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Krisen, Sprache, Gerechtigkeit – was hat das mit Energieforschung zu tun?


Was lösen Begriffe wie «Blackout» oder «Stromlücke» aus? Warum darf die Fairness in der Energiepolitik nicht unterschätzt werden? Mit solchen Fragen setzten sich Forschende der Sozial- und Geisteswissenschaftler in zwei vom Bundesamt für Energie unterstützten Workshops auseinander. Dabei identifizierten sie, in welchen Bereichen ihre Forschung am meisten Wirkung erzielen könnte, und  warum mit Technologie allein der Umbau des Energiesystems nicht gelingt. Energeiaplus mit einem Überblick der Resultate.

Die aktuelle Energiekrise macht deutlich, wie unvorhersehbare Ereignisse den Wandel hin zu einem neuen Energiesystem beeinflussen: Lokale, erneuerbare Energie ist gefragter. Die Bevölkerung will autarker und unabhängiger vom Ausland werden. Das zeigt unter anderem der Boom bei der Solarenergie. Krisen und Risiken beeinflussen Entscheide. Man ist eher bereit, das eigene Verhalten zu hinterfragen und anzupassen.

Diese Zusammenhänge wollen Forschende der Sozial- und Geisteswissenschaften vermehrt untersuchen. Im Rahmen von zwei Workshops haben sich Forschende aus den Disziplinen Anthropologie, Kommunikation, Linguistik, Ökonomie, Politologie, Psychologie, Recht, Soziologie und Nachhaltigkeit ausgetauscht und die Rolle der Sozial- und Geisteswissenschaften in der Energieforschung diskutiert. Die Resultate haben sie kürzlich in einem Kommentar in der Online-Wissenschafts-Bibliothek PLOS Climate (Towards more impactful energy research: The salient role of social sciences and humanities) publiziert.

Die Menschen einbeziehen

Gracia Brückmann vom Oeschger Institut für Klimaforschung der Universität Bern; Bild zvg

Bei den Workshops ging es vor allem darum, die Forschenden der Sozial- und Geisteswissenschaften im Bereich Energie besser zu vernetzen, erklärt Dr. Gracia Brückmann vom Oeschger Institut für Klimaforschung der Universität Bern. Dass die Energiewende nicht allein mit Technologie gemeistert werden kann, sondern dass auch gesellschaftliche und persönliche Faktoren zu berücksichtigen sind, lässt sich an zahlreichen Beispielen illustrieren.

«Immer wieder zeigen Studien, dass wir allein durch mehr Informationen noch keine langanhaltenden Verhaltensänderungen erreichen», so Brückmann. Denken wir an das (E-)Bike-Sharing, bei dem via App ein E-Bike geliehen und andernorts wieder abgestellt werden kann. «Die Velos landeten zu Beginn in Flüssen und wurden beschädigt. Diese Schwierigkeiten traten auf, weil sich keine sozialen Regeln etabliert hatten und die Kommunikation nur eigeschränkt via App möglich war», erklärt Brückmann.

Auch Preissignale funktionieren nicht immer so, wie man es erwarten würde. Plötzliche Preisänderungen können etwa zu Angst, Ohnmachtsgefühl oder Verzweiflung führen. Um solche Mechanismen zu verstehen und wirkungsvolle Instrumente zu entwickeln, sei es sehr wichtig, sich in der Forschung nicht nur mit der Technik, sondern auch mit dem Menschen auseinanderzusetzen.

Die versteckte Bedeutung von Begriffen

Eine wichtige Rolle spielt die Sprache, betonen die Forschenden. Ob von Energieproduktion oder Energieversorgung gesprochen wird, macht einen Unterschied. «Während beim Wort Versorgung ein sozialer, gemeinschaftlicher Aspekt mitschwingt, wird beim Begriff Produktion der Marktmechanismus betont», erklärt Brückmann. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff «Blackout». Ein Blackout hat zwar nicht zwingend einen Zusammenhang mit einer Stromknappheit, sondern kann auch durch einen Blitzschlag oder einen Brand entstehen. Trotzdem wird der Begriff oft im gleichen Atemzug mit einer drohenden «Stromlücke» verwendet – mit völlig unterschiedlichen Botschaften.

Die Lücke impliziert, dass etwas vom Ganzen fehlt, das es zu füllen gibt. Dabei schwingt mit, dass die Bevölkerung mit einer sparsamen Energienutzung oder durch eine eigene Solarstromanlage einen Beitrag leisten kann. Beim Blackout hingegen läuten die Alarmglocken, es wird dunkel, man verliert die Kontrolle und kann selbst nichts bewirken. In der Kommunikation von Energiethemen können solche sprachlichen Feinheiten gezielt genutzt werden.

Gerechtigkeit wahren

Schliesslich ist auch der Aspekt der Fairness entscheidend, damit Massnahmen von der Gesellschaft angenommen werden. Gerade am Beispiel der CO2-Abgabe, die im CO2-Gesetz vorgesehen war und die das Volk im Juni 2021 abgelehnt hat, lässt sich dies gut illustrieren. Menschen, die für die Schichtarbeit auf ein Auto angewiesen sind oder solche, die in älteren Gebäuden mit tiefen Mieten aber hohem Energieverbrauch wohnen, sahen sich als Verlierende. Studien zeigten aber, dass niedrige Einkommensgruppen unter dem Strich oft mehr Geld aus den Lenkungsabgaben zurückerstattet erhalten als sie an Abgaben bezahlen. Dies wrd von dem meisten aber nicht wahrgenommen.

«Wenn wir alles über finanzielle Anreize lösen, kommen wir unweigerlich zur Fairness-Diskussion», so Brückmann. «Wir müssen das System neu denken und nicht alles an individuelle Verhaltensänderungen knüpfen.» Anstatt die Verantwortung an die einzelnen Menschen zu delegieren, könnten Entscheide vermehrt auf einer übergeordneten Ebene getroffen werden z.B. welchen Strommix ein Energieversorger anbietet. Eine entscheidende Frage ist, wer in diese Entscheide einbezogen wird.

SWEET – «SWiss Energy research for the Energy Transition» – ist ein Förderprogramm des Bundesamtes für Energie (BFE). Ziel von SWEET ist es, Innovationen zu fördern, die wesentlich zur erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie 2050 und zur Erreichung der Klimaziele der Schweiz beitragen.

Irene Bättig, Sprachwerk GmbH im Auftrag der Geschäftsstelle SWEET, Bundesamt für Energie (BFE)
shutterstock; Stock-Foto ID: 288462527; Billion Photos

 

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