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Unter unseren Füssen liegt eine Energiequelle, die niemals schläft. Seit Jahrtausenden nutzen Menschen diese Wärme, zuerst für Heilung und Erholung in Thermalbädern und heute zusätzlich zur Erzeugung von Wärme, Kälte und Strom. Doch wie kam die Schweiz von römischen Thermen zu modernen Bohrprojekten?

Was ist Geothermie?

Bei der Geothermie handelt es sich um Energie, die in der Erde in Form von Wärme gespeichert wird. Das Wort Geothermie stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Erdwärme. Um diese Energie nutzen zu können, muss die Wärme aus dem Erdinnern an die Oberfläche geholt werden. Dies wird meistens mit Wasser gemacht, das sich beim Kontakt mit dem heissen Gestein im Untergrund erwärmt. Die Geothermie kann sowohl für die Erzeugung oder Speicherung von Wärme als auch zur Produktion von Strom verwendet werden.

Die Temperatur steigt mit der Tiefe. Die Geothermie wird deshalb in untiefe oder oberflächennahe und tiefe Geothermie unterteilt. Bis rund 400 Metern Tiefe wird von der untiefen Geothermie gesprochen, darunter von der tiefen Geothermie.  Zwischen 400 bis 2’000 Metern betragen die Temperaturen im Schnitt zwischen 20 bis 70 Grad Celsius, lokal zum Teil auch mehr. Zuweilen kann das heisse Wasser durch Spalten und Risse im Gestein bis an die Oberfläche steigen, aber meistens muss es mittels Tiefbohrungen erschlossen werden. Wasser aus diesem Tiefenbereich wird hauptsächlich zum Baden in Thermalbädern und zur Wärmebereitstellung gebraucht. Wird noch tiefer gebohrt, so trifft man in der Schweiz ab 4’000 Metern Tiefe Temperaturen über 130 Grad Celsius an. Ab diesen Temperaturen kann die Wärme zur Stromproduktion verwendet werden.

Von den Römern bis zur ersten Glühbirne

Die Verwendung der Geothermie hat eine lange Geschichte, in der Schweiz besonders in Form von Thermalbädern. Die Nutzung von heissem Wasser ist eine weltweite und jahrtausendealte Tradition. Die Römer machten sich bereits die Wärme aus dem Erdinnern in Form von Fussbodenheizungen und Thermalbädern zunutze. Die Thermalbäder wurden im römischen Imperium als Gesundheitszentren und Orte des sozialen Austausches genutzt. Die hohe Bedeutung der Thermen widerspiegelt sich in wichtigen Strassenkarten, wo der Standort von verschiedenen Thermalbädern gekennzeichnet wurde. Im heutigen Baden im Kanton Aargau wurde beispielsweise im zweiten Jahrzehnt nach der Zeitenwende von römischen Legionären ein Thermalbad gebaut. Später wurde Baden zum bedeutendsten Badeort im deutschsprachigen Europa.

Die Idee, aus Erdwärme Strom zu gewinnen, ist hingegen verhältnismässig jung. Im Jahr 1904 leuchteten in Larderello in der Toskana in Italien die ersten fünf Glühbirnen, angetrieben von geothermischer Energie. Eine mit geothermischem Dampf betriebene Turbine wurde mit einem Dynamo verbunden und erzeugte erstmals in der Geschichte Strom mit Energie aus der Erdtiefe. Erst in den 1970er-Jahren, ausgelöst durch die Ölkrise, kam Geothermie zur Energiegewinnung auch in der Schweiz ins Gespräch, damals noch unter dem Namen „Alternativ-Energie“. Um eine systematische Forschung und Entwicklung der Geothermie zu betreiben, wurde am 22. September 1975 die Eidgenössische Fachkommission für Geothermie und unterirdische Wärmespeicherung (KGS) gegründet. Finanziert wurde die Fachkommission vom Bundesamt für Energiewirtschaft (BEW), so hiess das heutige Bundesamt für Energie (BFE) damals.

Das KGS unterstützte die Forschung und Entwicklung der Geothermie in der Schweiz und pflegte den engen Austausch mit der 1974 gegründeten Internationalen Energieagentur (IEA). Am 20. April 1990 wurde die Schweizerische Vereinigung für Geothermie (VGS) gegründet. Der Branchenverband sollte die Öffentlichkeitsarbeit und die Behördenkontakte stärken. Dank diesen Impulsen entwickelte sich in der Schweiz die oberflächennahe Geothermie mit Wärmepumpen seit den 1980er-Jahren stark und diese Entwicklung hält bis heute an.

Die Schweiz als Spitzenreiterin weltweit

Die Schweiz besitzt ein theoretisch grosses Geothermie-Potenzial, das heute hauptsächlich in geringen Tiefen zur Wärmenutzung mittels Erdwärmesonden bereits stark genutzt wird. Die Schweiz hat eine der weltweit höchsten Dichte an Erdwärmesonden, die vor allem für das Heizen von Wohngebäuden verwendet werden. Um eine Erdsondenwärmepumpe in Betrieb zu nehmen, sind meistens Bohrungen in einem Bereich von 150 bis 250 Metern Tiefe nötig. In grösseren Tiefen wird das Geothermie-Potenzial in der Schweiz noch wenig ausgeschöpft. So gibt es in der Schweiz bis heute noch kein Geothermie-Kraftwerk zur Stromproduktion.

Bei der Wärmenutzung aus grosser Tiefe gibt es jedoch erfolgreiche Pionierprojekte: Das Fernwärmenetz in Riehen bei Basel wird beispielsweise seit 1994 mit Wärme aus 1.5 Kilometern Tiefe gespiesen und hatte damit auch europaweit eine Vorreiterrolle. Eines der grössten Hindernisse bei der Entwicklung der Tiefengeothermie ist, dass der tiefe Untergrund in der Schweiz nur sehr schlecht und punktuell bekannt ist, was ein grosses Risiko für entsprechende Projekte bedeutet. Um dieses Risiko zu senken, sind hohe Investitionen in Erkundungsmassnahmen des Untergrunds nötig. Das BFE unterstützt diese Massnahmen mittels Fördergelder substanziell.

Energie, die niemals versiegt

 In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Geothermie-Projekte in der Schweiz begonnen, jedoch konnten nicht alle erfolgreich abgeschlossen werden. 2006 in Basel und 2013 in St. Gallen führten Tiefbohrungen für Geothermie-Projekte zu spürbaren Erdbeben, weshalb die Vorhaben gestoppt wurden. Die Tiefbohrung beim Spital Triemli in Zürich 2010 stiess nicht wie erhofft auf heisses Wasser. Die Bohrung musste unter Effizienzeinbussen mit einer tiefen Erdwärmesonde ausgebaut werden. Bei der Erkundung nach Untergrundressourcen – so auch nach geothermischen – ist es aber normal, dass nicht jede Bohrung zum Erfolg führt. Solche Rückschläge sind Teil des Explorationsprozesses, bei welchem der Untergrund systematisch nach wirtschaftlichen Ressourcen erkundet wird.

Eine erfolgreiche Exploration erfolgte beispielsweise beim Hauptsitz von Swatch-Omega, wo Grundwasser als Wärmespeicher zum Heizen und zum Kühlen verwendet wird. Ein weiteres Beispiel einer erfolgreichen Sondierungsbohrung ist der Flughafen Zürich. Dort wurden an drei Standorten Sondierungsbohrungen gemacht, um die technische Machbarkeit einer Kälte- und Wärmespeicherung im Untergrund zu bestätigen. Ein wichtiges zukunftsweisendes Projekt gibt es in Haute-Sorne im Kanton Jura. Dort wurde mehr als 4’000 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Ab 2029 soll dort ein Geothermie-Kraftwerk ans Netz gehen und Strom für 6’000 Haushalte liefern. Es wäre das erste Geothermie-Kraftwerk in der Schweiz.

Um herauszufinden, wo die Geothermie heute steht, haben wir bei unserem zuständigen Fachspezialisten für Geothermie, Christian Minnig, nachgefragt.

Energeiaplus: Welche technologischen Innovationen könnten die Geothermie in den nächsten zehn Jahren entscheidend voranbringen?

Christian Minnig ist im Bundesamt für Energie zuständig für Geothermie. Bild: BFE

Die Entwicklung der Geothermie hängt weniger von revolutionären technologischen Durchbrüchen ab, sondern vielmehr von der konsequenten Anwendung bewährter Technologien zum richtigen Zeitpunkt. Entscheidend ist, dass kompetente Entscheidungsträger die besten verfügbaren Lösungen einsetzen. Innovation bleibt aber wichtig, insbesondere um die Wirtschaftlichkeit zu steigern und die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu verringern.

Wie wichtig sind neue Bohrtechnologien für die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit von tiefen Geothermieprojekten?

Neue Bohrtechnologien können die Wirtschaftlichkeit von Projekten deutlich verbessern, indem sie Kosten senken und Prozesse effizienter machen. Die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit von Geothermie-Projekten sind aber in erster Linie von erfahrenen Fachleuten, von einer professionellen Projektorganisation und von effizienten Vollzugsbehörden abhängig. Technologie ist ein Werkzeug – der Erfolg hängt vom kompetenten Umgang damit ab.

Welches Potenzial hat die tiefe Geothermie für die Schweizer Energieversorgung im Rahmen der Energieperspektiven 2050+?

In den Energieperspektiven 2050+ wurde das Potenzial der tiefen Geothermie mit rund 2 TWh beziffert. Eine Aktualisierung der Energieperspektiven läuft derzeit. Klar ist: Die Geothermie bleibt ein relevanter Baustein für die Energiezukunft.

Könnte die tiefe Geothermie eines Tages einen bedeutenden Anteil an der Stromproduktion in der Schweiz übernehmen?

Das hängt mittelfristig stark vom Erfolg des technologischen Verfahrens der Enhanced Geothermal Systems (EGS) in den USA und deren Übertragbarkeit auf die Schweiz ab. Bei diesem Verfahren wird durch künstlich erzeugte Risse in heissem, wasserarmen Tiefengestein Wasser zirkuliert, um Wärmenergie für die Strom- und Wärmeerzeugung nutzbar zu machen. In der Schweiz spielt dabei das Projekt in Haute-Sorne eine Schlüsselrolle: Wenn das Projekt gelingt und einen glaubwürdigen Kostensenkungspfad aufzeigt, könnte die tiefe Geothermie mittelfristig einen wichtigen Beitrag für die Energiezukunft leisten. Eine Skalierung würde hauptsächlich im Untergrund erfolgen und hätte kaum Auswirkungen auf das Landschaftsbild – ein klarer Vorteil.

Langfristig könnten auch andere neuartige Konzepte wie beispielsweise das Verfahren der Closed Loop Geothermal Systems (CLGS) zu einem Durchbruch führen. Bei dem Verfahren handelt es sich um eine Anlage, bei der ein Wärmeträgermedium in einem geschlossenen Rohrkreislauf zirkuliert und durch Wärmeleitung aus dem umgebenden Untergrund erhitzt wird, ohne direkten Kontakt zu den Gesteinsschichten. Ob die Technologie tatsächlich zu einem Durchbruch führen wird, ist momentan aber noch etwas spekulativ. Immerhin wurde pünktlich zum Barbaratag am 4. Dezember die Meldung publiziert, dass in Deutschland erstmals mittels dieser Technologie Strom ins Netz eingespeist wurde. Die heilige Barbara ist u.a. die Schutzpatronin der Bohrmeister und Geologen. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist?

Was sind die grössten Hürden für den Ausbau der tiefen Geothermie in der Schweiz?

Da noch wenig Erfahrung mit der Realisierung und der Regulierung solcher Projekte vorhanden sind, sind die organisatorischen und regulatorischen Risiken beträchtlich. Gross ist bei den meisten Projekten auch das Fündigkeitsrisiko. Damit wird die Unsicherheit bezeichnet, ob geothermische Bohrungen ein Reservoir in ausreichender Menge und Qualität erschliessen, um wirtschaftlich nutzbar zu sein. Diese Faktoren müssen adressiert werden, um den Ausbau voranzubringen.

Welche Rolle spielt die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Erfolg von tiefen Geothermieprojekten?

Die Akzeptanz ist entscheidend. In der Schweiz gibt es wenig Erfahrung mit Tiefbohrprojekten, was bei unzureichender Information schnell zu Ängsten und Widerstand führen kann. Selbst technisch exzellente Projekte können daran scheitern. Deshalb müssen Projekte und Vollzugsbehörden die fachliche Kompetenz haben und diese auch vermitteln können, um die Bevölkerung zu überzeugen, dass allfällige Risiken beherrscht werden.

Welche Massnahmen sind nötig, damit die tiefe Geothermie in der Schweiz zum Durchbruch kommt?

Die Geothermie ist grundsätzlich attraktiv – die Herausforderung liegt vor allem in den Rahmenbedingungen. Massnahmen sollten Genehmigungsverfahren vereinfachen und harmonisieren, Rechts- und Investitionssicherheit schaffen, sowie die fachtechnische Kompetenz und Qualität sowohl bei der Umsetzung als auch im regulatorischen Vollzug erhöhen. So entsteht ein Umfeld, in dem Projekte planbar und Risiken kalkulierbar werden.

Das Ziel ist klar: Die Geothermie ist bereits heute ein wichtiger Eckpfeiler der Wärmeversorgung, es soll aber ihr ganzes Potenzial genutzt werden. Auch für die Stromversorgung weist ihr die Energiestrategie 2050 eine wichtige Rolle zu. Unter unseren Füssen liegt eine Energiequelle, die niemals versiegt. Unsere Kultur, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind mit ihr verbunden, von den römischen Thermen in Baden zu den modernen Geothermie-Wärmepumpen bis hin zu den innovativen Anwendungen zur Stromproduktion wie in Haute-Sorne.

 

Dieser Blogbeitrag über die Geothermie ist der Kick-off für eine Blogreihe über die Geschichte der erneuerbaren Energien mit dem Fokus auf die Schweiz. Mehr zur Geschichte der erneuerbaren Energien erfahren Sie in den kommenden Beiträgen zu Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik.

Mattia Pesolillo, Hochschulpraktikant Kommunikation, Bundesamt für Energie (BFE)
Bild: keystone-sda; Peter Klaunzer, 612764787

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Stromabkommen, IEA, internationale und EU-Energiepolitik: Wenn es um internationale Aspekte der Schweizer Energiepolitik geht, dann weiss Jean-Christophe Füeg Bescheid. Als Leiter Internationales im Bundesamt für Energie hat er die Schweiz in zahlreichen Gremien vertreten. Ende 2013 wurde er zum Botschafter ernannt. Nun wird Jean-Christophe Füeg pensioniert. Energeiaplus schaut mit ihm auf seine Zeit als BFE-Energiebotschafter zurück.

Energeiaplus: Sie sind 2001 zum BFE gekommen. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Dossier?

Jean-Christophe Füeg vertrat die Schweizer Energiethemen im Ausland. Bild: BFE

Jean-Christophe Füeg: Durchaus. Ich musste ein Referat zur Schweizer Energiepolitik in Brüssel vorbereiten. Da ich aus dem Ausland kam und wenig über die Schweiz wusste, sagte mir mein Chef, ich solle mir Zeit nehmen. Nach zwei Wochen legte ich ihm die Powerpoint-Präsentation vor. Er schreckte auf und meinte: Mit «Zeit nehmen» habe er sich zwei Monate vorgestellt. Wenige Monate später durfte ich zusätzliche Aufgaben von intern freigewordenen Stellen übernehmen und wurde unter anderem als Referent nach Armenien, ans George Marshall Center für Sicherheitsstudien und nach Bolivien eingeladen (diese Reisen habe ich übrigens mit Flugmeilen aus meinem früheren Job bezahlt).

Gut 20 Jahre waren Sie Leiter Internationales im BFE. Was sind die grössten Veränderungen, die Sie erlebt haben?

Eindeutig die fortschreitende weltweite Energiewende und die damit einhergehende Komplexität. 2002 konnten die westlichen Länder beim Welt-Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg nicht einmal ein «Erneuerbaren-Ziel» festschreiben. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit.

Was macht der Leiter Internationales denn genau?

Er vermittelt im Ausland die Schweizer Energiepolitik, vertritt die Schweiz in internationalen Gremien und verhandelt mit der EU oder einzelnen Ländern. Und er leitet Energiedialoge mit einer leider immer kleineren Anzahl Länder. Unter Bundesrätin Leuthard hatte die Cleantech-Exportförderung mit unzähligen Delegationsreisen einen hohen Stellenwert.

Was war das schwierigste Dossier in Ihrer Berufskarriere? Das Stromabkommen, das die Schweiz mit der EU anstrebt? Auf youtube finden sich Videos, in denen Sie den Standpunkt der Schweiz darlegen.

Schwierig war das Stromabkommen an und für sich nicht. Doch gewisse Interessengruppen haben es schwierig gemacht, indem sie ständig mit unerfüllbaren Sonderwünschen aufwarteten und nicht begreifen wollten, dass die Schweiz in Europa nicht einzigartig ist. Bis 2012 hätte das Stromabkommen mit etwas Kompromisswillen abgeschlossen werden können. Als die EU das Stromabkommen an institutionelle Lösungen (institutionelles Rahmenabkommen) knüpfte, wurde das Stromabkommen in Geiselhaft genommen. Seit der letzten Verhandlungsrunde im Juli 2018 ging es vor allem um Schadensbegrenzung. 15 Jahre Verhandlungen ohne Abschluss sind eine ungeheure Verschwendung.

In einem Artikel der «Finanz und Wirtschaft» vom Juni 2019 werden Sie zitiert. «Wir könnten das Stromabkommen innert zwei Tagen fertig verhandeln.» Ein Abschluss des Stromabkommens war damals aber nicht in Sicht. Wie gehen Sie mit solchen Erfahrungen um?

«Nicht in Sicht» würde ich mit Blick auf die jüngsten Entscheide des Bundesrats  relativieren. Manchmal kann es intellektuell stimulierend sein, tagelang zu recherchieren, um irgendwo in Europa einen Tatbestand zu finden, der als Argument für eine Schweizer Extrawurst herhalten könnte. Aber irgendwann erlahmen auch solche Anreize, da letztlich dafür kaum Erfolgschancen bestehen.

Ein wichtiger Akteur, mit dem Sie oft zu tun hatten, war die Internationale Energieagentur (IEA). Die IEA bewertet regelmässig die Energiepolitik von Mitgliedsländern im Rahmen der sogenannten Tiefenprüfung. Dabei wurde auch schon Kritik laut, es handle sich dabei um einen Werbespot für die nationale Energiepolitik. Was sagen Sie dazu? Erst letztes Jahr haben die internationalen ExpertInnen die Schweiz ja erneut unter die Lupe genommen.

Die Resultate der neuen Tiefenprüfung der Schweiz wurde am Tag nach dem Klimagesetz-Referendum bei der IEA besprochen und rief viele Fragen anderer Staaten hervor. Im Spätsommer wird diese durch Bundesrat Rösti und IEA-Exekutivdirektor Birol veröffentlicht. Tiefenprüfungen sind ein Wechselspiel zwischen dem untersuchten Land und den besuchenden Experten. Ein Werbespot sind sie indes nicht. So beanstandet die IEA seit Jahrzehnten, dass Brennstoffe in der Schweiz mit einer CO2-Abgabe belegt werden, Treibstoffe (Benzin und Diesel) aber weitgehend ungeschoren davonkommen.

Inwiefern haben Ereignisse wie Fukushima oder der Ukraine-Krieg Ihre Tätigkeit beeinflusst?

Fukushima wirkte sich vor allem im Inland aus – mit dem Entscheid zum schrittweisen Atomausstieg.  Nur Deutschland traf einen ähnlichen Entscheid. Ansonsten hinterliess Fukushima in der internationalen Energiepolitik wenig Spuren. Ganz anders bei der Ukraine-Krise und den immer noch laufenden Bestrebungen, die Schweiz vertraglich in der europäischen Gaslandschaft abzusichern, mit bis anhin durchwachsenen Ergebnissen.

Ende 2013 hat der Bundesrat Sie zum Botschafter ernannt. Welchen Einfluss hatte dies auf Ihre Tätigkeit?

In Europa, null, denn man kennt sich; oder es kann sogar das Gegenteil bewirken, bei Gesprächspartnern, die man noch nicht kennt und die  hinter dem Titel einen fachlich wenig beschlagenen Diplomaten vermuten. Ausserhalb Europas imponiert der Titel, manchmal dermassen, dass sogar langjährige Kollegen in Afrika sich weigerten, mich weiter zu duzen.

In Ihrem Editorial für das BFE-Magazin energeia haben Sie 2016 geschrieben: «Die Schweiz hat einen schwierigen Stand in der internationalen Energiepolitik.» Würden Sie das heute auch noch so sagen?

Die Isolation der Schweiz hat sich mit der fortschreitenden Integration in Europa und der Pandemie bedeutend verstärkt. Einzig im Pentaforum (Im Penta-Forum arbeiten die Energieministerien aus folgenden Ländern freiwillig zusammen: Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Österreich und der Schweiz und diskutieren Stromthemen und auch weitere Energiethemen wie Wasserstoff) werden wir noch als ebenbürtiger Partner wahrgenommen.

Zur Person:

Die BFE-Laufbahn von Jean-Christophe Füeg begann 2001. Er führte Verhandlungen mit der EU und internationalen Organisationen wie der Internationalen Energieagentur (IEA), der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) oder der UNO-Unter-Organisation Wirtschaftskommission für Europa. Er war zudem Leiter von Experten-Gremien zur Beurteilung der Energiepolitik von verschiedenen Ländern wie Indien, Indonesien, Chile, Kanada, Russland, Estland, Türkei, Kroatien, Mazedonien oder Mongolei.

Zuvor – von 1999 bis 2001 – war Füeg Leiter (Administrator) der Abteilung der Nicht-Mitgliedsorganisationen der IEA in Paris. Von 1998  bis 1999 war er Co-CEO von IHS Energy/Petrolconsultants Group für Öl und Gas. Von 1985 bis 1996 hatte er verschiedene Positionen im Bereich Erdölberatung in der ehemaligen Sowjetunion, Angola, Italien und Indonesien. Jean-Christophe Füeg hat ursprünglich Internationale Beziehungen, Russisch und Kunstgeschichte in Genf studiert.

Argumente wie «Die Schweiz als Stromdrehscheibe Europas» sind indes längst verpufft. Die Nordsee mit ihrem Windkraft- und Wasserstoff-Hub ist längst ein grösserer Faktor.  Man lächelt uns freundlich zu, aber wir werden kaum noch als Teil einer energiepolitischen Schicksalsgemeinschaft wahrgenommen.

Gut zehn Jahre ihres Berufslebens drehten sich um Erdöl. Sie haben zahlreiche Länder beraten. Reden Sie heute über diesen Energieträger anders als in den 1990er-Jahren?

Kaum. Hochentwickelte Länder können sich einen Ausstieg aus den Fossilen bis Mitte Jahrhundert leisten – abgesehen von den grauen Emissionen unserer Importe. Ganz anders die Entwicklungs- und Schwellenländer.

Die IEA sieht den Zenit der Erdölförderung in wenigen Jahren. Danach wird die Förderung über viele Jahrzehnte langsam sinken. Selbst das tugendhafte Dänemark wird erst 2050, nachdem es das letzte Kohlenwasserstoffmolekül aus seinem Boden gepresst hat, die Förderung aufgeben. Jemand wird das Erdöl fördern, raffinieren und transportieren müssen. Wenn es nicht die von Aktivisten verteufelten Ölmultis sind, dann die mittelöstlichen, russischen oder chinesischen Staatsfirmen. Ob das für die Umwelt und die gute Regierungsführung von Vorteil ist?

An welche Begegnung während Ihrer Berufskarriere erinnern Sie sich besonders gern?

Viele, auch überraschende. Ein türkischer konservativer Energieminister, der mir nach einer langen Verhandlungsnacht mit einem High Five gratuliert. Ein chinesischer Energie-Vizeminister, der mich nach einer mehrstündigen Sitzung, für die ich eigens nach Beijing geflogen war und gegen den Schlaf kämpfte, umarmte. Der Präsident von Ghana, dem ich bei einem offiziellen Essen in 60 Sekunden den Erneuerbaren blockierenden Reformstau in seinem Land erklären konnte, so dass er umgehend seinen Minister schalt.

Nun werden Sie pensioniert. Wie wird das Thema Energie Sie weiterhin beschäftigen?

Ich bin zum Schluss gekommen, dass Energie zu anspruchsvoll ist, um sich nur im Teilpensum damit zu beschäftigen. Man wird schnell obsolet und schweigt dann lieber.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Foto: Brigitte Mader, BFE

 

 

 

 

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Seit dem 12. September 2022 ist bekannt, wo die Schweiz ihre radioaktiven Abfälle entsorgen will: Die mit der Aufgabe betraute Nagra will im Opalinuston des Zürcher Unterlands ein Tiefenlager für schwach-, mittel- und hochaktive Abfälle bauen. Bis das Lager in Betrieb geht, vergehen zwar noch fast drei Jahrzehnte. Dennoch ist die Ankündigung der Nagra ein Meilenstein auf dem Weg zu einer sicheren Entsorgung der radioaktiven Abfälle der Schweiz. Doch: Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich?

Auf einer interaktiven Karte Europas hat das Bundesamt für Energie den Stand des jeweiligen Standortsuchverfahrens für hochaktive Abfälle in allen Ländern zusammengetragen. Der Blick fällt dabei zuerst auf drei Länder, die dunkler eingefärbt sind als die Schweiz: Finnland, Frankreich und Schweden. Während Finnland bereits ein Lager baut (Betriebsbeginn ab 2025), haben Frankreich und Schweden den Standortentscheid gefällt. Beide wollen ca. 2035 anfangen mit dem Einlagern der Abfälle.

In fünf weiteren Ländern (Grossbritannien, Deutschland, Tschechien, die Slowakei und Ungarn) läuft ein Verfahren zur Standortsuche. Ein definitiver Standort ist aber noch nicht bestimmt. Belgien wiederum hat einen Grundsatzentscheid gefällt, wonach die Abfälle in einem Tiefenlager entsorgt werden sollen. Acht Länder (Spanien, Niederlande, Italien, Slowenien, Kroatien, Litauen, Rumänien und Bulgarien) haben noch keine Entscheide gefällt. Die restlichen 23 Länder haben keine Kernkraftwerke und folglich meist nur schwach- und mittelaktive Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung zu entsorgen. Fazit: Auch wenn von der Gründung der Nagra bis zur Ankündigung des Standorts letzten Herbst ein halbes Jahrhundert vergangen ist, ist die Schweiz im Vergleich weiter vorangeschritten als die meisten anderen Länder Europas.

Die Karte findet sich im neuen Focus Tiefenlager Nr. 20, der Ende Juni erschienen ist. Weitere Artikel im Focus:

  • Editorial des neuen Beiratspräsidenten Martin Landolt
  • Interviews mit den Co-Präsidenten der Regionalkonferenz Nördlich Lägern sowie dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Verpackungsanlagen geologisches Tiefenlager
  • Ein Rückblick auf die regionale Partizipation seit 2011 und die Ergebnisse daraus

Der Focus Tiefenlager kann hier heruntergeladen werden.

Andreas Besmer, Fachspezialist Regionale Partizipation, Bundesamt für Energie
Grafik: BFE

 

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Wärmepumpen sind gefragt! Wer auf ein solches erneuerbares Heizsystem umstellen will, braucht derzeit Geduld – wegen Kapazitätsengpässen bei den Herstellern. Diese reagieren nun mit dem Ausbau ihrer Produktion und raten den Hausbesitzerinnen und -besitzern, vorzeitig zu planen und nicht kurzsichtig zu handeln. Weiterlesen

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Wo kann ich mein E-Fahrzeug laden? Das ist ein zentraler Aspekt bei der Anschaffung eines E-Autos. Welche Rechte haben Mieter oder Stockwerkeigentümerinnen? Dürfen Sie eine Ladestation installieren? Weiterlesen

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Das Bundesamt für Energie (BFE) hat heute den Vorabzug der Schweizerischen Statistik der Erneuerbaren Energien, Ausgabe 2021 veröffentlicht. Die Statistik zeigt, dass 2021 eine Photovoltaik Leistung von 705 Megawatt (MW) verkauft wurde. Das ist ein neuer Jahres-Zubau-Rekord. Insgesamt sind in der Schweiz nun 3’650 MW Leistung installiert. Das entspricht einer Modulfläche von etwa 3’000 Fussballfeldern oder 20 Millionen Quadratmetern. Gegenüber 2019 hat sich der Zubau mehr als verdoppelt und gegenüber 2017 sogar fast verdreifacht. Im laufenden Jahr 2022 scheint sich das starke Wachstum fortzusetzen: Erwartet wird ein Zubau von etwa 900 MW. Weiterlesen

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Parkieren unter einem Solardach: Das gibt es in der Schweiz noch nicht so häufig. Parkplätze, die mit einer Solaranlage überdacht sind, könnten indes eine wichtige Rolle beim Solarausbau spielen. Das zeigt eine Studie von Energie Zukunft Schweiz AG (EZS), die von EnergieSchweiz, dem Programm des Bundesamts für Energie für Energieeffizienz und erneuerbare Energien, unterstützt wurde. Weiterlesen

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