Die Erdölpreiskrise in den 1970-er Jahren und Fukushima 2011 sind Wendepunkte in der Schweizer Energiegeschichte. Die Erdölpreiskrise führte zu einem Umdenken beim Schweizer Energiemix, die Reaktorkatastrophe von Fukushima war der Auslöser für den Atom-Ausstieg der Schweiz. Steht der Ukraine-Krieg nun am Anfang eines neuen Kapitels in der Schweizer Energiegeschichte? Weiterlesen
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Interview: «Prozessabläufe müssen flexibler und effizienter werden»
Benoît Revaz ist seit drei Jahren Direktor im Bundesamt für Energie BFE. Er wird am Motor Summit 2019 in Bern der Keynote-Redner sein. Im Interview erzählt er, was seine Vorstellungen zur Rolle der Industrie sind.
Herr Direktor, wo steht die Schweiz in Sachen Energieverbrauch?
Der Stromverbrauch der Schweiz stagniert seit 15-20 Jahren bei rund 60 Terawattstunden. Dies zeigt, dass es gelungen ist, den Energieverbrauch vom BIP zu entkoppeln. Wachstum ist nicht mehr automatisch mit mehr Stromverbrauch verbunden. Wir haben uns stark zu einer Dienstleistungsgesellschaft gewandelt. Zudem ist die Effizienz allgemein gestiegen.
Also ist die Schweiz auf Kurs in Sachen Energiewende?
Ja und Nein. Wir haben zum Beispiel im Haushalt massiv mehr elektrische Geräte, aber der Verbrauch steigt dank Effizienzvorschriften nicht. Bei den Widerstandsheizungen oder Beleuchtungen im Winter bleibt aber noch viel zu tun; sie alleine verbrauchen mehrere Terawattstunden. Das entspricht ziemlich genau dem Winterstromdefizit der Schweiz. Da liegt also noch ein grosses Potenzial.
Kritiker sagen, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien – Wind, PV oder Geothermie – viel zu langsam gehe. So könne das angestrebte Ziel eines CO2-freien 2050 nie erreicht werden.
Das kann man so nicht sagen. Im Bereich Photovoltaik sind wir zum Beispiel weiter als in den Annahmen vor zehn Jahren. Derzeit denken wir die Energieperspektiven der Schweiz neu – das ist eine grosse Baustelle in meinem Amt. Wir planen dabei bis 2060. In unseren Modellen überlegen wir, was passiert, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, die wir im Abkommen von Paris unterzeichnet haben. Wir setzen auf den Markt – aber was geschieht, wenn er verzerrt ist und nicht mitzieht? Das ist die grosse Unbekannte.
Was sind Ihre grössten Sorgenkinder?
Für gewisse Technologien ist es schwierig, den Kurs zu halten. So gibt es etwa bei Wind oder Geothermie viele Widerstände. Die Gerichtsinstanzen müssen hier erst Klarheit schaffen. Dieser Prozess braucht sehr viel Zeit.
Unsere Industrie verbraucht 30 Prozent (VSE) des Stroms in der Schweiz. Welche Rolle spielt die Industrie bei der Erreichung der Ziele für Strom in der Energiestrategie 2050?
Ohne Beteiligung der Industrie erreichen wir das nicht. Sie hat eine wichtige Rolle in der Umsetzung und hat sehr früh Effizienzmassnahmen eingeleitet. Die Richtwerte bei der Reduktion des Stroms bis 2035 sind bei der Industrie 13 Prozent, das steht im Gesetz.
Motoren spielen beim Stromverbrauch in der Industrie eine entscheidende Rolle. Rund zwei Drittel des Industriestroms gehen auf das Konto der rund zwei Millionen Elektromotoren im Land. Welche Instrumente hat das BFE, um die Energieeffizienz der Motoren weiter zu verbessern?
Einerseits gibt es die regulatorische Seite, wobei wir die Mindestanforderungen der EU übernehmen (aktuell IE3 bzw. IE2 mit Frequenzumrichter). Wir machen keinen Alleingang bei den Verpflichtungen, sondern setzen auf das gleiche Niveau, damit der Industrie daraus keine Nachteile entstehen. Anderseits sind es die freiwilligen Massnahmen der Industrie zur Effizienzsteigerung.
Was beinhalten diese Massnahmen?
Wir reden von Prozessen und Systemen, die Einsparungen von 30 bis 50 Prozent erlauben! Für KMUs haben wir das Programm für professionelle Energieberatung PEIK, für grössere Unternehmen die Zielvereinbarungen, um die Potenziale auszuschöpfen. Dann haben wir auch das Programm ProKilowatt, wo wir gewisse Massnahmen unterstützen, wenn der Payback höher als vier Jahre liegt. Dabei können sich auch die Partner einer ganzen Branche, etwa jene der Kläranlagen-Betreiber, zusammenschliessen und gemeinsam Motoren bestellen und so viel einsparen. Dabei spielen natürlich auch die Investitionszyklen eine Rolle, also die Erneuerungsraten, aber auch die Entwicklung der Märkte selber.
Wie steht es mit dem Willen zur Erneuerung des Motorenparks?
Das Trägheits-Moment spielt eine gewisse Rolle; manche Unternehmen belassen lieber die alten Motoren, als dass sie neue, effizientere anschaffen. Gründe dafür: man hat Angst, Produktionsprozesse zu unterbrechen. Zudem ist der Industriestrom günstig.
Reicht der blosse Ersatz der Motoren?
Über den blossen Austausch alter Motoren hinaus können sicher auch die Ingenieure die Arbeitsprozesse vereinfachen und Produktionsprozesse effizienter machen, um die Produktivität zu erhöhen. Dabei muss aber auch das Management des Unternehmens vom Wert solcher Massnahmen, sowie von der Betrachtung der gesamten Systeme, überzeugt werden.
Wie können Widerstände überwunden werden?
Oft fehlt es schlicht an Knowhow. Wir vom BFE unterstützen Kurse zur Weiterbildung, die unter anderem durch Topmotors erfolgen. Dann spielen die Investitionsausgaben immer eine Rolle. Sie müssen sich im Einsparpotenzial wiederspiegeln.
Haben Sie den Eindruck, dass dies in der Industrie angekommen ist?
Pauschal kann ich das nicht beantworten. Die Sorgen rund um die Kosten sind in der Industrie stets ein grosses Thema. Sie steht im Wettbewerb und muss effizient sein. Aber nochmals: Bei grossen Investitionsprojekten können wir mit unseren diversen Förderprogrammen helfen. Damit können wir Hindernisse überwinden helfen.
Welches ist die Rolle der Schweiz bei energieeffizienten Antriebssystemen auf internationaler Ebene?
Wir sind als Beobachter präsent in den verschiedenen EU-Gremien in Brüssel, wo man unserer Stimme zuhört. Wir nehmen an den spezifischen Konferenzen teil – etwa der Internationalen Energieagentur IEA oder am Schweizer Motor Summit – und können da die Erfahrungen der Schweiz einbringen. Wir sind stolz, dass Deutschland und auch Grossbritannien unser Förderinstrument ProKilowatt übernommen haben. Erstaunlich: auch die Türkei ist sehr interessiert, da dort die Energie vergleichsweise teuer ist und ein grosses Interesse an effizienten Elektromotoren besteht.
Was sind die bewährten Mittel zur Förderung?
Wir setzen auf Subsidiarität, also die Eigenverantwortung der Industrie, sei es bei regulatorischen Massnahmen oder bei gewissen Anreizen. Aber dann muss auch der Markt spielen.
Gemäss dem neuesten Topmotors Market Report sind bereits zwei Drittel der in der Schweiz 2017 verkauften Motoren mit 0.75 bis 375 kW Leistung hocheffiziente IE3- und IE4-Motoren. Entspricht das den Zielen des BFE?
Das ist eine sehr gute Nachricht und zeigt die Wahrnehmung in der Industrie. Wir sind nicht überrascht, dass professionelle Unternehmen Prozessbetrachtungen anstellen. Sie handeln nicht aus idealistischen Gründen, sondern haben bei den Berechnungen festgestellt, dass es sich einfach lohnt, hocheffiziente Motoren einzusetzen.
Begrüsst die Schweiz die anstehende Verschärfung der Mindestanforderungen der EU bei Elektromotoren, Umwälzpumpen, Wasserpumpen, Ventilatoren?
Es ist wichtig, dass sich die Mindestanforderungen ständig weiterentwickeln. Die regulatorischen Massnahmen müssen die technische Entwicklung aber auch antizipieren. Die Schweiz hat bei IE3-Motoren bereits 2014 vorgespurt, indem als Alternative IE2-Motoren mit Frequenzumrichtern (FU) erlaubt wurden. Trotz IE2 und FU werden mehr und mehr IE3- und IE4-Motoren angeschafft. Das sind gute Signale und zeigt, dass die Industrie ihre Rolle wahrnimmt, und dass sie die Vorteile dieser Motoren erkannt hat.
Wie wollen Sie die Teilnehmenden motivieren, ihre Antriebssysteme weiter zu verbessern?
Jedes Jahr werden in der Schweiz 170‘000 Motoren verkauft, davon sind viele effiziente Motoren. In der Gesamtbetrachtung spart man über die Zeit Geld, nicht nur weil der Energieverbrauch gesenkt wird, sondern weil die Produktionsprozesse flexibler und effizienter werden. Das wäre meine erste Botschaft.
Was verstehen Sie unter flexiblen Produktionsabläufen?
Den Stromverbrauch zu gewissen Hochpreiszeiten vermeiden und die Prozesse den Energiepreisen und den physischen Gegebenheiten des Netzes anpassen. Unsere Stromversorgung ist immer für den Spitzenverbrauch ausgelegt. Und das kostet extrem viel Geld. Wenn zum Beispiel im Dezember die Preise für Spitzenstrom hoch sind, kann ein cleverer Unternehmer die Produktion um 4 Uhr morgens starten.
Sie sind Keynote Speaker beim Motor Summit 2019, der am 4. Dezember in Bern stattfindet. Welche Botschaften möchten Sie vermitteln?
Als Fribourger möchte ich bereits im Voraus den Appell an die Landsleute in der Westschweiz richten, dass sie in Bern am Summit teilnehmen! Wichtig am Motor Summit sind meiner Meinung nach die «best practices» – also gute und schlechte Erfahrungen auszutauschen. Es ist wichtig, aus Fehlinvestitionen zu lernen.
Was sind weitere Botschaften am Summit 2019?
Dass die Unternehmen, die sich das leisten können, ihre Kompetenzen weiterentwickeln, oder dass sie mittels der verschiedenen Programme, Zielvereinbarungen etc. sich Kompetenzen und Expertisen einholen, um ihr Potenzial abzuschöpfen.
Wo hapert es am meisten?
Auf allen Niveaus – sei es in Haushalten, Unternehmen, Gemeinden oder der öffentlicher Hand – fehlt der Überblick über mögliche Einsparpotenziale. Und dass man über PEIK oder die Zielvereinbarungen eine Analyse des Energiepotenzials vornimmt.
Werden Sie die Teilnehmer des Summits auch an ihre Verpflichtung erinnern, einen Beitrag zur Energiewende bzw. zur Energiestrategie beizusteuern?
Die Industrie verbraucht 30 Prozent des Gesamtstroms, d.h. sie muss ihren Beitrag leisten und bis 2035 13 Prozent einsparen. Das ist ein enger Planungshorizont für die Industrie, was die Umwandlung von Produktionsprozessen betrifft. Das heisst, sie müssen heute ihren Betrieb analysieren und Potenziale ausschöpfen.
Wie steht es mit den CO2-neutralen Prozessen in der Produktion, im Gebäudebereich, in der Mobilität?
Diesem Anliegen trägt die Revision des CO2-Gesetzes Rechnung – sie wird diesen Herbst im Ständerat behandelt. Und das wird noch eine zusätzliche Herausforderung für die Industrie sein.
Das Interview hat Stefan Hartmann am 15. August 2019 geführt.
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