Sobald feststeht, wo das geologische Tiefenlager für die Endlagerung der radioaktiven Abfälle in der Schweiz realisiert werden soll, muss sichergestellt werden, dass der dazu notwendige Raum nicht durch andere Nutzungen beansprucht wird. Denn die Sicherheitsfunktion des geologischen Untergrundes muss langfristig erhalten bleiben und darf nicht durch äussere Einflüsse beeinträchtigt werden.
Ungefähr im Jahr 2030 werden Bundesrat und das Parlament über die Rahmenbewilligung für ein geologisches Tiefenlager entscheiden. In diesem Lager sollen die Abfälle in mehreren hundert Metern Tiefe eingelagert werden. Es dauert über zehn- bis hunderttausende von Jahren, bis ihre Radioaktivität auf ein ungefährliches Niveau abklingt. Es liegt also in unserem wie auch im Interesse künftiger Generationen, den Untergrund im Bereich des geologischen Tiefenlagers zu schützen.
Wie soll das aber geschehen? Das Kernenergiegesetz (Art. 40) und die Kernenergieverordnung (Art. 70) regeln den sogenannten Schutzbereich. Dabei handelt es sich um den unterirdischen, dreidimensionalen Raum rund um das Tiefenlager und seine Zugänge. Eingriffe in diesem Schutzbereich könnten die Sicherheit des Lagers beeinträchtigen.
Der Schutzbereich umfasst diejenigen Gesteinsbereiche, die für das Tiefenlager den hydraulischen Einschluss und die Rückhaltung der Radionuklide bewirken oder für den Bau der Zugänge gebraucht werden. Für jedes anderweitige Bau- oder Nutzungsprojekt, welches in irgendeiner Art und Weise den Schutzbereich tangiert, muss zuerst abgeklärt werden, ob es die langfristige Sicherheit des geologischen Tiefenlagers beeinträchtigen könnte. Solche Vorhaben könnten beispielsweise eine Tiefbohrung, eine Sprengung, ein Tunnel oder ein Steinbruch sein.
Schon heute braucht es für solche Vorhaben eine Bewilligung oder eine Konzession des Kantons, der die Hoheit über den (tiefen) Untergrund hat. Ist der Schutzbereich einmal festgelegt, brauchen alle Vorhaben, welche dessen Schutzfunktion beeinträchtigen können, neben den ohnehin erforderlichen kantonalen Bewilligungen zusätzlich eine Bewilligung des Bundes. Dies bedeutet nicht, dass das Gebiet von vornherein für jede unterirdische Tätigkeit gesperrt ist. Nur Vorhaben, welche die Sicherheit des Lagers beeinträchtigen könnten, sind nicht mehr möglich.
Konkret wird das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI im Auftrag des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Telekommunikation UVEK bei jedem gestellten Gesuch prüfen, ob das geplante Vorhaben und das Tiefenlager einander in die Quere kommen. Je nach Gefährdungsbild kann das UVEK das Vorhaben ganz, teilweise, mit Auflagen oder gar nicht bewilligen.
Mit der Rahmenbewilligung wird für die weitere Projektierung des Tiefenlagers ein «Rahmen abgesteckt». Dazu gehört der «vorläufige Schutzbereich». Dieser soll sich – laut den Vorstellungen der Nagra – über eine Fläche von ungefähr 30 km2 erstrecken. Damit will sie sich die Möglichkeit erhalten, später das Lager optimal platzieren zu können. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Rahmenbewilligung wird nämlich noch nicht bestimmt, wo genau im Untergrund das Lager gebaut wird und wo die einzelnen Lagerkammern, Zugangsschächte und -tunnel zu liegen kommen. Dies wird erst mit der Baubewilligung festgelegt.
Mit der Betriebsbewilligung – d. h. zirka um das Jahr 2050 – erhält der Lagerbetreiber dann die Erlaubnis, Abfälle ins Tiefenlager einzulagern. Zu diesem Zeitpunkt sind die endgültigen Dimensionen und Funktionen des Lagers bekannt und somit wird der «definitive Schutzbereich» festgelegt. Dieser wird die sicherheitsrelevanten Gebirgsbereiche um die effektiv realisierten Lagerteile umfassen und dürfte nach heutiger Vorstellung voraussichtlich nur noch wenige Quadratkilometer gross sein.
Damit der Schutzbereich bekannt ist, wird er für alle betroffenen Parzellen im Grundbuch angemerkt. Dies bedeutet für die Grundeigentümer keine generelle Einschränkung. Das Eigentum reicht nur soweit in den Untergrund, wie ein schutzwürdiges Ausübungsinteresse daran besteht. Bis dorthin kann ein Eigentümer den Untergrund also in einem konkreten Fall «nutzen». Es liegt in der Kompetenz des Kantons, in Einzelfällen auch des Bundes, Regelungen zur Nutzung des Untergrundes zu erlassen. Zum Beispiel sind Bohrungen für Erdwärmesonden in der Schweiz bewilligungspflichtig. Im Gebiet um Nördlich Lägern hat der Kanton Zürich eine Bohrtiefenbeschränkung für Erdwärmesonden erlassen.
Der Schutzbereich eines geologischen Tiefenlagers resp. die ihm zugrundeliegenden Vorschriften können letztendlich bestimmte Nutzungen auf und unter Grundstücken in seinem Umfeld verunmöglichen. Er stellt in diesem Sinne eine «öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung» dar. Als das Kernenergiegesetz 2003 verabschiedet wurde, war die Auswahl an raumplanerischen Instrumenten zur Bekanntmachung solcher Eigentumsbeschränkungen noch gering. Inzwischen wurde mit dem Kataster der öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen (ÖREB-Kataster) ein Verzeichnis geschaffen, in welchem alle wichtigen Eigentumsbeschränkungen auf Grundstücken, welche durch Erlasse des öffentlichen Rechts entstehen, erfasst werden.
Die Einträge des Katasters umfassen verschiedene Daten wie Pläne, Rechtsvorschriften, und gesetzliche Grundlagen. Er ist über die digitalen kantonalen Geoportale frei zugänglich und bietet der Bevölkerung wie auch den Behörden eine verlässliche Grundlage an Informationen zu mit einem Grundstück verbundenen Beschränkungen. Das Bundesamt für Energie BFE prüft, ob auch der Schutzbereich eines geologischen Tiefenlagers im ÖREB-Kaster eingetragen werden kann. Damit könnte man noch besser sicherstellen, dass Interessierte jederzeit einsehen können, wo der Schutzbereich liegt und was die damit verbundenen Vorschriften sind.
Am 5. März 2024 hat die Nagra an der Vollversammlung der Regionalkonferenz Nördlich Lägern ihre Vorstellung zur Ausdehnung und Lage des vorläufigen Schutzbereichs präsentiert. Sie wird ihn später im Rahmenbewilligungsgesuch näher beschreiben und offiziell beantragen. Das Gesuch will sie im November 2024 einreichen. Für die Bevölkerung wird sich mit der Festlegung des Schutzbereichs praktisch nichts ändern, ausser dass sie damit eine Garantie hat, dass der Untergrund, in dem möglicherweise ein Lager gebaut wird, unversehrt bleibt.
Philippe Schaub, Fachspezialist Entsorgung radioaktive Abfälle, und Monika Stauffer, Leiterin Sektion Entsorgung radioaktive Abfälle, Bundesamt für Energie
Bild: zvg Nagra