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Drei Energiefragen an die chilenische Botschaft


Die Debatte um die Energiestrategie im Parlament geht voraussichtlich in diesem Jahr zu Ende. Wir haben bei José Luis Balmaceda, chilenischer Botschafter in der Schweiz, nachgefragt, wie die Energiepolitik in seinem Land gestaltet wird und wie sich diese in den letzten Jahren verändert hat.

Welche Schwerpunkte setzt Ihr Land aktuell in der Energiepolitik?
Die Energiepolitik folgt einer bis zum Jahr 2050 reichenden Vision des Energiesektors, die im Wesentlichen aus einem zuverlässigen, nachhaltigen, integrativen und wettbewerbsfähigen Energiesektor besteht. Diese Vision basiert auf einem systemischen Konzept, dessen Hauptziel die Erzielung und Aufrechterhaltung der Zuverlässigkeit des gesamten Energiesystems ist. Gleichzeitig soll Kriterien der Nachhaltigkeit und Inklusion entsprochen und ein Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft des Landes geleistet werden. Das Ziel besteht eindeutig darin, in Richtung nachhaltige Energie in all ihren Dimensionen voranzukommen.

Inwiefern haben sich die Prioritäten in den letzten 15 Jahren verändert?
Mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gesetzes über die Elektrizitätsdienste im Jahr 1982 und dem Prozess der Privatisierung der staatlichen Energieunternehmen wurden die Grundlagen der Energiepolitik, die in den vergangenen 30 Jahren in Chile galten, geschaffen. Die Strategie des Landes zur Aufrechterhaltung eines anhaltenden Wirtschaftswachstums basierte auf dem Schutz der übermächtigen Rolle des Privatsektors, wobei dem Staat in den Bereichen, in denen die Zuständigkeiten nicht von sich aus eindeutig waren, eine subsidiäre und regulierende Rolle zukam. Die Energiepolitik musste also in erster Linie die wirtschaftliche Effizienz in diesem Sektor vorantreiben. Unter wirtschaftlicher Effizienz verstand man die Schaffung der Voraussetzungen für den Wettbewerb in den Energiesektoren, bzw. falls dies nicht möglich gewesen wäre, die Vorgabe wettbewerbsfördernder Rahmenbedingungen durch eine entsprechende Regulierung.

Die regulierende und subsidiäre Rolle des Staates wurde über einen normativen Rahmen mit genauen Tariffestelegungskompetenzen im Fall natürlicher Monopole und Überprüfung im Allgemeinen errichtet, mit dem Ziel, Spielregeln zu schaffen, die Privatinvestitionen erleichtern.

Eine erste Änderung dieser politischen Vision der Energiepolitik setzte in den 90er-Jahren mit der Rückkehr zur Demokratie ein. Gleichzeitig wurden allmählich die Konzepte der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in diese neue Politik integriert. Dennoch wurde die dominante Rolle des Privatsektors gefestigt und über die öffentlichen Investitionen mussten Sozial- und Infrastrukturbedürfnisse gedeckt werden, die nicht von Privatunternehmen abgedeckt werden konnten.

Gleichzeitig gewannen Faktoren, wie die Umweltproblematik, die Notwendigkeit der Energieeinsparung, die erneuerbaren Energien und die energetische Integration mit den Nachbarländern, an Bedeutung. Die Krise, von der der Elektrizitätssektor infolge der Trockenheit und der daraus resultierenden Rationierung im Jahr 1999 betroffen war, sowie auch die argentinische Erdgaskrise ab 2005 führten dazu, dass das Hauptziel der Energiepolitik darin bestand, Energieversorgungssicherheit zu erzielen, und zwar unter Einhaltung strenger Energieeffizienzauflagen und durch ein Handeln, das die nachhaltige Entwicklung des Landes fördern sollte. Diese Krisen stiessen die Diskussion über Energieeffizienz an, da es wichtig wurde, Energieeinsparung und effizienten Energieverbrauch zu vernünftigen und dem Entwicklungsstand des Landes entsprechenden Kosten voranzutreiben.

Aus dieser Erfahrung entstand die Notwendigkeit einer langfristigen Energiepolitik mit staatspolitischem Charakter, die die einzelnen Sektoren integriert und einen systemischen Schwerpunkt hat. In Anbetracht der Unsicherheit, mit der der Sektor konfrontiert ist, und der Feststellung, dass die energetischen Auswirkungen nicht nur diesen Sektor betreffen, muss die Energiepolitik nicht nur den Grundsätzen technischer und wirtschaftlicher Effizienz folgen, sondern es müssen auch aktiv Überlegungen der Sicherheit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit einbezogen werden. Dies veranlasste den institutionellen Wandel des Sektors mittels der Aufteilung von Aufgaben der Politikfestlegung mit Schaffung des Energieministeriums, der Aufteilung der Aufgaben der Regulierung und Überwachung bzw. Kontrolle in Abstimmung mit der Nationalen Energiekommission und mittels der Aufsichtsbehörde für Elektrizität und Brennstoffe.

Wie wird der Energiemix im Jahr 2050 aussehen?
Um diese Vision bis zum Jahr 2050 umsetzen zu können, wurde die Energiepolitik auf vier Säulen gestellt: Energieversorgungssicherheit und -qualität, Energie als Wachstumsmotor, Umweltverträglichkeit und Effizienz sowie Bildungsmassnahmen auf dem Gebiet der Energieeffizienz.

Das in der politischen Vision enthaltende Zuverlässigkeitsprinzip ist über das klassische Sicherheitsprinzip im Energiesektor hinaus zu verstehen. Diese Definition umfasst unter anderem auch Kriterien des zuverlässigen Zugangs zu Energie, der Energieversorgungsqualität und der Flexibilität des Systems. Deshalb ist es notwendig, im Hinblick auf Sicherheit und Flexibilität Fortschritte bei der zentralisierten Produktion zu erzielen, um sich auf eine sichere und hochwertige dezentralisierte Energieerzeugung verlassen zu können.

Eine der Säulen, auf denen unsere Energiepolitik ruht, ist die Vision der Energie als Motor für die Entwicklung des Landes. Ohne Energie gibt es kein Wachstum. Um das Wachstum voranzutreiben benötigt Chile eine integrative Energieentwicklung, die sich durch gleichen Zugang, territoriale Verwaltung und wettbewerbsfördernde Preise auszeichnet.

Die Entwicklung des Energiesektors kann nicht vom Umweltschutz abgekoppelt werden, weshalb unbedingt politische Strategien umgesetzt werden müssen, mit denen gleichzeitig sowohl ein Konzept erneuerbarer Energien als auch die Entwicklung von Richtlinien im Hinblick sowohl auf die lokalen als auch die globalen Auswirkungen auf die Umwelt vorangetrieben werden.

Da Chile sich mitten mit Übergang zu einem entwickelten Land befindet, ist zu erwarten, dass das Wirtschaftswachstum, die wachsende Mittelschicht und die zunehmende Verstädterung die Energienachfrage steigen lassen. Auch wenn es durch Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen gelingt, die beiden Indizes voneinander abzukoppeln, wird man Anstrengungen unternehmen müssen, um der erhöhten Energienachfrage entsprechen und die Nachhaltigkeit der Energieversorgung sichern zu können. (his)

 

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