseraugst
Im Parlament ging es nach dem Nein zur Energie-Initiative und zur Atomausstiegsinitiative, die am 23. September 1984 (Abstimmungsbüchlein) ebenfalls deutlich, mit 55.0% abgelehnt worden war, energiepolitisch weiter mit der Beratung der Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Kaiseraugst. Die Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Graben war ebenfalls bereits in der Pipeline, das Parlament sollte allerdings erst darüber entscheiden, wenn auch die Baubewilligung für Kaiseraugst vorliegen würde, die für 1987 erwartet wurde.

Nach Tschernobly «begrub» das Parlament 1988/89 die bereits erteilte Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Kaiseraugst ebenso wie die in Aussicht gestellte Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Graben. Für die Nichtrealisierung ihrer Kernkraftwerkprojekte erhielten die Projektanten von Kaiseraugst eine Bundesentschädigung von 350 Millionen Franken, diejenigen von Graben 227 Millionen Franken.

Tschernobyl als Game-Changer
Zwar gab es nach der Ablehnung des Energieartikels immer wieder einzelne parlamentarische Vorstösse für die Ergänzung der Bundesverfassung. Das Reaktorunglück in Tschernobyl vom 26. April 1986, löste dann aber eine Flut von Vorstössen aus. Mit zwei 1987 überwiesenen Motionen wurde ein neuer Energieartikel verlangt, um endlich eine umfassende, ausgewogene Energiepolitik realisieren zu können. Mehr dazu in Teil 4 dieser Blogserie.

Marianne Zünd, Leiterin Medien und Politik, BFE

Bild: Keystone/Str

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