Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 2: bis 2008
Am 17. Juli 1969 ging das erste Kernkraftwerk der Schweiz in Beznau in Betrieb. 1971 kam der zweite Reaktor in Beznau dazu, 1972 das Werk in Mühleberg. Wie die radioaktiven Abfälle entsorgt werden sollten, das war damals noch ungeklärt. Was hat sich mit dem Bundesbeschluss zum Atomgesetz vom 6. Oktober 1978 geändert? Energeiaplus blickt im zweiten Teil der Artikel-Serie zur Geschichte der Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager auf die Zeit von den 1980-er bis Anfang der 2000-er Jahre zurück.
Im Bundesbeschluss zum Atomgesetz vom 6. Oktober 1978 wurde festgehalten, dass einem neuen Kernkraftwerk die Rahmenbewilligung nur erteilt wird, wenn die dauernde und sichere Entsorgung und Endlagerung der aus der Anlage stammenden radioaktiven Abfälle gewährleistet ist.
Diese Forderung wurde auch auf die bereits bestehenden Kernkraftwerke in Beznau und Mühleberg ausgedehnt. Zwei weitere Kernkraftwerke nahmen ihren Betrieb auf: Gösgen (1979) und Leibstadt (1984). Die Betreiber mussten dann bis Ende 1985 nachweisen, dass eine Entsorgung der Abfälle in der Schweiz möglich ist. Dazu startete die Nagra, die für die Lagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz zuständig ist, das „Projekt Gewähr 1985“ und reichte bis Mitte der 1980er Jahre Entsorgungsnachweise für die beiden Abfallkategorien (schwach- und mittelaktive sowie hochradioaktive Abfälle) ein. Der Entsorgungsnachweis belegt, dass die Entsorgung der in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle in einer bestimmten geologischen Schicht grundsätzlich machbar ist. Der Entsorgungsnachweis ist keine Bewilligung und keine Standortwahl für ein Tiefenlager. Er zeigt lediglich auf, dass ein genügend grosser, geeigneter Gesteinskörper existiert, in dem ein geologisches Tiefenlager gebaut werden könnte.
Hochaktive Abfälle
Zum Nachweis der Entsorgung der hochaktiven Abfälle wählte die Nagra das Kristallingestein der Nordschweiz (zwischen den Kantonen Solothurn und Schaffhausen) aus und stiess bei durchgeführten Sondierbohrungen auf Überraschungen, namentlich den sogenannten Permokarbontrog, der vorher noch nicht bekannt war. Die Ausdehnung des untersuchten kristallinen Wirtsgesteins war somit kleiner als gedacht, weshalb von den drei geforderten Kriterien (Langzeitsicherheit, Existenz eines Standorts in der Schweiz und technische Machbarkeit) nur zwei erfüllt waren.
Die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK (heute ENSI) kam darum zum Schluss, die Existenz eines geeigneten Standorts sei nicht nachgewiesen worden. Die HSK beurteilte in ihrem Gutachten die Suche nach einem solchen im gewählten Wirtsgestein als schwierig, aufwändig und ohne Garantie auf Erfolg. Als Folge dieses Gutachtens forderte der Bundesrat die Nagra auf, ihre Standortsuche auf Sedimentgesteine auszuweiten. 2002 reichte die Nagra einen neuen Entsorgungsnachweis für hochaktive Abfälle im Opalinuston des Zürcher Weinlands ein. Der Bundesrat genehmigte diesen 2006.
Schwach- und mittelaktive Abfälle
Für die sichere Entsorgung von schwach- und mittelaktiven Abfällen wurde ein anderer Standort gewählt: Der Standort Oberbauenstock im Kanton Uri. Die Machbarkeit in den geologischen Schichten wurde dort nachgewiesen. Nach der Überprüfung durch die HSK betrachtete der Bundesrat den Entsorgungsnachweis für diese Abfälle als erbracht.
Der konkrete Standortvorschlag für ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle folgte 1993. Nachdem die Nagra bereits in den 1980-er Jahren Voruntersuchungen am Wellenberg bei Wolfenschiessen in Nidwalden durchgeführt hatte, schlug sie diesen Standort vor. Zwei Jahre später wurde das Projekt aufgrund eines Volksentscheids blockiert, 2002 lehnte das Nidwaldner Stimmvolk den Bau eines Sondierungsstollens ab. Mehr zur Geschichte des Standorts Wellenberg gibt es hier: Geschichte – wellenberg
Damit war man mit der Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in eine Sackgasse gelangt. Darauf nahm der Bund das Heft in die Hand. Es wurde ein neues Kernenergiegesetz ausgearbeitet. Und das Standortauswahlverfahren wurde neu aufgegleist – im Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) 2008.
José Rodriguez, Fachspezialist Entsorgung radioaktive Abfälle, Bundesamt für Energie
Bild: Keystone-sda/Sigi Tischler; Über 500 Demonstranten warten mit Fackeln und Plakaten am Mittwoch, 3. November 2008 in Stans vor der Veranstaltung über das geologische Tiefenlager der Nagra im Wellenberg.
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In der Schweiz ist vorgeschrieben, dass die Abfälle langfristig sicher in geologische Tiefenlager verbracht werden. Das Standortsuchverfahren dafür läuft seit 2008 nach einem Sachplan. Vorgesehen ist, dass die Standortwahl 2031 abgeschlossen sein wird.
Das Bundesamt für Energie leitet dieses Verfahren unter dem Titel «Sachplan geologisches Tiefenlager». Das Verfahren beinhaltet eine breite Beteiligung von Kanton, Gemeinden und Bevölkerung.
Den ersten Beitrag finden Sie hier: Vom Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Schweiz – Teil 1: 1900 – 1980 | BFE-Magazin energeiaplus | Energiemagazin des Bundesamtes für Energie
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