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Too fast and in the wrong order: Die unsortierte Energiezukunft?


Heute findet in Zürich-Rüschlikon die EnergyCom Senior Executive Conference statt, an der die vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) erstellte Studie „Die neue Energiewelt: Vom Mangel zum Überfluss“ vorgestellt wird. Eröffnet wurde die Konferenz heute Morgen von Benoît Revaz, Direktor BFE, dessen Referat wir hier in leicht verkürzter Form veröffentlichen.

„The future always comes too fast and in the wrong order”

Diese Feststellung stammt vom US-amerikanischen Futurologen Alvin Toffler. Bekannt wurde er durch seine Arbeiten zur digitalen Revolution. Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass diese Aussage heute insbesondere auf die Energiebranche zutrifft. Einer Branche, die in den letzten über 100 Jahren ein recht beschauliches Dasein führte, in sehr langen, unaufgeregten Investitionszyklen plante und dabei erst noch gutes Geld verdiente.

Diese Zeiten sind vorbei. Seit einigen Jahren ist die Branche mit fundamentalen Veränderungen von Märkten und Technologien konfrontiert. Veränderungen, die nicht nur vorübergehend für etwas Unruhe sorgen, sondern das Energieversorgungssystem aufmischen und schliesslich zu einer ganz neuen Energiewelt führen werden. Die „agents of change“ sind neue Technologien, Geschäftsmodelle und neu in die Energiebranche eintretende Akteure. Sie drängen mit ihren Innovationen auf den Markt und folgen dabei keiner gesetzlich anordneten Reihenfolge oder wirtschaftlichen Logik. Wie einst Henry Ford, der trotz vielen Skeptikern fest an den Business Case seines T-Models glaubte und rückwirkend kommentierte: „If I had asked people what they wanted, they would have said faster horses.“ Innovationen tauchen auf, gleichzeitig oder nacheinander, sie ergänzen sich gegenseitig oder schliessen sich aus, sie setzen sich im Wettbewerb durch oder verschwinden wieder. Die Energiezukunft lässt sich nicht „sortieren“ und schon gar nicht bremsen. Und auch der Bau einer Mauer rund um unser Land würde sie nicht aufhalten.

Nicht einfach abwarten

Doch die Energiezukunft lässt sich lenken. Sie muss sogar gelenkt werden, denn das oberste Ziel ist und bleibt, eine sichere, bezahlbare und umweltfreundliche Energieversorgung für uns alle zu garantieren. Damit dies gelingt, müssen wir uns aktiv mit der Zukunft befassen, potenzielle Technologiesprünge antizipieren, Chancen ergreifen und Risiken frühzeitig vorkehren ohne vor ihnen in eine Schockstarre zu verfallen. Wir dürfen die neue Energiewelt nicht einfach abwarten, sondern wir sollten sie gestalten. Und unsere Generation hat das Privileg, dabei mitzuwirken.

Der Weg von heute nach morgen

Die GDI-Studie „Die neue Energiewelt: Vom Mangel zum Überfluss“, die heute vorgestellt wird, soll uns „Energetikern“ dabei helfen, unsere oft vorhandene Betriebsblindheit zu überwinden, den Horizont zu öffnen und insbesondere auch die Chancen kreativer wahrzunehmen.

Klar ist: Man kann die Zukunft nicht von der aktuellen Realität ausgehend denken. Aber man muss sie darauf aufbauen. Denn wir starten ja nicht auf der grünen Wiese. Die Generationen vor uns haben in Pionierzeiten mutig ein solides Energiesystem geschaffen, später ausgebaut und konsolidiert. Dieses wertvolle Erbe hilft uns sehr auf dem Weg von heute nach morgen, es ist der feste Boden unter unseren Füssen. Was nicht heisst, dass es sich nicht verändern wird, verändern muss. Grosse technologische Shifts, wie sie in der Energie bevorstehen, formen ja nicht nur einzelne Elemente um, sondern wandeln das gesamte System. Wie die smarten Telefone, die nicht nur die Telefonie, sondern das gesamte Kommunikationssystem einschliesslich der traditionellen Telekom-Wirtschaft total verändert haben: wie wir einkaufen, arbeiten, bezahlen, ja wie die ganze Gesellschaft funktioniert. Wir dürfen also nicht nur fasziniert oder besorgt auf einzelne Technologien fokussieren, beispielsweise Blockchain-Anwendungen, sondern wir müssen immer das gesamte System, die Wechselwirkungen im Auge behalten.

Agile Regulierung

Das gilt insbesondere für die Politik und die Regulierung. Auf einzelne Veränderungen vorschnell zu reagieren kann unbeabsichtigte Auswirkungen auf andere Teile des Systems haben. Regulation in einem dynamischen, technologiegetriebenen Markt soll zwar ein gewisses Mass an Rechts- und Investitionssicherheit bieten, andererseits aber auch das Gedeihen von Innovationen ermöglichen. Es gilt also, die Regulation richtig auszubalancieren und vor allem agiler zu gestalten. Die regulatorische Hülle, die sich über die ansonsten möglichst frei spielenden Energiemärkte spannt, ist angesichts der aktuellen dynamischen Entwicklungen zu unflexibel geworden. Sie wurde seinerzeit aus einem soliden aber starren Baumwollstoff gewebt, während heute ein dehnbares, flexibles Stretchgewebe gefragt wäre, das mit den Marktveränderungen mitwachsen, mitatmen kann. So sollte eine agile Regulation auch vermehrt in kurzen Innovationszyklen denken und wirken dürfen. Solche regulatorischen Fragestellungen beschäftigen derzeit nicht nur die Schweiz und Europa, sondern die ganze Welt.

Energieperspektiven … aber keine Gebrauchsanleitung

Die GDI-Studie soll wie erwähnt den Blick über die unmittelbaren Herausforderungen lenken, sie soll aufzeigen, wie eine mögliche Energiezukunft aussehen könnte und dass das Ergebnis durchaus etwas sehr Begrüssenswertes sein könnte. Der Weg dorthin muss uns nun beschäftigen. Das Bundesamt für Energie wird in diesem Jahr die Arbeiten zu den neuen Energieperspektiven aufnehmen. Auf die klassische Weise, mit ökonomischen Modellen und Annahmen zur langfristigen Entwicklung von Technologien, Preisen, Bevölkerung, Verkehr und Wirtschaft. Dabei werden durchaus auch technologische Shifts einbezogen und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Energie-Mix. Resultat sind dann viele Zahlen und Tabellen, die zwar jeweils rückblickend nie vollständig korrekt sind, aber ein wissenschaftlich belegter „best guess“, eine solide Grundlage, um die Entwicklung der energiepolitischen Rahmenbedingungen zu steuern.

Doch warten Sie nicht darauf, dass Ihnen der „Bund“ die Zukunft erklärt. Auch wir haben keine Kristallkugel und sind auf den eben beschriebenen „best guess“, auf die ständige Beobachtung der Forschung, Entwicklung und das Monitoring der Märkte angewiesen. Doch Änderungen können aus Ecken kommen, die wir mit unserem Energie-Tunnelblick nicht sehen können, die den Energiesektor aber tiefgreifend beeinflussen könnten. Warten Sie also nicht auf eine Gebrauchsanleitung oder eine Wegbeschreibung von uns. Wir können Sie nicht vor den bevorstehenden Turbulenzen abschirmen, aber wir können Sie begleiten. Werden Sie also aktiv und agil. Wenn Sie auf Abwarten setzen: andere werden es nicht und vorwärts gehen.

Benoît Revaz, Direktor Bundesamt für Energie

 

 

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