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Eine wichtige Erkenntnis im Blog zum Überblick über die Partizipation ist, dass die Aufgaben, zu denen eine Mitwirkung möglich ist, klar definiert sein sollen. Eine der wichtigsten Aufgaben der sechs Regionalkonferenzen (RK) in der zweiten Etappe des Sachplanverfahrens war es, sich zur Frage von möglichen Standorten von Oberflächenanlagen (OFA) für Tiefenlager zu äussern. Im Gegensatz zur Standortwahl und zur Festlegung des Lagerbereichs im Untergrund, bei dem ausschliesslich die Sicherheit die Eignung bestimmt, besteht an der Oberfläche eine gewisse raumplanerische Flexibilität. Weiterlesen

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Unter unseren Füssen liegt eine Energiequelle, die niemals schläft. Seit Jahrtausenden nutzen Menschen diese Wärme, zuerst für Heilung und Erholung in Thermalbädern und heute zusätzlich zur Erzeugung von Wärme, Kälte und Strom. Doch wie kam die Schweiz von römischen Thermen zu modernen Bohrprojekten?

Was ist Geothermie?

Bei der Geothermie handelt es sich um Energie, die in der Erde in Form von Wärme gespeichert wird. Das Wort Geothermie stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Erdwärme. Um diese Energie nutzen zu können, muss die Wärme aus dem Erdinnern an die Oberfläche geholt werden. Dies wird meistens mit Wasser gemacht, das sich beim Kontakt mit dem heissen Gestein im Untergrund erwärmt. Die Geothermie kann sowohl für die Erzeugung oder Speicherung von Wärme als auch zur Produktion von Strom verwendet werden.

Die Temperatur steigt mit der Tiefe. Die Geothermie wird deshalb in untiefe oder oberflächennahe und tiefe Geothermie unterteilt. Bis rund 400 Metern Tiefe wird von der untiefen Geothermie gesprochen, darunter von der tiefen Geothermie.  Zwischen 400 bis 2’000 Metern betragen die Temperaturen im Schnitt zwischen 20 bis 70 Grad Celsius, lokal zum Teil auch mehr. Zuweilen kann das heisse Wasser durch Spalten und Risse im Gestein bis an die Oberfläche steigen, aber meistens muss es mittels Tiefbohrungen erschlossen werden. Wasser aus diesem Tiefenbereich wird hauptsächlich zum Baden in Thermalbädern und zur Wärmebereitstellung gebraucht. Wird noch tiefer gebohrt, so trifft man in der Schweiz ab 4’000 Metern Tiefe Temperaturen über 130 Grad Celsius an. Ab diesen Temperaturen kann die Wärme zur Stromproduktion verwendet werden.

Von den Römern bis zur ersten Glühbirne

Die Verwendung der Geothermie hat eine lange Geschichte, in der Schweiz besonders in Form von Thermalbädern. Die Nutzung von heissem Wasser ist eine weltweite und jahrtausendealte Tradition. Die Römer machten sich bereits die Wärme aus dem Erdinnern in Form von Fussbodenheizungen und Thermalbädern zunutze. Die Thermalbäder wurden im römischen Imperium als Gesundheitszentren und Orte des sozialen Austausches genutzt. Die hohe Bedeutung der Thermen widerspiegelt sich in wichtigen Strassenkarten, wo der Standort von verschiedenen Thermalbädern gekennzeichnet wurde. Im heutigen Baden im Kanton Aargau wurde beispielsweise im zweiten Jahrzehnt nach der Zeitenwende von römischen Legionären ein Thermalbad gebaut. Später wurde Baden zum bedeutendsten Badeort im deutschsprachigen Europa.

Die Idee, aus Erdwärme Strom zu gewinnen, ist hingegen verhältnismässig jung. Im Jahr 1904 leuchteten in Larderello in der Toskana in Italien die ersten fünf Glühbirnen, angetrieben von geothermischer Energie. Eine mit geothermischem Dampf betriebene Turbine wurde mit einem Dynamo verbunden und erzeugte erstmals in der Geschichte Strom mit Energie aus der Erdtiefe. Erst in den 1970er-Jahren, ausgelöst durch die Ölkrise, kam Geothermie zur Energiegewinnung auch in der Schweiz ins Gespräch, damals noch unter dem Namen „Alternativ-Energie“. Um eine systematische Forschung und Entwicklung der Geothermie zu betreiben, wurde am 22. September 1975 die Eidgenössische Fachkommission für Geothermie und unterirdische Wärmespeicherung (KGS) gegründet. Finanziert wurde die Fachkommission vom Bundesamt für Energiewirtschaft (BEW), so hiess das heutige Bundesamt für Energie (BFE) damals.

Das KGS unterstützte die Forschung und Entwicklung der Geothermie in der Schweiz und pflegte den engen Austausch mit der 1974 gegründeten Internationalen Energieagentur (IEA). Am 20. April 1990 wurde die Schweizerische Vereinigung für Geothermie (VGS) gegründet. Der Branchenverband sollte die Öffentlichkeitsarbeit und die Behördenkontakte stärken. Dank diesen Impulsen entwickelte sich in der Schweiz die oberflächennahe Geothermie mit Wärmepumpen seit den 1980er-Jahren stark und diese Entwicklung hält bis heute an.

Die Schweiz als Spitzenreiterin weltweit

Die Schweiz besitzt ein theoretisch grosses Geothermie-Potenzial, das heute hauptsächlich in geringen Tiefen zur Wärmenutzung mittels Erdwärmesonden bereits stark genutzt wird. Die Schweiz hat eine der weltweit höchsten Dichte an Erdwärmesonden, die vor allem für das Heizen von Wohngebäuden verwendet werden. Um eine Erdsondenwärmepumpe in Betrieb zu nehmen, sind meistens Bohrungen in einem Bereich von 150 bis 250 Metern Tiefe nötig. In grösseren Tiefen wird das Geothermie-Potenzial in der Schweiz noch wenig ausgeschöpft. So gibt es in der Schweiz bis heute noch kein Geothermie-Kraftwerk zur Stromproduktion.

Bei der Wärmenutzung aus grosser Tiefe gibt es jedoch erfolgreiche Pionierprojekte: Das Fernwärmenetz in Riehen bei Basel wird beispielsweise seit 1994 mit Wärme aus 1.5 Kilometern Tiefe gespiesen und hatte damit auch europaweit eine Vorreiterrolle. Eines der grössten Hindernisse bei der Entwicklung der Tiefengeothermie ist, dass der tiefe Untergrund in der Schweiz nur sehr schlecht und punktuell bekannt ist, was ein grosses Risiko für entsprechende Projekte bedeutet. Um dieses Risiko zu senken, sind hohe Investitionen in Erkundungsmassnahmen des Untergrunds nötig. Das BFE unterstützt diese Massnahmen mittels Fördergelder substanziell.

Energie, die niemals versiegt

 In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Geothermie-Projekte in der Schweiz begonnen, jedoch konnten nicht alle erfolgreich abgeschlossen werden. 2006 in Basel und 2013 in St. Gallen führten Tiefbohrungen für Geothermie-Projekte zu spürbaren Erdbeben, weshalb die Vorhaben gestoppt wurden. Die Tiefbohrung beim Spital Triemli in Zürich 2010 stiess nicht wie erhofft auf heisses Wasser. Die Bohrung musste unter Effizienzeinbussen mit einer tiefen Erdwärmesonde ausgebaut werden. Bei der Erkundung nach Untergrundressourcen – so auch nach geothermischen – ist es aber normal, dass nicht jede Bohrung zum Erfolg führt. Solche Rückschläge sind Teil des Explorationsprozesses, bei welchem der Untergrund systematisch nach wirtschaftlichen Ressourcen erkundet wird.

Eine erfolgreiche Exploration erfolgte beispielsweise beim Hauptsitz von Swatch-Omega, wo Grundwasser als Wärmespeicher zum Heizen und zum Kühlen verwendet wird. Ein weiteres Beispiel einer erfolgreichen Sondierungsbohrung ist der Flughafen Zürich. Dort wurden an drei Standorten Sondierungsbohrungen gemacht, um die technische Machbarkeit einer Kälte- und Wärmespeicherung im Untergrund zu bestätigen. Ein wichtiges zukunftsweisendes Projekt gibt es in Haute-Sorne im Kanton Jura. Dort wurde mehr als 4’000 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Ab 2029 soll dort ein Geothermie-Kraftwerk ans Netz gehen und Strom für 6’000 Haushalte liefern. Es wäre das erste Geothermie-Kraftwerk in der Schweiz.

Um herauszufinden, wo die Geothermie heute steht, haben wir bei unserem zuständigen Fachspezialisten für Geothermie, Christian Minnig, nachgefragt.

Energeiaplus: Welche technologischen Innovationen könnten die Geothermie in den nächsten zehn Jahren entscheidend voranbringen?

Christian Minnig ist im Bundesamt für Energie zuständig für Geothermie. Bild: BFE

Die Entwicklung der Geothermie hängt weniger von revolutionären technologischen Durchbrüchen ab, sondern vielmehr von der konsequenten Anwendung bewährter Technologien zum richtigen Zeitpunkt. Entscheidend ist, dass kompetente Entscheidungsträger die besten verfügbaren Lösungen einsetzen. Innovation bleibt aber wichtig, insbesondere um die Wirtschaftlichkeit zu steigern und die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu verringern.

Wie wichtig sind neue Bohrtechnologien für die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit von tiefen Geothermieprojekten?

Neue Bohrtechnologien können die Wirtschaftlichkeit von Projekten deutlich verbessern, indem sie Kosten senken und Prozesse effizienter machen. Die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit von Geothermie-Projekten sind aber in erster Linie von erfahrenen Fachleuten, von einer professionellen Projektorganisation und von effizienten Vollzugsbehörden abhängig. Technologie ist ein Werkzeug – der Erfolg hängt vom kompetenten Umgang damit ab.

Welches Potenzial hat die tiefe Geothermie für die Schweizer Energieversorgung im Rahmen der Energieperspektiven 2050+?

In den Energieperspektiven 2050+ wurde das Potenzial der tiefen Geothermie mit rund 2 TWh beziffert. Eine Aktualisierung der Energieperspektiven läuft derzeit. Klar ist: Die Geothermie bleibt ein relevanter Baustein für die Energiezukunft.

Könnte die tiefe Geothermie eines Tages einen bedeutenden Anteil an der Stromproduktion in der Schweiz übernehmen?

Das hängt mittelfristig stark vom Erfolg des technologischen Verfahrens der Enhanced Geothermal Systems (EGS) in den USA und deren Übertragbarkeit auf die Schweiz ab. Bei diesem Verfahren wird durch künstlich erzeugte Risse in heissem, wasserarmen Tiefengestein Wasser zirkuliert, um Wärmenergie für die Strom- und Wärmeerzeugung nutzbar zu machen. In der Schweiz spielt dabei das Projekt in Haute-Sorne eine Schlüsselrolle: Wenn das Projekt gelingt und einen glaubwürdigen Kostensenkungspfad aufzeigt, könnte die tiefe Geothermie mittelfristig einen wichtigen Beitrag für die Energiezukunft leisten. Eine Skalierung würde hauptsächlich im Untergrund erfolgen und hätte kaum Auswirkungen auf das Landschaftsbild – ein klarer Vorteil.

Langfristig könnten auch andere neuartige Konzepte wie beispielsweise das Verfahren der Closed Loop Geothermal Systems (CLGS) zu einem Durchbruch führen. Bei dem Verfahren handelt es sich um eine Anlage, bei der ein Wärmeträgermedium in einem geschlossenen Rohrkreislauf zirkuliert und durch Wärmeleitung aus dem umgebenden Untergrund erhitzt wird, ohne direkten Kontakt zu den Gesteinsschichten. Ob die Technologie tatsächlich zu einem Durchbruch führen wird, ist momentan aber noch etwas spekulativ. Immerhin wurde pünktlich zum Barbaratag am 4. Dezember die Meldung publiziert, dass in Deutschland erstmals mittels dieser Technologie Strom ins Netz eingespeist wurde. Die heilige Barbara ist u.a. die Schutzpatronin der Bohrmeister und Geologen. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist?

Was sind die grössten Hürden für den Ausbau der tiefen Geothermie in der Schweiz?

Da noch wenig Erfahrung mit der Realisierung und der Regulierung solcher Projekte vorhanden sind, sind die organisatorischen und regulatorischen Risiken beträchtlich. Gross ist bei den meisten Projekten auch das Fündigkeitsrisiko. Damit wird die Unsicherheit bezeichnet, ob geothermische Bohrungen ein Reservoir in ausreichender Menge und Qualität erschliessen, um wirtschaftlich nutzbar zu sein. Diese Faktoren müssen adressiert werden, um den Ausbau voranzubringen.

Welche Rolle spielt die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Erfolg von tiefen Geothermieprojekten?

Die Akzeptanz ist entscheidend. In der Schweiz gibt es wenig Erfahrung mit Tiefbohrprojekten, was bei unzureichender Information schnell zu Ängsten und Widerstand führen kann. Selbst technisch exzellente Projekte können daran scheitern. Deshalb müssen Projekte und Vollzugsbehörden die fachliche Kompetenz haben und diese auch vermitteln können, um die Bevölkerung zu überzeugen, dass allfällige Risiken beherrscht werden.

Welche Massnahmen sind nötig, damit die tiefe Geothermie in der Schweiz zum Durchbruch kommt?

Die Geothermie ist grundsätzlich attraktiv – die Herausforderung liegt vor allem in den Rahmenbedingungen. Massnahmen sollten Genehmigungsverfahren vereinfachen und harmonisieren, Rechts- und Investitionssicherheit schaffen, sowie die fachtechnische Kompetenz und Qualität sowohl bei der Umsetzung als auch im regulatorischen Vollzug erhöhen. So entsteht ein Umfeld, in dem Projekte planbar und Risiken kalkulierbar werden.

Das Ziel ist klar: Die Geothermie ist bereits heute ein wichtiger Eckpfeiler der Wärmeversorgung, es soll aber ihr ganzes Potenzial genutzt werden. Auch für die Stromversorgung weist ihr die Energiestrategie 2050 eine wichtige Rolle zu. Unter unseren Füssen liegt eine Energiequelle, die niemals versiegt. Unsere Kultur, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind mit ihr verbunden, von den römischen Thermen in Baden zu den modernen Geothermie-Wärmepumpen bis hin zu den innovativen Anwendungen zur Stromproduktion wie in Haute-Sorne.

 

Dieser Blogbeitrag über die Geothermie ist der Kick-off für eine Blogreihe über die Geschichte der erneuerbaren Energien mit dem Fokus auf die Schweiz. Mehr zur Geschichte der erneuerbaren Energien erfahren Sie in den kommenden Beiträgen zu Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik.

Mattia Pesolillo, Hochschulpraktikant Kommunikation, Bundesamt für Energie (BFE)
Bild: keystone-sda; Peter Klaunzer, 612764787

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Die Wettbewerblichen Ausschreibungen zum Stromsparen im Industrie- und Dienstleistungsbereich und in den Haushalten sind unter dem Programmnamen ProKilowatt bekannt. Dieses Programm des Bundesamtes für Energie fördert Projekte und Programme, welche die Förderbedingungen erfüllen und pro Förderfranken möglichst viel Strom einsparen. Um sicherzustellen, dass die Fördergelder aus dem Programm gemäss den gesetzlichen Vorgaben eingesetzt werden, setzt das Bundesamt für Energie (BFE) auf ein zweistufiges Kontrollsystem.  Weiterlesen

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Die neue Spitallamm-Staumauer im Grimselgebiet ist fertiggestellt. Geht alles nach Plan, soll die Mauer 2026 definitiv in Betrieb sein. Bis dahin läuft ein klar definiertes, mehrstufiges Inbetriebnahmeprogramm, bei dem das Bundesamt für Energie (BFE) als Aufsichtsbehörde jeweils die Freigabe für die nächste Etappe erteilt. Nötig sind dafür auch Inspektionen vor Ort. Energeiaplus hat die beiden BFE-Fachspezialisten bei einer Besichtigung begleitet. Weiterlesen

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Wie stark Wirtschaft und Gesellschaft von der Energieversorgung abhängig sind, hat das Blackout Ende April auf der spanischen Halbinsel gezeigt. Eine Energieinfrastruktur, die auf künftige Gefahren vorbereitet ist und Menschen, die mit kritischen Situationen umgehen können, sind deshalb von grosser Bedeutung. Weiterlesen

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«Ob in der Schweiz in der Entsorgungsfrage radioaktiver Abfälle […] faire, gerechte und ausgewogene Partizipation zur Anwendung gelangen [wird], wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Inwiefern alle Akteure dazu bereit sind, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und die unterschiedlichen Wertmassstäbe und Risikowahrnehmungen zu akzeptieren, wird sich zeigen.» So folgerte das BFE in einer breit angelegten Studie 2006. Darin untersucht wurden bereits gemachte Erfahrungen mit partizipativen Verfahren in der Entsorgungspolitik im In- und Ausland und formulierte Grundsätze für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Sachplanverfahren. Deshalb ist die Frage berechtigt: Konnten diese hohen Ansprüchen in der Realität umgesetzt werden? Weiterlesen

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Das Ziel ist klar: 2050 muss die Schweiz netto-Null Treibhausgasemissionen ausweisen. Das gilt auch für Unternehmen. Dazu braucht es in erster Linie eine starke Reduktion von Treibhausgas-Emissionen wie CO2. Doch in einigen Branchen sind CO2-Emissionen nur schwer zu vermeiden – zum Beispiel in der Zementproduktion, in der Kehrichtverbrennung, der Landwirtschaft oder der Luftfahrt. Lösungen für die Entnahme von CO2 an der Quelle oder aus der Atmosphäre und dessen langfristige Speicherung sind deshalb gesucht. Darauf fokussiert die erste Projekt-Ausschreibung, die im Rahmen des neuen Klimagesetzes lanciert wird.

Was für Projekte werden gesucht? Welche Anforderungen müssen die Gesuchstellenden erfüllen? Warum liegt der Fokus bei dieser ersten Ausschreibung genau bei der Entnahme und Speicherung von CO2? Die Fragen gehen an Men Wirz. Er ist im Bundesamt für Energie in der Innovationsförderung tätig und koordiniert die Durchführung dieser Projektausschreibung.

Energeiaplus: Das Klima- und Innovationsgesetz (KlG) stellt während sechs Jahren insgesamt 1.2 Milliarden Franken für die Umstellung auf klimafreundliche Produktionsmethoden bereit. Im Rahmen einer ersten Ausschreibung werden nun 100 Millionen Franken für Massnahmen zur Entnahme und Speicherung von CO2 (CCS & NET) zur Verfügung gestellt. Warum dieser Fokus?

Men Wirz koordiniert die Projektausschreibung «CO2-Entnahme und -Speicherung inkl.» im Bundesamt für Energie. Bild: BFE

Men Wirz: Über die Hälfte der aktuellen CO2-Emissionen aus dem Sektor Industrie sollen bis 2050 durch die Abscheidung und Speicherung von CO2 vermindert werden. Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, dass im Jahr 2030 eine halbe Million Tonnen CO2 abgeschieden und gespeichert werden sollen. Mit dieser Ausschreibung werden gezielt Pionierprojekte gefördert, die zu dieser Zielerreichung beitragen. Weiter gibt es auch zeitliche und logistische Gründe: Für die breite Umsetzung von CCS-Massnahmen müssen neue, kapitalintensive Abscheidungsanlagen und Transportinfrastrukturen aufgebaut werden. Die Planung und Realisierung dafür braucht viel Zeit. Da die KlG-Förderung zeitlich begrenzt ist, müssen diese Projekte möglichst bald gestartet werden. Deshalb lancieren BFE und BAFU gleich zum Start des Programms eine solche Ausschreibung.

Im Titel der Projektausschreibung heisst es, dass auch die Sektorkopplung im Energiebereich gefördert wird. Was bedeutet das und warum werden diese beiden Bereiche miteinander verbunden?

Unter Sektorkopplung versteht man die Bemühungen, die Bereiche Strom, Wärme, Mobilität sowie Brenn- und Treibstoffe zu koppeln. Die Abscheidung und Speicherung von CO2 ist eine sehr energieintensive Aktivität. Vor allem der Abscheidungsprozess benötigt viel Strom und Wärme. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass die Unternehmen die Abscheideanlagen in die bestehenden Industrieprozesse integrieren und zum Beispiel Abwärme aus ihrem Unternehmen dafür benutzen. Es ist auch sinnvoll, wenn sich Unternehmen bei der Logistikinfrastruktur zusammenschliessen – beispielsweise für den Abtransport von CO2 aus den Abscheidungsanlagen – und so Synergien nutzen.

Darüber hinaus lässt sich der abgeschiedene Kohlenstoff zur Herstellung synthetischer Brenn- und Treibstoffe nutzen (in der Fachsprache Carbon Capture and Utilization CCU). Angesichts der Komplementarität der beiden Themen Abscheidung/Speicherung und Sektorkopplung ist es sinnvoll, sie in der Ausschreibung miteinander zu verknüpfen.

Weshalb erfolgt diese Ausschreibung in einem zweistufigen Verfahren?

Bei den angesprochenen Lösungsansätzen handelt es sich um komplexe Infrastrukturmassnahmen. Daher ist es vorteilhaft, wenn sich mehrere Unternehmen zusammenschliessen, was entsprechend Zeit braucht. Zudem erhöht das zweistufige Verfahren die Planungssicherheit.

Ist geplant, dass Gesuche für andere Themen eingereicht werden können?

Ja. Parallel zu dieser ersten Ausschreibung wird es im Verlauf dieses Jahres auch die Möglichkeit geben, Gesuche für Massnahmen zu anderen Themen einzureichen, z.B. für die Substitution von fossil betriebenen Anlagen für die Bereitstellung von industrieller Prozesswärme. Zudem sind zukünftig weitere Ausschreibungen zu spezifischen Themen angedacht. Das Aufgleisen solcher Ausschreibungen dauert aber noch etwas und wir werden informieren, sobald solche Vorhaben konkret ausgearbeitet sind.

Und so läuft das Verfahren:

Bis am 25. April müssen Gesuchstellende ihr Pre-Proposal einreichen. Der Entscheid erfolgt Ende Mai.
Bis am 31. Oktober läuft die Frist für die Einreichung des Full-Proposal.

Am 19. Dezember werden die Förderzuschläge kommuniziert.

Fragen zum Ausschreibeverfahren:

Per E-Mail: itinero@bfe.admin.ch; Inhaltliche Fragen müssen vor dem 15. März 2025 eintreffen. Danach werden nur noch administrative Fragen beantwortet.
Die Finanzhilfe beträgt höchstens 50% der anrechenbaren Kosten. Die effektive Beitragshöhe wird im Rahmen der Gesuchsevaluation festgelegt und kann gekürzt werden.

Zurück zur aktuellen Ausschreibung: Sind ganz bestimmte Branchen angesprochen? Welche?

Die Abscheidung von CO2 sollte wegen der hohen Kosten und der aufwändigen Logistik nur als letzte Möglichkeit für schwer vermeidbare Emissionen zum Einsatz kommen, also wenn es keine valable Alternative zur Verminderung der Emissionen gibt. Deshalb gibt es Branchen, die für die Umsetzung solcher CCS-Massnahmen relevanter sind, wie beispielsweise die Zement- und die Chemieindustrie. Darüber hinaus könnten einige Wirtschaftszweige die Produktion negativer Emissionen ermöglichen, wie etwa Anlagen zur Biogaserzeugung oder Holzkraftwerke.

Projekte zur Abscheidung von CO2 aus der Luft gibt es bereits. Das bekannteste Beispiel ist Climeworks. Das Rad müsste also nicht ganz neu erfunden werden. Stimmt diese Einschätzung?

Es ist effektiv nicht Sinn und Zweck dieses neuen Förderprogramms, die Forschung und Entwicklung von Technologien zu unterstützen. Gleichwohl sind die Erfahrungen in der Industrie bei der Planung und beim Betrieb von Anlagen zur Abscheidung von CO2 immer noch begrenzt. Das Ziel ist somit, auf den bisherigen Erfahrungen aufzubauen und durch konkrete Umsetzungsprojekte Klimawirkung zu erzielen und die Innovation voranzutreiben.

Was müssen die Gesuche erfüllen, damit es Fördergelder gibt – punkto Massnahmen, die die Unternehmen ergreifen wollen, um ihren CO2-Ausstoss zu minimieren/vermeiden?

Wichtig ist vor allem aufzuzeigen, dass die Massnahme zu einer substanziellen Verminderung der Treibhausgasemissionen führt. Konkret wird verlangt, dass mit der Massnahme jährlich mindestens 5’000 Tonnen CO2 abgeschieden und dauerhaft gespeichert wird. Das entspricht dem CO2-Aussstoss von 5000 Personen, die von der Schweiz nach New York und zurückfliegen oder den jährlichen Gesamtemissionen von 1’000 Schweizerinnen oder Schweizern.

Je tiefer die spezifischen Kosten für diese CO2-Verminderung respektive die Erzeugung von negativen Emissionen, umso besser sind die Chancen für eine Förderung. Die Massnahmen selbst können vielfältig sein, also beispielsweise das Entfernen von CO2 aus der Luft (wie beim Beispiel von Climeworks) oder die Abscheidung von CO2 eines Zementwerks.

Und was wird in Bezug auf die Speicherung von CO2 erwartet/verlangt?

Auch für die Speicherung des CO2 gibt es verschiedene Optionen, beispielsweise die Einlagerung im Untergrund oder über eine Weiterverwendung in einem Produkt wie Recyclingbeton oder synthetischer Treibstoff. Von Vorteil ist, wenn die Projekte breit abgestützt werden und mehrere Akteure von der Umsetzung der Massnahme profitieren, also in der Form von Clusterprojekten und durch die Kopplung von verschiedenen Industriesektoren.

Wer ein Gesuch einreichen will, muss einen Netto-Null-Fahrplan beilegen. Was enthält ein solcher Fahrplan?

Ein Netto-Null-Fahrplan Fahrplan basiert auf einer Treibhausgasbilanz und zeigt konkret auf, wie das Unternehmen seine Emissionen mittels kurz-, mittel- und langfristigen Massnahmen entlang eines Absenkpfads effektiv auf Null reduzieren kann. Daneben enthält der Fahrplan einen Aufbaupfad für Negativemissionen, welche schwer vermeidbare Restemissionen ausgleichen. Die Details zum Inhalt dieser Fahrpläne wurden kürzlich in einer Richtlinie veröffentlicht.

Werden Gesuche von grossen Energieverbrauchern gleich behandelt wie Gesuche von weniger energieintensiven Unternehmen? Der Effekt könnte bei grossen Energieverbrauchern grösser sein.

Das wird effektiv eine spannende Frage bei der Evaluation der Gesuche sein. Ein entscheidendes Kriterium für die Vergabe der Fördermittel ist das Anwendungspotenzial der eingesetzten Technologien, d.h. wie viele weitere solche Massnahmen könnten in der Schweiz umgesetzt werden und wie viel CO2 kann jeweils vermieden werden? In diesem Sinne sind sowohl einzelne grosse Anlagen wie auch eine grosse Anzahl kleinerer Massnahmen interessant. Letztendlich wird die Gesamtbetrachtung darüber entscheiden, welche Projekte effektiv gefördert werden.

Sie planen Webinare, wo sich Gesuchstellende über das ganze Verfahren informieren können. Was ist das Ziel?

Da es sich um ein komplett neues Förderinstrument handelt, dürfte es viele Fragen aus der Industrie zum Vorgehen geben, zum Beispiel wie man die Netto-Null-Fahrpläne erstellen muss, wie man ein Gesuch um Finanzhilfe einreicht, oder was die Teilnahmebedingungen und Ausschlusskriterien sind. Fragen zur CCS-Ausschreibung müssen aufgrund des engen Zeitplans rasch beantwortet werden. Deshalb wollen wir zusätzlich zu schriftlichen Unterlagen auch den Austausch mit den involvierten Akteuren suchen. Das gibt uns auch einen Eindruck darüber, welche Art von Projekten möglicherweise eingereicht werden, was unsere eigene interne Planung vereinfacht.

Zum Schluss noch: Wofür gibt es keine Finanzhilfen?

Nicht förderberechtigt sind u.a. Massnahmen, die nicht direkt zu einer Verminderung von CO2-Emissionen oder einer Realisierung von Negativemissionen führen, also beispielsweise Prototypenanlagen, die keine namhafte Menge an CO2 abscheiden und speichern. Ebenfalls nicht gefördert werden Anlagen, die fossiles CO2 abscheiden wollen, das beispielsweise durch dem Einsatz einer Wärmepumpe vermieden werden kann und somit als nicht schwer vermeidbar eingestuft wird.

Alle Infos zu den Webinaren:

Wann: 29. Januar, 11 bis 12 Uhr (Sprachen Deutsch und Französisch)
Thema: Ausschreibung «CO2-Entnahme und -Speicherung inkl. Sektorkopplung»
Inhalte:

  • Thematische Einführung und Schwerpunkte der Ausschreibung
  • zweistufige Ausschreibung und Gesuch: Kriterien und wesentliche Punkte
  • Planung und Fristen 2025
  • Fragen / Antworten zur Ausschreibung

Weitere Infos: Webinare: Informationen und Anmeldung und für Fragen: itinero@bfe.admin.ch

Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Shutterstock: Stock-Vektorgrafik ID: 2376641241; VectorMine

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Ein Gewächshaus, das Strom produziert? Eine Heizung, die man mit den Nachbarn teilt? PV-Strom, der für den Winter gespeichert wird? Kein Hokuspokus, sondern Innovationen im Energiebereich, die den Watt d’Or 2025 erhalten. Das Bundesamt für Energie zeichnet insgesamt acht Projekte in fünf Kategorien mit dem Preis für Bestleistungen im Energiebereich aus.

Auf energeiaplus.com/wattdor2025 oder auf www.wattdor.ch können Sie am 9.1.2025 die Preisverleihung, die unter dem Motto «Mondlandung» steht», ab kurz vor 16.30 Uhr mitverfolgen.

Energeiaplus stellt die acht ausgezeichneten Projekte vor, die eine Watt d’Or-Kristallkugel entgegennehmen dürfen:

Kategorie Energietechnologien: Hochschule Luzern und Matica AG

Energie von heute für die Wärme von morgen: So lässt sich die Innovation auf den Punkt bringen, die die Hochschule Luzern (HSLU) und das Industrieunternehmen Matica AG aus Kaltenbach (TG) entwickelt haben. Die Sorptionsspeicher-Wärmepumpe SeasON heizt im Winter mit Energie, die im Sommer mit einem thermochemischen Verfahren in konzentrierter Natronlauge gespeichert wird.

Kategorie Erneuerbare Energien: Lubera AG, ewb Buchs, Insolight und Reech AG

Das Energieversorgungsunternehmen ewb hat auf den neuen Gewächshäusern der Lubera AG in Buchs (SG) 6’600 transparente Photovoltaikmodule eingebaut. Die Pflanzen bekommen so 80% des auftreffenden Sonnenlichts, mit den restlichen 20% produziert die grosse Agri-PV Anlage 750’000 kWh Solarstrom für das ewb Netz.

Kategorie Energieeffiziente Mobilität: Galliker Transport AG

Bis 2050 will das Familienunternehmen Galliker Transport AG klimaneutral werden. Dazu baut sie den Anteil ihrer elektrischen LKW-Flotte laufend aus und setzt auf innovative Ladeinfrastrukturen. Am unterirdisch verlegten Elektro-Power-Tunnel können 28 LKW mit bis zu 200 kW Leistung laden.

Kategorie Gebäude und Raum: IWB

Seit Herbst 2023 teilen drei Reiheneinfamilienhäuser in einem Basler Quartier ihre Heizungen: Eine Erdsondenwärmepumpe und zwei Gasheizungen. Das Projekt Nanoverbund des Basler Energieunternehmens IWB überzeugt: Im ersten Winter wurden die drei Häuser zu 90% mit erneuerbarer Wärme aus der Wärmepumpe versorgt, die zwei Gasheizungen standen also meist still, und die Betriebskosten waren 15% tiefer als zuvor.

Spezialpreis der Jury: Genossenschaft Elektra Jegenstorf, Groupe E, Azienda di Massagno AEM, EKZ und ETH Zürich

 Das Verteilnetz wird durch die dezentrale Stromeinspeisung und immer mehr Verbraucher zunehmend belastet. Dynamische Netztarife können beitragen, dass die Verteilnetze nicht laufend ausgebaut werden müssen. Vier Energieunternehmen werden für ihre innovativen Netztarif-Lösungen ausgezeichnet.

Die Genossenschaft Elektra Jegenstorf (BE) entschädigt mit ihrem Produkt TOP-40 PV-Produzenten, wenn sie freiwillig nie mehr als 60% des produzierten Stroms ins Netz einspeisen.

Bei Groupe E (FR) können Stromkundinnen und -kunden vom dynamischen Tarif Vario profitieren und ihren Stromverbrauch optimal auf Perioden mit gpnstigen Tarifen abstimmen.

Im Tessin bietet die Azienda di Massagno AEM Kundinnen und Kunden einen dynamischen Netztarif an. Diese können von den günstigsten Tarif-Zeitspannen unter anderem auch dank künstlicher Intelligenz profitieren.

Im Pilotprojekt OrtsNetz haben der Verteilnetzbetreibers EKZ (ZH) und die ETH Zürich das Potenzial eines intelligenten, dezentralen Versorgungsnetzes unter anderem mit dynamischen Tarifen in Echtzeit getestet.

Fabien Lüthi (Video) und Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie

 

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Elektroauto, E-Bike, geteilte Mobilität: In der Mobilität tut sich einiges punkto Nachhaltigkeit. Doch es stellen sich neue Fragen. Was bedeutet die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs für das Stromnetz? Wie können die erneuerbaren Energien optimal dafür genutzt werden? Braucht es neue Regulierungen? Ändert sich auch das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung? Im Energieforschungskonzept des Bundes ist die Mobilität deshalb eines der vier Schwerpunktthemen.

Das Ziel ist klar: Bis 2050 soll der Verkehr unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen (Netto-null). Das heisst insbesondere: Schluss mit Fahrzeugen mit fossilen Antrieben auf der Strasse. Mittlerweile haben sich alternative Antriebstechnologien etabliert, insbesondere der batterie-elektrische Antrieb bei Personenwagen. Auch der Schwerverkehr setzt zunehmend auf Strom, aber auch auf weitere alternative Treibstoffe wie zum Beispiel Wasserstoff. Selbst in der Luft- und Schifffahrt sind alternative Antriebe ein Thema. Der Umstieg läuft also, hat aber Konsequenzen: Es braucht mehr Strom, das Stromnetz soll diesen zusätzlichen Bedarf bewältigen können, ohne dass massiv in die Infrastruktur investiert werden muss. Zudem braucht es flexible Lösungen, denn Sonne und Wind liefern nicht ständig Strom.

Es besteht weiterhin viel Forschungsbedarf, sagt Luca Castiglioni. Er leitet das Forschungsprogramm Mobilität im Bundesamt für Energie und erklärt, wozu genau geforscht werden soll.

Energeiaplus: Die Abstimmung von Produktion, Transport und Nutzung von Strom ist ein zentraler Punkt für die Energiezukunft. Was will die Forschung in dieser «Energiekette» leisten?

Luca Castiglioni ist beim Bundesamt für Energie Leiter Forschungsprogramm Mobilität. Bild: zvg

Luca Castiglioni: Unser bisheriges Verkehrssystem beruht zu einem grossen Teil auf fossilen Energieträgern. Diese können leicht gelagert werden, haben eine hohe Energiedichte und sind jederzeit verfügbar. Allein die Elektrifizierung des Strassenverkehrs führt zu einem Mehrverbrauch von 14-17 TWh Strom, was rund einem Viertel des derzeitigen Verbrauchs entspricht. Mit dem neuen Stromgesetz ist ein Zubau von rund 45 TWh zusätzlicher, erneuerbarer Produktion vorgesehen. Der Mehrverbrauch kann grundsätzlich also gut gedeckt werden.

Um hohe Systemkosten für Speicherung und Verteilung des Stroms zu vermeiden, ist es aber relevant, dass der Verbrauch, d. h. das Laden der Fahrzeuge, insbesondere zeitlich, aber auch räumlich gut mit dem Produktionsprofil der erneuerbaren Energieträger, insbesondere der Photovoltaik abgestimmt wird. Forschungsbedarf gibt es da, wo der Solarstrom nicht direkt vom eigenen Dach und ohne Umwege in die Batterie des Autos geladen werden kann. Da gilt es, noch bessere, effizientere Wege zu finden.

Die Elektromobilität soll das Stromnetz also nicht unnötig belasten und könnte sogar die Stabilität und Flexibilität des Netzes insgesamt erhöhen. Bidirektionales Laden (V2X) ist das Stichwort dazu. Das V2X Suisse Projekt des Carsharing-Anbieters Mobility hat gezeigt, dass das E-Auto grundsätzlich als Speicher für überschüssigen Strom dienen und damit das Netz stabilisieren kann, ohne dass die Nutzerinnen und Nutzer einen Nachteil haben. Was braucht’s in diesem Bereich noch für neue Erkenntnisse?

Dieses vom BFE geförderte Demonstrationsprojekt hat vor allem zwei Sachen gezeigt: Batterien von Elektroautos sind geeignet, um das Verteilnetz zu stabilisieren oder Systemdienstleistungen (Regelenergie zum Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz) anzubieten. Diese Prozesse laufen im Hintergrund, ohne dass der Car-Sharing Betrieb eingeschränkt werden muss. Im Verlauf des Projekts zeigten sich aber auch die Herausforderungen. Aufgrund der hohen Kosten für die bidirektionale Ladeinfrastruktur und fehlenden lukrativen Geschäftsmodellen, ist es zurzeit nicht möglich, mit V2X Geld zu verdienen.

Mit einem Anteil von 31% ist der Verkehr derzeit noch der grösste Verursacher von Treibhausgasemissionen. Zudem: 38% des Energieverbrauchs gehen aufs Konto des Transportsektors, auch das ein Spitzenplatz. Eine aktuelle BFE-Studie zur Elektromobilität prognostiziert, dass bereits Mitte des nächsten Jahrzehnts die Hälfte der Autos elektrisch unterwegs sein wird.

Ein weiteres Hindernis ist die beschränkte Auswahl an Elektroautos, die V2X unterstützen und die unzureichende Interoperabilität der Ladeinfrastruktur. Das hat zur Folge, dass nur bestimme Kombinationen von Ladestation und Automodell zusammenpassen. Im technischen Bereich müssen also Ladeinfrastruktur und Standards weiterentwickelt werden, um die Kosten zu senken und volle Interoperabilität zu garantieren. Aus systemischer Sicht muss geprüft werden, wo die Flexibilität durch V2X am besten genutzt werden kann und wie sich daraus lukrative Geschäftsmodelle entwickeln können. Hier gibt es durch das neue Stromgesetz ein paar entscheidende Änderungen, deren Auswirkungen genau verfolgt werden müssen. Es gibt also durchaus noch weiteren Forschungsbedarf in diesem Bereich.

Privatautos eignen sich aufgrund der geringen Tagesdistanzen besonders für bidirektionales Laden (V2X). Dafür müssen Autofahrerinnen und Autofahrer bereit sein, die Batterie in diesem Sinne zu nutzen und allenfalls auch externen Zugriff darauf zu gewähren. Gibt es dazu auch Forschungsprojekte?

In einem ersten Forschungsprojekt (IncentV2G) wurde untersucht, ob spezielle Stromtarife den Einsatz für V2X begünstigen können. Dabei hat sich gezeigt, dass die Leute wenig preissensitiv sind und nur wenige bereit waren den speziellen Tarif zu nutzen, welcher dem Verteilnetzbetreiber im Gegenzug erlaubte, den Ladevorgang zu steuern. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass es unkomplizierte Tarifstrukturen braucht und die Kunden für die angebotene Flexibilität auch adäquat vergütet werden müssen.

Das Forschungskonzept sieht auch Forschungsbedarf bei den Batterien. Was für Fragen soll die Forschung beantworten?

Die Batterie ist die teuerste und in der Herstellung energie- und ressourcenintensivste Komponente eines Elektromobils. Beim CO2-Fussabdruck in der Herstellung wurden aber bereits beträchtliche Fortschritte erzielt. Mit der zunehmenden Verbreitung der Elektromobilität steigt einerseits der Druck auf die kritischen Rohstoffe, andererseits steigt auch die Anzahl von Batterien, die ihr Lebensende erreichen. Obwohl der allergrösste Teil der Rohstoffe in Batterien zurückgewonnen werden kann, sind die Prozesse noch nicht effizient genug und zu teuer. Es geht also vor allem darum, wie die Prozesse effizienter gestaltet werden können, aber z. B. auch, wie mit unterschiedlichen Batteriechemien umgegangen werden kann. Wichtig ist auch, den sogenannten «State of Health», also den Zustand der Batterie exakt bestimmen zu können. Denn nur so kann entschieden werden, ob die Batterie weiterhin gebraucht werden kann, z. B. in einem Occasionsfahrzeug, ob sie sich noch für stationäre Anwendungen eignet oder direkt dem Recycling zugeführt werden soll.

Im Forschungskonzept sind auch grundsätzliche Themen im Zusammenhang mit Mobilität aufgeführt. Zum Beispiel das individuelle Mobilitätsbedürfnis, das Mobilitätsverhalten und die Verkehrsmittelwahl. Warum?

Die Elektromobilität ist die wichtigste und effizienteste technische Massnahme, um die CO2-Emissionen im Strassenverkehr zu reduzieren. Noch weniger Emissionen können durch generelle Verkehrsvermeidung oder den Umstieg auf nachhaltigere Transportmittel erreicht werden, allen voran natürlich der öffentliche Verkehr, aber unbedingt auch Aktiv- und Langsamverkehr. Gerade das E-Bike hat hier in den letzten Jahren einige Leute bei kürzeren und mittleren Distanzen zum Umstieg bewegt. Digitalisierung und neue Arbeitsmodelle (Homeoffice) reduzieren den Pendelverkehr und einen Teil der beruflichen Mobilität zusätzlich. Auch die Raumplanung hat einen massgeblichen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. Es zeigt sich aber auch, dass eine Reduktion der beruflichen Mobilität häufig das Bedürfnis nach Mobilität in der Freizeit erhöht – hier spricht man von einem Rebound Effekt. Es ist also wichtig, die Mobilität in ihrer Gesamtheit zu betrachten und dabei auch zu erforschen, wie sich technische Neuerungen und gesellschaftliche Veränderungen darauf auswirken.

Mobilität braucht auch Platz – sprich Strassen, Parkplätze, Garagen. Setzt die Forschung hier auch an?

Das Forschungsprogramm des BFE fokussiert vor allem auf energetische Aspekte und auf die Vermeidung von Emissionen. Allerdings dürfen Energie und Emissionen nicht losgelöst von Platzbedarf oder zum Beispiel Verkehrssicherheit betrachtet werden. Der Umstieg auf Elektromobilität hat viele Vorteile hinsichtlich Energieeffizienz und Reduktion der CO2-Emissionen, ändert aber nichts am grossen Raumbedarf der individuellen Mobilität. Der Verzicht aufs Auto und die Nutzung von ÖV und Car-Sharing handkehrum tragen auch zu einer effizienteren Nutzung des Strassenraums bei. Noch besser schneiden hier Fussverkehr und Velo ab. Die effizienteste Mobilität ist notabene diejenige, die vermieden werden kann, also nicht stattfindet. Bei allen Forschungsprojekten ist eine gesamtheitliche Betrachtung zentral – ebenso wie die enge Abstimmung und Koordination mit weiteren Bundesämtern, die sich um die Anliegen der Umwelt sowie Verkehrs- und Raumplanung kümmern.

Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Bild: keystone-sda; Gaetan Bally

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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